Re: (Philosophie) Profimusiker? Da lern' ich doch lieber was anständiges :-)))
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Beitrag von Olkmar vom Oktober 28. 2003 um 12:59:54:
Als Antwort zu: Re: (Philosophie) Profimusiker? Da lern' ich doch lieber was anständiges :-))) geschrieben von Johannes am Oktober 28. 2003 um 09:25:38:
Hi Johannes! (und alle Anderen!)
Ich habe lange überlegt, ob ich mich in diese Diskussion überhaupt einmischen soll, weil in solchen Fällen eigentlich immer dasselbe passiert, nämlich, daß ich sogleich bei den ersten Antworten mit dem Rücken zur Wand stehe und tagelang einen fulltime-job damit habe, meine Äußerungen zu begründen. Allerdings drehte sich mir bereits bei dem Thema "Geschmack" kräftig der Magen um (ich sag weiter unten noch was dazu!). Dein Posting enthält einige interessante Gedanken, die andernorts meist geflissentlich übersehen werden, deshalb häng ich mich hier mal dran. *g*
>Ich würde sagen, 98% aller Musik finde ich schrecklich, egal, in welcher Sprache sie gesungen wird.
So geht's mir auch, und wenn jemand das Billigkeitsphänomen als "typisch deutsch" abtun will, steckt dahinter wohl das Problem, daß die Mehrzahl unfreiwillig gehörter Musik auf deutschem Boden auch aus deutscher Produktion stammt. Jedes Land hat diese "panem et circenses"-Massenware, nur bleibt uns davon das Meiste erspart, nur eben das deutsche nicht.
>Die restlichen 2% sind wohl für jeden anders.*
Ja, aber in den wenigsten Fällen im Sinne einer Individualität, sondern eher einer Gruppenzugehörigkeit. Und dies genau ist einer der gründe, warum ich mich gegen die Betrachtung von Musik als Geschmacksache sträube. Allenthalben reden Leute von ihrem "Musikgeschmack" und suggerieren damit, sie hätten einen. Konkret beobachtbar ist aber letztlich, daß dieser "Geschmack" offensichtlich durch eine soziale Gruppenzugehörigkeit definiert ist (Adorno lässt freundlichst grüßen... *g*).
Die Erkenntnis einer wie auch immer gearteten klanglichen Ästhetik setzt eine hinreichende Aufnahmebereitschaft voraus. Diese ist aber, abgesehen von diversen Einflüssen der temporären psychischen "Wetterlage", abhängig von den jeweiligen Hörgewohnheiten und diese wiederum durch das soziale Umfeld geprägt.
Ein "Ausbruch" aus dieser Prägung basiert selten auf reiner "Langeweile" bezüglich einer "Kulturumgebung", sondern ist gleichwohl mit einer sozialen Distanzierung verbunden. Als Beispiele mögen historisch der sich allgemein revolutionär gebende Bruitismus wie auch der Dadaismus oder im direkten Umfeld die sich jeweils generationsweise abgrenzende "Jugendkultur" dienen. Würde diese nicht von der vorausgehenden Generation als "Subkultur" abgelehnt werden, hätte sie ihren Zweck verfehlt.
Die Entscheidung für einen bestimmten, auf dem Markt vorfindbaren Musikstil (interessant wird's genau dann, wenn sich jemand für eine noch nicht existierende Musikrichtung entscheidet!), verbunden mit einer Entscheidung GEGEN andere, ist somit auch eine Entscheidung für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und gleichzeitig eine Form der Distanzierung gegnüber anderen.
Eine logische Konsequenz (und eine leidvolle für jeden individuell Kulturschaffenden!) davon ist: Wenn ich in meinen Kreisen "in" sein will, muß ich mich zu dem bekennen, was dort "in" ist. Wo bitte bleibt in diesem Schema noch Platz für die Entwicklung eines eigenen, persönlichen Musikgeschmacks?
Ich will nicht bestreiten, daß es auch heute noch (in leider geringer Zahl!) "geschmackvolle" Menschen gibt, nur ist es leider so, daß meistens diejenigen, die im Hinblick auf Musik von "Geschmacksache" reden, keine selbst erarbeiteten, sondern im sozialen Gefüge quasi durch subtile Zwänge erwachsene Hörgewohnheiten haben.
Von "seinem Geschmack" sollte eigentlich nur derjenige reden, der von sozialen Zwängen und Bindungen hinreichend frei ist, sich einen solchen Luxus leisten zu können.
Die von "Musikmissionaren" auch heute noch immer wieder ins Feld geführte Behauptung, daß Musik die Menschen "verbinde", kann ich nur als bedingt historisch unterschreiben, sie mag in premedialen Zeiten gegolten haben, heute dient Musik in gleichem Maße auch der Distanzierung bzw. Abgrenzung.
Das oben Gesagte erklärt vielleicht auch ein wenig, warum die Kluft zwischen den medial hochgejubelten "mit-3-Akkorden-Großverdienern" und unsereinen "Kleinkünstlern" immer größer wird...
Der Satz "Musik ist Geschmacksache" müsste, in diesem Sinne korrigiert, wohl eher lauten: "Musik ist ausschließlich zielgruppenorientiert vermarktbar." *wegduck*
>Trotzdem überlege ich immer wieder, ob es nicht irgendwelche objektiven Kriterien für Qualität in der Musik geben könnte - zu irgendeinem Schluß bin ich in meinen Überlegungen allerdings noch nicht gekommen.
Es ist auch schwierig, zu diesem Schluß zu kommen, dieweil die Wahrheit (natürlich gibt es objektive Kriterien!) von der Mehrheit der Menschen, die ja Musik als "Geschmacksache" abtun (und auch gerne dabei gleich jeden von dem eigenen abweichenden "Geschmack" als "geschmacklos" brandmarken, obwohl sie doch mit dieser Aussage schlichtweg behaupten, daß im Bezug auf Musik jeder Depp gleichermaßen kompetent sie und es überhaupt keine Fachleute geben brauche...), standhaft geleugnet wird!
Dieweil es ein wirklich heißes Thema ist, erkläre ich schrittchenweise:
Die Ästhetik einer Automobilkarosse mag vielleicht Geschmacksache sein, aber über die technische Qualifikation des Fahrzeugs für den Straßenverkehr befindet der TÜV, der logischerweise an objektive Kriterien gebunden sein muss!
Wenn wir dies auf Musik übertragen und die Frage nach einer gesunden Handwerklichkeit stellen, so kann Otto Normalverbraucher dies auch hier nur vergleichsweise laienhaft bewerten, hinsichtlich zumindest der instrumentalen Spieltechnik sind wir hier in diesem Forum schon ein wenig besser dran: Wir erkennen, ob jemand in der Lage ist, sechs Drähte ordnungsgemäß auf's Griffbrett zu drücken und ob er diese zuvor korrekt gestimmt hat.
Wollen wir zusätzlich die künstlerische Substanz einbeziehen, wird's schon schwieriger: Wir würden mühelos und korrekterweise die ausgefuchsten Jazz-Pickings eines Frank Haunschild höher bewerten als das Geschrammel eines Kindergartenliedermachers, wohingegen unsere Oma sagen würde "Der macht doch viel schönere Musik!" (womit wir bei den Millionen Fliegen wären...)
Logischerweise wissen wir, daß wir entgegen der geschätzten Meinung unserer Oma Recht haben, wiewohl wir als Minderheit dastehen.
Nun ist aber eine objektive Bewertung der Ausführung (aus fachlicher gegenüber laienhafter Sicht) nicht das Einzige und bringt uns, selbst wenn wir unsere Maßstäbe erweitern (z.B. im Sinne von: wird da etwas überzeugend herübergebracht oder tut jemand nur seinen Job gegen Knete?) keinen Schritt weiter, denn ehrlicherweise müssen wir zugeben, in einer volkstümelnden Blaskapelle in Nachbars WDR4 dudelndem Radio schon tatsächlich einen Klarinettisten gehört zu haben, der spieltechnisch manchem Sinfoniker haushoch überlegen war...
"Ja, aber WAS die für eine Musik spielen..."
Dieweil nun dieser Klarinettist auch noch überzeugend und begeistert wirkt, wird uns klar, daß es hier noch auf was anderes ankommt, nämlich:
WAS UND WIE WURDE GESCHRIEBEN?
Fangen wir auch hier mit dem Leichteren an:
Der qualitative Unterschied zwischen als Meterware geschriebenen Schlagertexten im Vergleich zu der vielschichtigen Lyrik eines Pete Sinfield ist recht evident, würden wir ihn nicht wahrnehmen, könnte ein Literatur- oder Psychologiestudend spätestens ab dem 3. Semester uns Aufklären, also immerhin noch ein recht stattlicher Personenkreis.
Mit dem Rest wird's dann schwierig, denn die Frage danach, was denn komponiert wurde, kann eigentlich nur ein Komponist beantworten (wenn wir ein paar wenige Extremdenker in Art von Hofstaedter mal außer Acht lassen).
Hiermit meine ich nicht diejenigen, die sich "Komponist" (leider ist diese Bezeichnung nicht geschützt!) nennen, weil es ihnen irgendwann mal unter dem "Kuss der Muse" gelungen ist, eine banale Tonleiter zu einer gefälligen Melodie zu formen und mit hübschen Akkorden zu unterlegen, damit vielleicht sogar den Sprung in die GEMA zu schaffen, sondern diejenigen, die sich auf der Basis des verfügbaren multikulturellen und historischen Materials hinreichend Kenntnis und Fähigkeit erworben haben, Klangmaterial gezielt und kreativ interessant zu strukturieren.
Man kann dazu dieses Fach durchaus studiert haben (viele wissen das nicht und noch weniger tun es wirklich, selbst unter ausgebildeten Musikern liegt der Anteil deutlich unter der Promillegrenze!), andere Wege sind aber durchaus auch denkbar (Mike Batt z.B. ist Autodidakt!). Bedingung sollte allerdings sein, daß man dieses Handwerk beherrscht, wozu z.B. neben stilistischen Kenntnissen in möglichst vielen Bereichen und dem Wissen darum, wie man für welches Instrument schreibt und wie es optimal einzusetzen ist, auch gehört, von "Ideen" weitgehend unabhängig systematisch arbeiten zu können.
Komposition in diesem Sinne bedeutet, Strukturmöglichkeiten eines musikalischen Materials aufzufinden und zu verwirklichen.
Der "Einfall" einer Melodie oder die "Erfindung" einer Akkordfolge (die es mit einiger Wahrscheinlichkeit ohnehin schon einmal gegeben hat!) ist in diesem Sinne KEINE Komposition.
Wenn wir die Frage "Was ist komponiert worden?" bezüglich der oben erwähnten 98% stellen, kann die Antwort (traurigerweise, aber absolut logisch!) nur lauten:
NICHTS! ABSOLUT GAR NICHTS!
(Es braucht uns nicht kratzen, daß dies für die Hörer dieser 98% eine schmerzliche Wahrheit wäre, denn glauben würden sie es sowieso nicht, weil sie Komposition für göttliche Eingebung oder sonstwas mystisches halten, wie auch immer...)
Komposition und Hörgewohnheit (somit Vermarktbarkeit!) sind diametrale Gegensätze, insofern kann man davon ausgehen, daß das Maximum verkaufter (!) Musik mit einem Minimum kreativer Leistung fabriziert wurde, die wirkliche kreative Leistung aber in dem geringen Teil verborgen liegt, der niemals die Masse erreicht!
Ist doch klar: Kann der Hörer die Struktur eines Musikstücks nicht erfassen, erscheint es ihm unstrukturiert, somit erfüllt es nicht seine Vorstellung von Musik!
Ergo darf die Struktur, soll ein Musikstück vermarktungstauglich sein, nicht zu weit von innerhalb der Zielgruppe bereits bekannten und akzeptierten Strukturen abweichen, somit wird der erfolgsgeile Autor nicht komponieren, sondern repetieren!
Und jetzt ganz frech: Die einzige Möglichkeit, eine solche Massenfertigung überhaupt noch "qualitativ" zu beurteilen, ist wohl die betreffs der Fähigkeit, Gespür für die noch tolerable Abweichung innerhalb der engen Vorgaben zu entwickeln und somit den siebzehnmillionsten Clone derselben Sache nicht unmittelbar als solchen erkennbar werden zu lassen.
Noch eine Anmerkung: Gerade die Leute, die nach eigener Meinung (und oft sogar auch der ihres direkten Umfeldes!) "unheimlich Ahnung von Musik" haben, bewegen sich selbst oft (und sei es als Hörer!) innerhalb recht enger Grenzen, die sie scheuklappenbedingt selbstverständlich nicht erkennen, und so man sie denn darauf aufmerksam macht, nicht wahrhaben wollen, z.B. indem sie für Alles außerhalb befindliche den Begriff "Musik" nicht zulassen wollen. (John Cage: "Sie müssen es nicht Musik nennen, wenn dieser Ausdruck sie schockiert!" *sfg*) Dabei sind diese "Experten" selbst im eigenen Terrain völlig hilflos, so mögen z.B. die Mozartanhänger ihren Meister ganz einfach generell und durch die Bank, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, daß zwischen der Genialität der Don-Giovanni-Szene, in der drei Tanzkapellen auf der Bühne gleichzeitig Tänze in verschiedenen Ton- und Taktarten spielen und das Ganze dennoch im Zusammenspiel mit Vokalparts und dem Rest des Orchesters einen perfekten Rokoko-Sound ergibt, und der Billigkeit seiner morgen-kommt-der-Weihnachtsmann-Variationen und anderem Massenschund ein himmelweiter Unterschied besteht.
>*Gestern mußte ich wieder lachen, als ich bei amazon eine Kundenrezension einer Platte las, die ich im Moment begeistert rauf und runter höre (Miles Davis' "Bitches Brew"). Fazit: "Nur Lärm!" ;-)
Das ist ja nun auch wirklich nix für jeden! Wie ich schon sagte, Strukturen, die man nicht erkennt, hält man für Strukturlosigkeit. Vielen ist doch selbst eine Bach-Fuge zu chaotisch, obwohl es kaum was Geordneteres gibt...
Der "Normalhörer" tut sich oft schwer mit Polyphonie, da müsste er ja auf mehrere Dinge (Stimmen) gleichzeitig achten...
"Nee, ordentliche Musik muss so sein, daß es ne Melodie gibt, und die steht deutlich im Vordergrund (Deutsche Abmischung: mindestens 20dB Unterschied zu allem Anderen!), der Rest ist doch nur Begleitung, Beiwerk", könnte zur Not auch wegbleiben, hören darf man's eh nicht...
Tja, das Preussentum ist gewohnt an hierarchische Strukturen und kennt nix anneres, und wenn man denn schon nicht damit klarkommt, Menschen als gleichwertig zu betrachten, wie soll man dann die Gleichberechtigung der Stimmen in einer Fuge tolerieren...
Sorry, daß es etwas länger geworden ist, ich hoffe, keinem zu sehr auf die Füße getreten zu haben. Sollte es wirklich weh getan haben, bitte vielleicht mal nach eingewachsenen Nägeln suchen...
cu,
Olkmar
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