Re: (Philosophie) Profimusiker? Da lern' ich doch lieber was anständiges :-)))
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Beitrag von Olkmar vom Oktober 29. 2003 um 17:08:56:
Als Antwort zu: Re: (Philosophie) Profimusiker? Da lern' ich doch lieber was anständiges :-))) geschrieben von Johannes am Oktober 29. 2003 um 11:25:28:
Hi Johannes!
>Frank Zappa hat (wenn ich mich richtig erinnere) einmal den Ge(Miß-?)brauch von Musik als "reinforcement of a lifestyle" bezeichnet.
Womit er sicherlich Recht hatte! Genauso wie zu einer bestimmten "natürlichen" Umgebung ein bestimmtes Klangambiente gehört (Wellen amn Strand, Vögel im Wald, etc.), genauso schafft sich dies der Mensch in seinem "eingerichteten" Lebensraum, und so korrespondiert denn die Berieselung mit seinen Möbeln...
>Ich selber würde mich davon auch überhaupt nicht freisprechen, ich denke, meine Plattensammlung hat genau so angefangen.
Wer kann das schon...
Das betrifft aber nicht nur unser Verhältnis zu Kultur im Sinne von Kunst, jeder muss, wenn er der Erziehung durch Eltern, Lehrer und sonstigem "Fachpersonal" entwächst, erstmal reichlich Ballast abwerfen, so er denn vorhat, zu einer eigenständigen Individualität heranzureifen, ansonsten wird er nie etwas anderes sein, als ein Untertan, von wem auch immer...
>Deine Antwort (die ich jetzt mal aus Platzgründen lösche) habe ich so verstanden, daß man die Qualität einer Komposition durchaus objektiv beurteilen kann, weil man sich entweder das Fachwissen dazu über eine Ausbildung angeeignet hat oder sich lange genug intensiv autodidaktisch mit dem Thema beschäftigt hat.
Natürlich sollte man in der Lage sein, beide (!) Bereiche im Sinne dieses wirklich netten Zitats über Kitsch hinreichend erfassen und zuordnen zu können. Ich will aber noch etwas wichtiges ergänzen: Es gehört ebenso zu dieser postulierten Qualifikation, in bestimmete "Fallen" nicht hineinzugeraten (und dies genau ist ein Punkt, woran es oft scheitert!).
Ich nehme hier mal wieder das einfachste aller möglichen Beispiele:
Der Normalhörer ist geneigt, Musik danach zu beurteilen, "ob sie ihm gefällt".
Eigentlich erkennt man schon am Wort, daß es sich hier um eine Falle handelt! Der Knackpunkt ist offensichtlich: Hier wird eine Entscheidung unreflektiert getroffen, die auch für den Laien mangels anderer Kriterien kaum anders zu treffen ist. Wovon ist denn dieses "Gefallen" eigentlich abhängig? Im weitesten Sinne kann man sagen, daß es sich um eine Konditionierung, ganz im Sinne von Pawlov, handelt. Die meisten Menschen kleben lebenslänglich an dem Song, der gerade lief, als sie ihre ersten tiefergehenden erotischen Erfahrungen machten, in diesem Fall ist es sehr eindeutig. Was ist mit dem Rest? Antwort: es funzt genauso, wenn auch weniger offensichtlich.
Irgendein Sexualforscher hat einmal eine Abhandlung darüber geschrieben, daß Menschen hinsichtlich ihrer hormonellen Reaktion auf andere Menschen bestimmten Assoziationsketten folgen, die oft nur aus einem winzigen Detail bestehen (z.B. ein Kleidungsstück oder eine Lippenstiftfarbe, die uns an eine andere Person erinnern).
Mit dem Hören ist es nicht viel anders als mit dem Sehen: Wir streben nach dem, was dem, was uns einmal besonders beeindruckt hat, ähnlich ist. Die hierbei entstehenden Assoziationsketten wirken unbewusst, und das hat eine fatale Konsequenz: es funktioniert völlig ohne bewusstes und gezieltes Hinhören, d.h., wir sind an dieser Stelle hochgradig manipulierbar!
Natürlich gibt es auch den umgekehrten Weg, der daraus resultiert, daß Assoziationen eher unangenehm aus der Vergangenheit belastet sind und wir eine Wiederholung vermeiden wollen. In diesem Fall wird die Ablehnung gegenüber einem bestimmten Stil umso mehr anwachsen, je mehr wir unfreiwillig damit konfrontiert werden, und "gefallen" wird uns möglicherweise eher das, was wir bisher noch nicht gehört haben.
Dieser letztgenannte Weg scheint natürlich im Hinblick auf die Entwicklung eines offenen ZUhörens eindeutig als der gesündere, aber beide Seiten haben ihre Fallstricke, wenn eine genaue rationale Analyse des gehörten ausbleibt. Ergo: man muß in der Lage sein, eine wie auch immer geartete Faszination beiseite zu stellen, um das zu hörende nüchtern analytisch zu betrachten. Dazu müssen sowohl hierfür geeignete Kriterien hinreichend im Bewusstsein entwickelt sein, als auch genügend Kenntnisse verschiedenster Stilrichtungen im Sinne von "das kenn ich alles schon" vorliegen.
>Außerdem zitierst Du den "Komponisten", der keine kompositorische Leistung vollbringt, da er nur altbekannte Akkordfolgen recycelt (Mozarts Ah vous dirais-je maman-Variationen versus Don Giovanni). Habe ich das richtig zusammengefaßt?
Natürlich spielt hier auch der Vergleich des Ingenieurs mit hinein, der, wiewohl er in der Lage wäre, ein Kraftwerk zu konzipieren, über weite Strecken nichts anderes tut, als Glühbirnen zu wechseln, aber ich hatte dabei noch einen anderen Gedanken, den ich wohl doch etwas konkretisieren muss:
Die Bewertung künstlerischer Leistung erfolgt gar zu oft ausschließlich Personenbezogen!
Natürlich gilt dies nicht nur im Hinblick auf "alte Meister", sondern die Platte von XYZ wird gekauft weil sie von XYZ ist und darum gut sein muss...
Ich bin versucht zu sagen, daß kaum etwas einem wirklichen HINhören mehr im Wege steht, als ein derartiger Fankult!
>Dann habe ich damit ein bißchen Schwierigkeiten, denn für mich besteht die Qualität von Musik nicht alleine in der handwerklichen Qualität ihrer Komposition.
Nein, sicher nicht, ich verweise da wieder auf das Kitsch-Zitat.
> (Improvisation behandle ich jetzt mal als "instant composition", insofern ist es hierfür irrelevant, ob ein Stück notiert ist oder improvisiert.)
Nö. Improvisation geschieht realtime, hat dadurch bestimmte Möglichkeiten nicht, die in der Komposition zu Verfügung stehen, stattdessen aber die Möglichkeit der spontanen Reaktion, die wiederum der Komponist nicht hat. Überschneidungen sind durchaus möglich, aber keinesfalls flächendeckend.
Man sollte auch verschiedene Arten von Improvisation unterscheiden. Manch Einer ergeht sich in selbstbefriedigender Zurschaustellung nackter Virtuosität, während andere eher reaktiv sind, ebenso stellt sich die Frage, ob man mit Kenntnis eines Stils sich darin unauffällig oder eher auffällig oder gar stilerweiternd verhält.
>Mich kann ein Musikstück tief berühren, auch wenn es eine recycelte Version einer alten Struktur ist.
Sowas ist nicht ausgeschlossen und zu einem Teil (s.o.) erklärbar. Darüberhinaus musste selbst Adorno zugeben, daß es offensichtlich in der von ihm untersuchten Unterhaltungsmusik eine Ebene von Qualität gab, die er innerhalb seiner Betrachtungen nicht zuordnen konnte. An dieser Stelle hätte man dem Musiksoziologen und -psychologen durchaus raten können, die hilfreiche Beratung durch einen Musiktheoretiker in Anspruch zu nehmen... *g*
Ich habe mehrfach festgestellt, daß eine besondere "Gediegenheit" eines Musikstückes dadurch erreicht werden kann, daß man zusätzlich die Befolgung ästhetischer Ideale einbringt, die innerhalb des gegebenen Stils üblicherweise eher ignoriert werden, also z.B. streng motivische Kontrapunktik innerhalb einer ansonsten schlichten Ballade, "alte" Dissonanzbehandlung innerhalb der Chord Changes einer Jazznummer etc.
Heutige Arbeitsweise der Songproduktion ist oftmals: klingt gut, fertig! Nur wenige stellen die Frage, was man denn zur Veredelung sonst noch tun könne, ergo wird auch nix dran getan.
> Wenn die Chieftains eine Volksmusik-Ballade schreiben, kann die möglicherweise bei mir eine ähnlich tiefe emotionale Reaktion auslösen, wie ein Stück von Miles Davis' Kind of Blue. Natürlich nehme ich solche Musik anders wahr als eine Bachsche Fuge, und sie spricht andere Bereiche in mir an, aber trotzdem würde ich sie als qualitativ hochwertig ansehen.
Wenn Du verschiedene Ebenen der Wahrnehmung hast, ist das im Prinzip schonmal gut, die hat gewiß nicht jeder. Und daß es verschiedene Ebenen musikalischer Qualität geben kann, würde wohl auch nur eine Kulturbanause bestreiten wollen.
>Ist das ein antrainierter emotionaler Reflex auf außermusikalische Dinge oder hat das mit der Qualität der Musik zu tun?
Um das beurteilen zu können, müsste man Dich sehr, sehr gut kennen.
> Benutze ich hier Musik nur als Gefühlsverstärker? Oder ist es die hervorragende Darbietung des Stückes durch exzellente Musiker?
Das Eine schließt ja das Andere nicht aus.
>Ich muß meine Nachbarn wohl sehr hassen. ;-)
Zu dem Zweck hab ich dann vor Jahrzehnten mal "The Devils Triangle" von King Crimson eingesetzt. *sfg*
cu,
Olkmar
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