(Technik) Einschwingen einer Gitarre


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Beitrag von Matthias vom Mai 31. 2003 um 11:04:38:

Liebe Gemeinde!

Seit 1992 bin ich stolzer Besitzer einer Lakewood M-32, vielen hier auch als Mary bekannt. 1997 kam noch eine M-14 als Zweitgitarre dazu. Einige der Sessionisten kennen eine oder beide Gitarren und wenn Ihr möchtet, erzähle ich mal irgendwann die Geschichte dieser ungleichen Schwestern. Meine M-32 machte mir seit einiger Zeit Kummer. Die E-Saite war einfach im Vergleich zur A-Saite zu leise und überhaupt war der Bass-Bereich etwas unterbelichtet. Dazu kam, dass ich mich im Bereich des Anschlags entwickelt habe und teilweise doch am oberen Limit der Gitarre ankam. Bereits seit längerem nervte ich vor allem Jochen, bO²gie, falke und Friedlieb mit diesem „Problem“. An dieser Stelle mein Dank an diese Herren für Geduld und Unterstützung.

Klar, da sollte eine neue Gitarre her. Leise Zweifel blieben aber, denn was sollte ich mit den beiden Lakewoods machen, die ich doch heiß und innig liebte? Verkaufen? In Rente schicken? Verschenken? Kam alles nicht in Frage, also müsste eine weitere Gitarre ins Haus und damit weiterer Missmut. Ich habe nämlich eine große Abneigung gegen unkontrolliert wachsende Instrumentensammlungen, insbesondere in meinen eigenen vier Wänden. Zähneknirschend verschob ich das Problem und suchte erst mal in Hamburg im Schalloch eine potenzielle „Neue“ und fand nichts.

Gleichzeitig bekam ich den Wink, einmal meine M-32 zu Hartmut Hegewald zu geben. Hartmut baut hauptsächlich sehr schöne Konzertgitarren und macht Reparaturen. Zwei, drei Mailwechsel, ein paar angenehme Telefonate. Gitarre eingetütet, ab in die Post und abwarten. Hartmut stellte erst einmal fest, dass an der Gitarre nichts wirklich kaputt sei und bauartbedingt die M-32 natürlich kein Bass-Monster werden könnte. Dennoch sei tatsächlich die E-Saite „unterbelichtet“. Als denkbare Lösung für die klanglichen Probleme schlug er die Entdämpfung vor. Ich willigte ein und wartete ab.

Zwischenzeitlich verschlug es mich in die Nähe von Walldorf. Bei Session Musik in Wiesloch entdeckte ich eine wunderschöne OOO von Stevens, die allerdings 3,2 Kilo Euro kosten sollte. Ein Traum von einer Gitarre in einem tollen Laden!

Als Hartmut fertig war, verabredete ich mit ihm einen Termin, um meine M-32 abzuholen und nahm meine M-14 als „Referenz-Gitarre“ mit. Am Tag vor diesem Termin war eine Probe im Duo, die M-14 spielte willig mit, laut und leise, aggressiv und wohlklingend, alles in bester Butter. „Mehr Gitarre braucht eigentlich kein Mensch,“ dachte ich mir noch.

Hartmut Hegewald drückte mir am nächsten Tag die M-32 in die Hand und gab mir zum Stimmen ein A von der Stimmgabel. Ich spielte ein A als Flageolet und bekam den Mund nicht mehr zu. Das Flageolet war strahlend laut, deutlich und sauber. Nach dem Stimmen und den ersten Akkorden war ich begeistert. Die Gitarre klang absolut ausgewogen, sauber, satt und voll. Den klanglichen Charakter der Gitarre hatte das Verfahren überhaupt nicht verändert, es war und blieb „meine Mary“. Es war eher so, als hätte man eine Decke vom Instrument genommen.

Alles Voodoo und Einbildung? Abgesehen von der klanglichen Entwicklung hatte die M-32 zwei satte Dead-Spots auf der e-Saite, beim c und beim c#. Diese Dead-Spots sind verschwunden. Und natürlich verglich ich die behandelte M-32 mit der mitgebrachten und unbehandelten M-14. Noch einmal zur Erinnerung, ich kenne beide Gitarren sehr gut und sie waren vor der Behandlung etwa gleichwertig. Die M-14, die ich am Vortag noch als gute Gitarre empfand, reagierte im Vergleich zur M-32 wie ein Stück Käse, klang belegt und undynamisch. Der Unterschied war absolut deutlich.

Hartmut Hegewald wendet ein Verfahren an, dass Prof. Gerhard A. v. Reumont entwickelt hat. Das Instrument wird durch einen aufgesetzten Motor mechanisch in Schwingung versetzt. Je nach Drehzahl des Motors schwingt eine andere Frequenz und durch gezielten Einsatz lassen sich Schwachstellen eines Instruments behandeln. Als Ergebnis klingen dann die behandelten Instrumente wie jahrzehntelang intensiv und regelmäßig über alle Lagen und Töne bespielt. Hartmut erzählte mir, dass er sein Wissen direkt von v. Reumont erworben und bereits sehr viele Konzert- und Westerngitarren eingeschwungen habe. Auch bei Streichinstrumenten wie Geigen, Celli, Kontrabässe etc. sei das Verfahren erfolgreich. (Ich habe leider vergessen, ihn zu fragen, ob er mit Solidbodies auch Erfahrung hat.) Früher war das Verfahren für v. Reumont geschützt und er vergab Lizenzen, mittlerweile ist dieser Schutz ausgelaufen. Diverse Instrumentenbauer und Reparateure arbeiten jetzt mehr oder weniger heimlich mit diesem Verfahren.

Natürlich wollte ich wissen, ob dieser Effekt anhält. Antwort: Grundsätzlich bleibt diese eingespielte „Offenheit“ bestehen, es sei denn, ich packe meine Gitarre jetzt für lange Zeit in den Koffer, dann verliert sich das wieder teilweise, kann aber durch häufiges und intensives Spielen auf den gleichen Stand gebracht werden wie jetzt.

Das Ganze hat 150 € gekostet. Dafür bin ich mit meiner M-32 wieder absolut zufrieden, sie ist besser als sie je war und in Wiesloch muss die Stevens auf jemand anderen warten, der sie kauft.

Mary ist immer noch „nur“ eine Gitarre. Sie klingt zwar erheblich besser, aber ich mache beim Spielen immer noch genau so viele Fehler und sie verzeiht Spielfehler immer noch nicht; ich bin immer noch kein besserer Mensch geworden und das Klavier zuhause ist immer noch lauter. Ich habe trotzdem nicht nur meine M-32 mit nach Hause genommen, ich habe die M-14 gleich zur Behandlung bei Hartmut gelassen.

Noch Fragen, Euer Ehren? ;-)

Schönen Tag noch!

Matthias



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