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(Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hallo Leidenschaftsgenossen,

nur mal ein kurzer Gedanke, nicht zuletzt, weil ich mich neulich erst wieder fremdschämen musste. Einer meiner wichtigsten Lektionen als Musiker war folgende:

Um die eigenen Zuhörer emotional berühren zu wollen, sollte man die eigenen Emotionen nicht zur Schau stellen. Denn damit sagst man zum einen, dass man dem Material nicht vertraut, zum anderen zeigst man, dass es im Grunde um einen selber geht und nicht um den Song, und das ist die grösste Illusion, die sich ein Musiker m. E. machen kann.

Wenn man eine gewisse Distanz zwischen seiner Person und der Musik nicht bewahren kann, hat man bereits verloren. Pathos wird einen nur lächerlich machen, denn jeder wird instinktiv wissen: Der Musiker möchte eine bestimmte Reaktion hervorrufen und seine Zuhörer emotional manipulieren. Man hat aber nur eine reelle Chance: Dem Publikum die Wahl lassen, wie es sich zum Dargebotenen verhalten kann, und das geht nur durch eine gewisse persönliche Neutralität dem Material gegenüber. Alles andere kann leicht ins peinliche lappen und eine Lektion sollte sich jeder Musiker sowieso immer ganz vorne ins Heft schreiben: Unterschätze Dein Publikum nicht. Niemals.

Wie seht ihr das?

Bestes,

MAddin


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

'Morgen Martin

Das ist mir zu einseitig resp zu veralgemeinenrd. Es geht um eine Gesamtpräsenz, wo die Sollbruchstelle durchläuft ist ein gesamtes der einzelnen Komponenten - ich, meine Musik, meine Darbietung, mein Publikum, der Ort des Geschehens, etc - und daher individuel.

Aber viellecht hab' ich Dich auch nicht ganz verstanden, ist ja noch furchtbar früh :-))


Liebe Grüsse, Manuel

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi MAddin,

sehe ich genau umgekehrt. Nichts finde ich langweiliger als emotionslos auf der Bühne anscheind gelangweilt rumstehende Musiker. Bei einem Livekonzert gehört die Persönlichkeit des Musikers und seine Selbstdarstellung für mich mit zum Gesamterlebniss, ansonsten könnte ich mir auch eine CD anhören.

Für mich ist es gerade wichtig das keine Distanz zwischen Musiker und der von ihm dargebotenen Musik besteht, sondern er sich mit ihr identifiziert.

Sowas kann natürlich immer mal (gerade bei Amateurbands) ins Peinliche oder Lächerliche abrutschen. Aber genauso peinlich sind distanziert auf der Bühne rumstehende Musiker.

Emotional bitte nicht mit herumgehampel verwechseln!

Das ist auch unabhängig vom Musikstil gilt von Klassik über Jazz bis Hip Hop.

Rock'n Roll
Guido




Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hallo,

sehe ich genauso.

Zum einen verweise ich auf meinen Fred zum Konzert von Scott Henderson, welches musiklaisch zwar herausragend, aber auf Grund seiner extremen Introvertiertheit für mich etwas befremdend war.

Und im Amateurbereich.....meine Band lebt einzig von der Energie und dem Spaß, den wir auf der Bühen haben. Das nach draußen zu transportieren, ist das A und O unserer Auftritte.
Musikalisch gibt es tausende Coverbands, die besser, perfekter usw. sind. Oder anders ausgedrückt: es gibt keine guten Aufnahmen von uns.... :-)

Liebe GRüße

Uli
(dem jetzt schon die Düse vor nächsten Samstag geht)


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.



Lieber Martin,


: Hallo Leidenschaftsgenossen,


geile Anrede, und so geht's ja auch weiter:



: Um die eigenen Zuhörer emotional berühren zu wollen, sollte man die eigenen Emotionen nicht zur Schau stellen. Denn damit sagt man zum einen, dass man dem Material nicht vertraut, zum anderen zeigt man, dass es im Grunde um einen selber geht und nicht um den Song, und das ist die grösste Illusion, die sich ein Musiker m. E. machen kann.

Geiler Gedanke. Ich bin hin und weg. Kann ich auch sofort auf mich selber anwenden. Wenn ich Musik mache, kann man in meinem Gesicht jeden Ton mitlesen, da habe ich keinerlei Kontrolle drüber, und ehrlich gesagt, nervt mich das schon immer furchtbar. Zappa hingegen: Alles Distanz, Beherrschung, Kontrolle. Und man hört es eben auch.



: Wenn man eine gewisse Distanz zwischen seiner Person und der Musik nicht bewahren kann, hat man bereits verloren. Pathos wird einen nur lächerlich machen, denn jeder wird instinktiv wissen: Der Musiker möchte eine bestimmte Reaktion hervorrufen und seine Zuhörer emotional manipulieren.

Das ist, glaube ich, nicht ganz richtig. Zur Schau gestellte Emotion ist meistens keine bewusst eingesetzte Manipulation, sondern wahrscheinlich eher so eine Art Selbstläufer (Beherrschungsmangel).




: Man hat aber nur eine reelle Chance: Dem Publikum die Wahl lassen, wie es sich zum Dargebotenen verhalten kann, und das geht nur durch eine gewisse persönliche Neutralität dem Material gegenüber.

Das leuchtet mir wieder vollständig ein. Ist allerdings auch ein sehr theoretischer Ansatz (womit ich ihn aber keinesfalls abwerten möchte).




Alles andere kann leicht ins Peinliche lappen, und eine Lektion sollte sich jeder Musiker sowieso immer ganz vorne ins Heft schreiben: Unterschätze Dein Publikum nicht. Niemals.

Im Ernst? Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen schnöselig, aber besteht bei den meisten Publikums (Publikumsen? Pupslika?) nicht eher die Gefahr, sie zu überschätzen?




Wie auch immer. Für mich jedenfalls einer der vielsagendsten Beiträge der letzten Jahre.

Gruß,

Michael




NP: Roy Hargrove, Liquid Streets

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hallo

: Um die eigenen Zuhörer emotional berühren zu wollen, sollte man die eigenen Emotionen nicht zur Schau stellen. Denn damit sagst man zum einen, dass man dem Material nicht vertraut, zum anderen zeigst man, dass es im Grunde um einen selber geht und nicht um den Song, und das ist die grösste Illusion, die sich ein Musiker m. E. machen kann.

mag ich gar nicht nachvollziehen. Wenn ich mich doch tief emotional von meiner eignen Musik berühren lasse und dies auch nach aussen in Mimik und Gestik zeige, ist die IMO genau das Gegenteil von dem, was Du hier beschreibst. Es zeigt das ich mit der Musik tief verbunden, vertraut und eins bin.

Es wäre doch ein grobe Verstellung dann bei der Darbietung absolut neutral und kühl zu sein bzw. es wäre gar nicht möglich die Musik, so sie denn Gefühl bewirkt, entsprechend ausdrucksvoll darzubieten. Ich weiß nicht, wie oft Du z.B. klassische Orchester live erlebt hast. Da kannst Du genau das erleben, was Du schreibst. Ich habe die xyz Symphoniker erlebt wie sie versucht haben Piazzolla zu geben, der meiste Teil der Musiker schien bei der Ausübung unberüht und so auch das Publikum und ich habe die Kremerata Baltica unter Gidon Kremer erlebt und das Orchester nebst Musik brannte. Das Publikum tobte.


: Wenn man eine gewisse Distanz zwischen seiner Person und der Musik nicht bewahren kann, hat man bereits verloren. Pathos wird einen nur lächerlich machen, denn jeder wird instinktiv wissen: Der Musiker möchte eine bestimmte Reaktion hervorrufen und seine Zuhörer emotional manipulieren.

Das hört sich eher danach an, als wenn man seiner selbst und der Musik nicht sicher ist.

Und Musik ist immer Manipulation, ob beabsichtigt oder nicht. Darum geht es doch gerade. Das Publikum möchte manipuliert werden, es möchte auf eine Reise gehen. Musik soll erzählen, dich mitnehmen, dich tief berühren. Was ist das anderes als Manipulation.


: Wie seht ihr das?

Wie Du liest, ganz anders!

Herzliche Grüße

Rolli

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Moin,
also ich würde das Gegenteil behaupten wollen.
Ich unterscheide hier vielleicht zwischen einstudierter "Emotion", also einer Bühnenshow die allzu offensichtlich nicht echt ist.
Mag ich nicht von anderen sehen, aber auch nicht selber darbieten.
Hier wäre ich bei Dir in der Begriffsbelegung "Peinlich"

Aber wenn es echt ist, dann darf, nein MUSS es raus.
Energie im Solo, richtig loslassen, es läuft, singt, schreit.... wie sterbenslangweilig sind denn dann Leute die mit unbewegter Mine auf der Bühne rumstehen und ihr Zeug abfeuern?
Geht gar nicht.

Ich meine das sowas:


zu sowas führt:


und gerade da unterschätzt man sein Publikum nicht... die wollen Spaß, Unterhaltung und eine fette Party und keine langweiligen Säcke die lustlos ihr Zeug mit höchster Distanz "abarbeiten".

Grüße
MIKE

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Ah,

merci für die Einwände! Allgemein finde ich ja auch nicht unbedingt, das Kraftwerk das nonplusultra des Bühnenbetragens sind. Natürlich ist es schön, wenn man merkt, dass da jemand auch Spass an dem hat, was er tut (ob man dabei immer so rumhampeln muss wie Chris Martin - nun ja.)

Rolli, Deine Sicht der Dinge leuchtet mir auch ein, Irgendwie. Vielleicht kommt es (mal wieder) auf ein (langweiliges) rechtes Maß zwischen Distanz und Einbezogenheit an? Evtl. möchte ich zumindest (unterbewußt) wissen, dass die Person eine distanzierte Positionen einnehmen könnte...

Finde ich ok

Nicht ok

(Kleiner Scherz.)


Was ich allerdings nicht unterschreiben möchte, ist, dass alle Musik Manipulation sei. Da ist - für mich zumindest - eine riesige Lücke zwischen dem Angebot (von Kunst allgemein) und der Art, wie sie präsentiert wird. Ich möchte mich dem immer noch verweigern können und dürfen, wenn ich keine Lust dazu habe.

Michael,

Das ist ja die Kunst des Künstlers: Obwohl man weiss, dass das Publikum zu 90% aus degenerierten Minimalintelligenzlern besteht, es trotzdem nicht zu unterschätzen :)

MAddin


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

haha ;)

das letzte bild von mike ist super!

da kann man gut sehen, daß es "das" publikum gar nicht (vermutlich nirgendwo) gibt.
der alte herr in der jeans-jacke fühlt sich emotional total angesprochen, ja geradezu mitgerissen, während ich in den gesichtern der umstehenden jungen und älteren damen ein mehr oder weniger deutliches "gott, wie peinlich" ablesen zu können glaube ;)

nee, aber im ernst - ich bin da ganz bei euch: ohne emotionen braucht man gar nicht auf eine bühne zu gehen...


cheers - 68.

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Mahlzeit,

: Finde ich ok

: Nicht ok

: (Kleiner Scherz.)

ja der ist gut! Der Scherz! Ich werfe mich jedes mal weg, wenn ich den sehe.



: Was ich allerdings nicht unterschreiben möchte, ist, dass alle Musik Manipulation sei. Da ist - für mich zumindest - eine riesige Lücke zwischen dem Angebot (von Kunst allgemein) und der Art, wie sie präsentiert wird. Ich möchte mich dem immer noch verweigern können und dürfen, wenn ich keine Lust dazu habe.

Klar, verweigern kann man sich, wenn man das Auditorium verlässt. Das haben z.B. bei dem Konzert der Kremerata Baltica einige des Abo-Publiums in ihren Nerzen und Pelzroben in der Pause auch schnell gemacht :o)

Aber ich bezog meine Aussage mal nur auf die Musik, die ich kenne. Es gibt jetzt wahrscheinlich Bereiche wie Techno, Electronica, 12-Ton Musik etc pp wo ich mit meiner Annahme vielleicht völlig falsch liege.

LG
Rolli

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

hehe,
stimmt.... das war relativ zu beginn des gigs, da sahen die beiden mädels noch etwas "distanziert" aus ;-)
aber auch die hat´s nachher noch mitgerissen. ist aber verständlich dass das was dauert - den 17jährigen ist das doch heutzutage peinlich zwischen den ganzen alten menschen abzufeiern.
über das stadium war der ältere herr im jeansjäckchen lange raus... der hat vom ersten ton derart gasgegeben das uns schon angst und bange wurde ;-)))

Grüße
MIKE

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Moin MIKE,

: Energie im Solo, richtig loslassen, es läuft, singt, schreit....

wobei ich anmerken möchte, dass dies nicht nur für Solo, Soli, Solos, Soletten etc gilt. Der allgmeine Vortrag egal ob jetzt auf Blockflöte, Triangel, in der Begleitung oder beim Zuhören kann/sollte entsprechend "echt" emotional wirken.

Grüße
Rolli

PS: Es gibt z.B. einen Gitarrero namens Walter Becker (Steely Dan) der meist ohne jegliche Regung Gitarre spielt. Ich hab ihn einige Male live erlebt und dachte das steht ein Toter hinter der Gitarre.
Wenn er dann singt (was selten der Fall ist) geht er geradezu aus sich raus :o)
Wenn Walter singt!


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Moin Rolli,
oha... das ist beim Singen schon "aus sich rausgehen".... wobei... SINGEN ist für die Darbietung als Beschreibung auch schon arg übertrieben.
Und richtig... natürlich bezieht sich das auf jeden musikalischen Beitrag, da ich aber so selten an der Triangel brillieren kann, dachte ich ich bezieh´s mal auf die Soli ;-)

Grüße
MIKE

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi,

abgesehen von

a) einer gewissen Vorauswahl des Programms

b) einer Anpassung des Laustärkepegels nach

schere ich mich nicht sonderlich um die Wahrnehmung meiner. Beim Solieren verziehe ich bestimmt schon mal das Gesicht, "beim Wahen" neige ich sogar dazu, den Ton mit dem Mund mitzuformen (peinlich?), reißt mich der Gesamtsound mit, tanze ich auf der Stelle, habe oft die Augen zu, werfe häufig Blicke zu den anderen, lache ihnen zu, gebe meiner Verwunderung über eine bislang ungeprobte Akzentuierung auf dem Schlagzeug Ausdruck usw. Von Neutralität keine Spur.

Ich mache aber keine Show, damit jemand das sieht und sich mitgerissen fühlt. Ich denke, darum geht es dir.

Ganz wichtig finde ich aber, dass vor allem der Sänger mit den Leuten kommuniziert. Der Blick gehört ins Publikum und nicht auf den Bühnenboden.

Live-Musik ist Kommunikation!

Gruß, ferdi


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hallo Maddin,

sehr interessante Frage. Ich habe neulich zum ersten mal eine DVD eines unserer Konzerte gesehen. Mit Abstand zum Gig, der gefilmt wurde.








Ich bin sehr überrascht über die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Naja, als Eigenfremdwahrnehmung, also mich selbst "von aussen" agierend zu sehen ist ja immer noch mal was anderes, als wenn mich jemand anderes sieht.

Am ehesten hat mich das an das Gefühl erinnert, als ich zum ersten Mal meine Stimme aufgenommen gehört habe - irgendwie fremd. So klinge ich doch nicht! Und genauso war es bei der Filmaufnahme - hey, so bewege ich mich doch nicht!!

Ich weiss, dass ich auf der Bühne selten still stehe und gerade, wenn ich meinen Spass habe, dann denke ich nicht grossartig nach.

Aber Herrschaften, von aussen betrachtet, ist das schon ganz schön peinlich, das Gehampel.

gruss
Tom

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi Gemiende,

: Nicht ok


Drummer takes the show.


Da fällt mir gerade ein:
Habe die Tage irgend so ne Popmucke im Fernsehn gesehen (war also eher playback)
Und da hat der Drummer bei einem vollkommen straighten Beat jeden Schlag auf der Ssssnare soooo ausgeholt, als wolle er Hau den Lukas machen. Also Hand mdst. in Kopfhöhe gehoben.

Den Kerl fand ich affektiert und bescheuert. Allein deswegen (!) hat mir der ganze Song nicht gefallen....
Wenn in meiner Band einer meinte, er müsse so spielen, gäbs direkt ein paar vor die F.....(upps, gewaltfreie Kommunikation geht glaub ich anders....haha hoho)

just my 2 cent

Uli

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi Martin,

: nur mal ein kurzer Gedanke, [...]

ein sehr interessanter Gedankengang ist das, vielen Dank dafür. Teilweise will ich Dir ja gern recht geben, aber ich denke, es geht nicht so sehr um emotionale Neutralität wie um Authenzität.

Als ich 12 oder 14 war, da mochte ich Eric Clapton sehr. Das war spätestens dann vorbei, als sein Sohn diesen schrecklichen Unfall hatte und Claptons Songs so furchtbar traurig wurden. Da konnte ich nichts mehr mit ihm anfangen, was Deine These stützt.

Andererseits stößt mich Emotionalität nur selten ab, wenn sie echt ist (oder: auf mich echt wirkt). Auch die im Thread angesprochene intellektuelle Distanziertheit bei zB Walter Becker finde ich okay, weil man merkt, daß der Typ eben so ist.

Mein Wunsch an einen Performer, der mir gefallen soll: sei ganz Du selbst. Wobei mir natürlich schmerzhaft bewusst ist, daß es überhaupt nicht darauf ankommt, was mir gefällt.

Wobei: der koreanische Drummer ist ja schon so dreist, daß es für sich ja auch schon wieder geil ist. Ich versuch mir in letzter Zeit ja immer zu sagen: wenn ich schon aus der Pflicht heraus irgendwas tun muss, dann kann ich es ja um meiner Ausgeglichenheit willen auch mit Freude tun. Und vielleicht denkt dieser Drummer ja genauso. :-)

Keep rockin'
Friedlieb

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Lieber Martin,

das ist schwierig.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dich richtig verstehe. Wenn ich das mal umsetze, stellt sich mir anhand eines Beispiels folgende Frage: Du fandest also Chris Whitley auf der Bühne wirklich immer schlecht und hast Dich geschämt? Das glaube ich nicht.

Meiner Ansicht nach sollte man einem wirklichen Künstler "in die Seele schauen" können, wenn er spielt. Da sehe ich durchaus Emotionalität als wichtiges Element an. Beispiel: Wer lange auf Tour ist, darf bei einem Song über Heimweh schon mal an zuhause denken und innerlich emotional werden. Ich denke, dass man hört, ob jemand wirklich gerade eins wird mit der Musik oder nicht.

Das darf aber nicht so weit gehen, dass er sich völlig entblößt - allzu viel Nacktheit kann wirklich schnell zum Fremdschämen führen. Zusammen mit Pathos geht das gar nicht. Wenn also beim Song über Heimweh der Beamer angeworfen wird, das Kind des "Künstlers" erscheint überdimensional und der "Künstler" beginnt im letzten Refrain zu weinen, dann ist das einfach peinlich.

Gruß

erniecaster

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Freud&Leid-Genossen,

das ist doch mal ein guter thread, null Fischgeruch.

Sind Poser gemeint, gibt es keinen Dissens.

Aber wo beginnt posen und wo endet der Versuch, nicht nur die Musikerpolizei durch souveräne-distanzierte Demonstration überlegenen Könnens in Schockstarre zu versetzen, sondern auch das Nichtmusiker-Paar mitzunehmen, das an diesem Abend die Wahl zwischen Club, Kino, DVD-Ausleihen, Restaurant hatte und irgendwie bei Live-Musik gelandet sind.

So unspannend es klingen mag, ich halte den Versuch für ehrenwert und fern von Harmoniesucht, beides versöhnen zu wollen.

Das kann imho gelingen, wenn das, was wir tun, authentisch ist.
Aufgesetzt, Pose, das ist durchschaubar, schafft Distanz und keine Nähe. Aber wenn wir uns beim Spielen Mühe geben und selbst das Gefühl haben, dass der Sound stimmt und das, was man spielt, im Einklang mit dem Moment, dem Stück und dem, was die anderen auf der Bühne machen, steht, dann soll man das auch zeigen.

"Um die eigenen Zuhörer emotional berühren zu wollen, sollte man die eigenen Emotionen nicht zur Schau stellen. Denn damit sagt man zum einen, dass man dem Material nicht vertraut, zum anderen zeigt man, dass es im Grunde um einen selber geht und nicht um den Song, und das ist die grösste Illusion, die sich ein Musiker m. E. machen kann." "Geiler Gedanke. Ich bin hin und weg. Kann ich auch sofort auf mich selber anwenden. Wenn ich Musik mache, kann man in meinem Gesicht jeden Ton mitlesen, da habe ich keinerlei Kontrolle drüber, und ehrlich gesagt, nervt mich das schon immer furchtbar. Zappa hingegen: Alles Distanz, Beherrschung, Kontrolle. Und man hört es eben auch."

Kunst ohne Können geht nicht. Aber nur auf das Werk, nicht auf den Interpreten zu setzen, anstatt beide im Idealfall zu einer Einheit werden zu lassen, führt in die Sackgasse.
Musik nur auf Distanz, Beherrschung und Kontrolle zu bauen ist Mona Lisa ohne Makel, Porno ohne Sexualität. Die magischen Moment in der Musik, in der Kunst, im Sport, möglicherweise ja im Leben, sind doch die, wo Kopf und Bauch gleichermaßen einen Höhepunkt erreichen. Und wenn Musik etwas mit Kommunikation zu tun hat, dann darf man das auch zeigen. Und bei Zappa war's ebenfalls geniale Show - nur anders eben.

mfgm

PS: Noch etwas Erdung. Was mich by the way SEIT JAHREN ankotzt sind Leute, die auf der Bühne rauslassen, was sie stört - schlechter Monitor, technische Probleme, gerissene Seiten, Zahnschmerzen, Freundin weg. Es interessiert keine Sau, weder die MuPo noch das Päärchen.








Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Viele Gute Gedanken!

Vielleicht kennt der eine oder andere den Film 'Heartworn Highway'. Darin gibt es eine Sequenz, die für mich auch in allen anderen Hinsichten zu den 2,5 bewegendsten Filmminuten ever gehören.

Jedenfalls sitzt dort Townes van Zandt nebst niedlicher Freundin und altem Nachbar in der Küche und spielt eines seiner Stimmungslieder - sieht man von ein paar dem Country-Idiom geschuldeten Kieksern mal ab, grösstenteils ohne emotionale Beteiligung. Irgendwann kommen dem alten Nachbarn die Tränen. Ich behaupte, das wäre nicht passiert, wenn TvZ das ganze noch mit dramatischen Gesichtsgebärden unterfüttert hätte.

Aber sehen sie selbst.

Tom2,
oh ja, Videos sind m.E. so wichtig für die Bandentwicklung wie sie peinlich sind. Ich frage mich heute noch, warum mich damals nie jemand darauf aufmerksam gemacht hat, das der wahrgenommene IQ einer Person schlagartig abnimmt, wenn sie beim Schlagzeugspielen die Zunge raushängen hat... ahem.

Friedlieb,
Authentizität ist so eine Sache... die steht bei mir ja immer noch vor dem Auspacken unter Faschismusverdacht. Woher soll man denn wissen, ob das "echt" ist? Und: was ist denn echt? Ich bin auf der Bühne zumindest in einer Stresssituation, die mein handeln stark beeinflusst. Wie oft habe ich schon an sich eloquente Menschen auf einer Bühne ungeprobte Ansagen machen hören, die sich eher nach einem akuten Verlust des Denkvermögens anhören... Genau wie Michaels möchte ich auch keinen Jammerlappen auf der Bühne sehen, der sich über irgendeine scheisse beklagt. Obwohl es den Lappen viell. in dem Moment wirklich extrems nervt und es sehr viel 'echter' wäre, wenn er dem Mixer an die Gurgel gehen dürfte. Nein, Athentizität ist für mich persönlich keine Kategorie, glaube ich.

Vielleicht trifft der Begriff der 'Professionalität' besser das, was meinem idealen Bühnengebaren am nächsten kommt. Am deutlichsten wird es evtl. mit Rednern: Es gibt für mich fast nichts grauenhafteres, wenn ein Redner - sei es Pastor oder Professor - aus der Rolle fällt. Ich erwarte einfach, das ein Performer den Inhalt angemessen rüberbringt, um es jetzt mal ganz platt zu sagen. Dazu gehört das Unterlassen von Klagen über die hohe Luftfeuchtigkeit genauso wie der Versuch, mir grosse Emotionen verkaufen zu wollen, obwohl die Tour seit 2 Monaten läuft. Und eben auch die gesunde Distanz zum eigenen Schaffen. Also eigentlich das genaue Gegenteil von Authentizität... ?

Und was Chris Whitley betrifft: Ja, den fand ich manches mal schon peinlich. Wohl auch, weil er eben nicht willens oder fähig war, die Grenze zwischen Kunst und Selbst zu ziehen. Aber das ist nochmal eine ganz andere Dimension, glaube ich.

Danke jedenfalls für die vielen Beiträge. Sehr erhellend. :)

MAddin

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Tach Mäddin!


Das ist ein interessanter Beitrag!

Hier mein Senf dazu:

Früher habe ich mir gedacht, man müsste relativ cool bleiben und eben keine Emotion zeigen oder nur wenig, weil's ja sonst peinlich wird. Zwischen den Songs dachte ich mir, komm, lach doch mal, das macht einen positiven Eindruck und keiner hält dich für arrogant.

Mittlerweile sehe ich das anders. Ich habe gemerkt, dass ich mich selbst ausbremse, wenn ich mir Gedanken um meine Außenwirkung in Bezug auf Gefühle zeigen mache. Deswegen lasse ich es einfach laufen, wie mir gerade ist und wie ich es empfinde. Ob's wer peinlich findet ist mir dann auch herzlich egal. Nach dem ersten Song weiß man meist, wie das Publikum drauf ist, und wenn's schlecht drauf ist, kann man das mit eigenen Stücken meist nur schwer ändern.
Viel wichtiger sind für mich aber Ansagen geworden, diese versuche ich schon einigermaßen amüsant zu halten, weil meine Songs meist eher emotional sind und ich nicht will, dass sich jemand runtergezogen fühlt wegen meines Gigs. Das heißt nicht, dass ich da jetzt den Komiker gebe, aber ein wenig Spaß muß sein.

Jedenfalls will ich auch Emotionen von anderen auf der Bühne sehen, sonst fühle ich mich verarscht, aber es müssen schon ehrliche sein und kein arrogantes Gehabe.

Es fällt mir innerhalb von Bands leichter die Emotionen rauszulassen und echt mit dme Herzen zu spielen, als wenn ich solo meine eigenen Songs spiele, dass ist eben noch etwas persönlicher, und da will ich nicht zu viel preisgeben, zumindest nicht mehr, als es meine Texte evtl. schon tun (auf die natürlich keiner hört, puh...,-))).

Ich denke, wenn das Publikum nachher lächelt und happy Bier bestellt, ist alles in Ordnung gewesen. Und wenn das Publukum nachher eben nicht gut drauf ist, muß man wenigestens ehrlich zu sich sagen können: ich habe alles gegeben und vor allem habe ich Spaß gehabt.


Mach's gut!


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi,

Finde ich auch, gilt aber für die ganze Band.

mir hat mal eine junge Frau vorgeschlagen, mir Jack Sparrow-mäßig offene Augen auf die geschlossenen Augenlider zu malen, damit es wenigstens so aussieht als ob.

Tja, den Schuh muss ich mri anziehen. Wenn's mich davon trägt, sind die Augen oft zu.

Peinlich, peinlich ;-)

Gruß, ferdi

Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

Hi Martin,

: Authentizität ist so eine Sache... die steht bei mir ja immer noch vor dem Auspacken unter Faschismusverdacht. Woher soll man denn wissen, ob das "echt" ist? Und: was ist denn echt? Ich bin auf der Bühne zumindest in einer Stresssituation, die mein handeln stark beeinflusst. Wie oft habe ich schon an sich eloquente Menschen auf einer Bühne ungeprobte Ansagen machen hören, die sich eher nach einem akuten Verlust des Denkvermögens anhören... Genau wie Michaels möchte ich auch keinen Jammerlappen auf der Bühne sehen, der sich über irgendeine scheisse beklagt. Obwohl es den Lappen viell. in dem Moment wirklich extrems nervt und es sehr viel 'echter' wäre, wenn er dem Mixer an die Gurgel gehen dürfte. Nein, Athentizität ist für mich persönlich keine Kategorie, glaube ich.

: Vielleicht trifft der Begriff der 'Professionalität' besser das, was meinem idealen Bühnengebaren am nächsten kommt. [...]

das könnte sein. Ich kann mit dem Begriff der Professionalität auch viel anfangen.

Mit Authenzität meine ich allerdings vermutlich etwas anderes als Du. Was Du da - ablehnend - schilderst, bezieht sich imho eher auf die heute leider oft anzutreffende Pervertierung des Authenzitätsbegriffs. Authenzität heißt für mich eben nicht, daß man sich danebenbenehmen kann, wie es einem beliebt, weil "man ist ja authentisch". Authenzität ist auch nicht gleichzusetzen mit ungebremster Emotionalität.

Was ich meine: ein jeder Mensch hat ein Spektrum von Möglichkeiten, in dem er sich bewegt. Innerhalb dieses Spektrums bin ich ich. Außerhalb verbiege ich mich so sehr, daß ich etwas oder jemanden darstelle, der nicht ich ist. Die Grenzen dieses Spektrums sind unscharf, fließend, und außerdem ändert sich dieses Spektrum täglich und ist von Stimmungen, Tagesform etc. abhängig.

Wenn jetzt jemand zB in einem Vorstellungsgespräch zu dick aufträgt, sein Spektrum deutlich verlässt, dann wirkt er nicht mehr authentisch, und er fällt allein schon deshalb durch. Andererseits kann man auf der Arbeit auch bei Tätigkeiten, die man eigentlich nicht gern macht, bei Gesprächen, die man nicht gern führt und so doch führen muss, durchaus innerhalb seines Spektrums bleiben.

Manchmal muss man sich dafür zusammenreißen. Das ist für mich dann Professionalität und vollkommen in Ordnung. Wenn man dabei aber zu oft die Grenzen seines Authenzitäts-Spektrums überschreitet, ohne daß dieses schnell genug mitwächst, dann macht man entweder was falsch oder das Falsche.

Wenn ich es richtig verstanden habe, hast Du in Deinem Ursprungsposting das hemmungslose "den eigenen Emotionen Ausliefern" angeprangert, was man natürlich immer wieder erlebt. Das finde ich auch blöd. Hat aber nichts mit Authenzität zu tun. Ich erzähl jetzt mal eine Geschichte, die mir immer noch eine Gänsehaut macht, wenn ich nur dran denke.

Kurz vor einem Gig wurde eine gute Freundin unserer Sängerin vergewaltigt und ermordet. Wir waren alle schockiert, insbesonde natürlich unsere Sängerin, und ich hätte es gut verstanden, wenn sie den Gig daraufhin hätte absagen wollen. Aber sie wollte den durchziehen und das hat sie auch sehr professionell und wirklich gut gemacht. Vor dem Stück "Brazen/Weep" (im Original von Skunk Anansie) hat sie dann dem Publikum ganz kurz die Sache mit der Freundin erzählt und ihr diesen Song gewidmet. Im Publikum konnte man eine Stecknadel fallen hören. Und dann hat sie diesen Song so unglaublich gut gesungen wie noch nie, sehr emotional, aber nicht pathetisch. Und wir haben uns auch irgendwie ziemlich reingehangen, aber letztenendes auch getragen gefühlt. Da waren keine Tränen auf der Bühne, wir haben das schon professionell durchgezogen. Ein paar Tränen gab es dann im Publikum, man hat gemerkt, daß die Leute berührt waren.
Und das fand ich authentisch, und es war kein bisschen peinlich.

Keep rockin'
Friedlieb


Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.

http://de.youtube.com/watch?v=Y8Av--dK3Gw


Hi Chico,

die vielen Begriffe (im gesammten Fred) sagen mir nicht viel. Neutralität, Authentizität, Professionalität etc.

Mir ist viel wichtiger, ob jemand eine eigene Haltung hat, und dann kann zwischen Zurückhaltung und starken gezeigten Emotionen alles geschehen ohne dass es mich abstösst oder peinlich berührt.

Gruss
Michael