Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne.Beitrag von Friedlieb vom November 25. 2008 um 18:55:39: Als Antwort zu: Re: (Philosophie) Neutral auf der Bühne. geschrieben von Chico Tarde am November 21. 2008 um 16:59:45: Hi Martin,: Authentizität ist so eine Sache... die steht bei mir ja immer noch vor dem Auspacken unter Faschismusverdacht. Woher soll man denn wissen, ob das "echt" ist? Und: was ist denn echt? Ich bin auf der Bühne zumindest in einer Stresssituation, die mein handeln stark beeinflusst. Wie oft habe ich schon an sich eloquente Menschen auf einer Bühne ungeprobte Ansagen machen hören, die sich eher nach einem akuten Verlust des Denkvermögens anhören... Genau wie Michaels möchte ich auch keinen Jammerlappen auf der Bühne sehen, der sich über irgendeine scheisse beklagt. Obwohl es den Lappen viell. in dem Moment wirklich extrems nervt und es sehr viel 'echter' wäre, wenn er dem Mixer an die Gurgel gehen dürfte. Nein, Athentizität ist für mich persönlich keine Kategorie, glaube ich. : Vielleicht trifft der Begriff der 'Professionalität' besser das, was meinem idealen Bühnengebaren am nächsten kommt. [...] das könnte sein. Ich kann mit dem Begriff der Professionalität auch viel anfangen. Mit Authenzität meine ich allerdings vermutlich etwas anderes als Du. Was Du da - ablehnend - schilderst, bezieht sich imho eher auf die heute leider oft anzutreffende Pervertierung des Authenzitätsbegriffs. Authenzität heißt für mich eben nicht, daß man sich danebenbenehmen kann, wie es einem beliebt, weil "man ist ja authentisch". Authenzität ist auch nicht gleichzusetzen mit ungebremster Emotionalität. Was ich meine: ein jeder Mensch hat ein Spektrum von Möglichkeiten, in dem er sich bewegt. Innerhalb dieses Spektrums bin ich ich. Außerhalb verbiege ich mich so sehr, daß ich etwas oder jemanden darstelle, der nicht ich ist. Die Grenzen dieses Spektrums sind unscharf, fließend, und außerdem ändert sich dieses Spektrum täglich und ist von Stimmungen, Tagesform etc. abhängig. Wenn jetzt jemand zB in einem Vorstellungsgespräch zu dick aufträgt, sein Spektrum deutlich verlässt, dann wirkt er nicht mehr authentisch, und er fällt allein schon deshalb durch. Andererseits kann man auf der Arbeit auch bei Tätigkeiten, die man eigentlich nicht gern macht, bei Gesprächen, die man nicht gern führt und so doch führen muss, durchaus innerhalb seines Spektrums bleiben. Manchmal muss man sich dafür zusammenreißen. Das ist für mich dann Professionalität und vollkommen in Ordnung. Wenn man dabei aber zu oft die Grenzen seines Authenzitäts-Spektrums überschreitet, ohne daß dieses schnell genug mitwächst, dann macht man entweder was falsch oder das Falsche. Wenn ich es richtig verstanden habe, hast Du in Deinem Ursprungsposting das hemmungslose "den eigenen Emotionen Ausliefern" angeprangert, was man natürlich immer wieder erlebt. Das finde ich auch blöd. Hat aber nichts mit Authenzität zu tun. Ich erzähl jetzt mal eine Geschichte, die mir immer noch eine Gänsehaut macht, wenn ich nur dran denke. Kurz vor einem Gig wurde eine gute Freundin unserer Sängerin vergewaltigt und ermordet. Wir waren alle schockiert, insbesonde natürlich unsere Sängerin, und ich hätte es gut verstanden, wenn sie den Gig daraufhin hätte absagen wollen. Aber sie wollte den durchziehen und das hat sie auch sehr professionell und wirklich gut gemacht. Vor dem Stück "Brazen/Weep" (im Original von Skunk Anansie) hat sie dann dem Publikum ganz kurz die Sache mit der Freundin erzählt und ihr diesen Song gewidmet. Im Publikum konnte man eine Stecknadel fallen hören. Und dann hat sie diesen Song so unglaublich gut gesungen wie noch nie, sehr emotional, aber nicht pathetisch. Und wir haben uns auch irgendwie ziemlich reingehangen, aber letztenendes auch getragen gefühlt. Da waren keine Tränen auf der Bühne, wir haben das schon professionell durchgezogen. Ein paar Tränen gab es dann im Publikum, man hat gemerkt, daß die Leute berührt waren. Und das fand ich authentisch, und es war kein bisschen peinlich. Keep rockin' Friedlieb
Dieser Beitrag ist älter als 3 Monate und kann nicht mehr beantwortet werden. |