Wichtig is´auf´n Platz


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Beitrag von Harvey vom März 23. 2001 um 08:57:33:

Als Antwort zu: Mein persönliches Waterloo geschrieben von Ralf am März 22. 2001 um 19:33:32:

(Adi Preißler, Fußballtrainer - in unserer Branche Platz = Bühne, oder Studio ...)

Will sagen - was Du im Musikladen spielst, hat mit dem, was Du unter anderen Bedingungen spielen kannst (und auch spielst, da wette ich drauf), u.U. nichts zu tun. Zählt auch nicht. Höchstens für dich selbst.

Kann ich Dir im übrigen alles gut nachfühlen - bei Gitarristen kommt noch das Höher-Schneller-Weiter-Syndrom dazu - als müssten sie ausgerechnet bei der Gelegenheit mal wieder zeigen, wer den längsten hat. Und wer dann kein Alpha-Gen in sich trägt, hat erst mal Probleme.

Es gibt eben Raub- und Fluchttiere (Hasen z.B.) mit Tarnmechanismen - die bis zur Lähmung führen können, wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind oder subjektiv so erscheinen - psychosomatisch gesteuert über Endorphine, körpereigene Opiate - alles blockiert, betäubt, verwirrt, es ist alles plötzlich so gnadenlos LAUT und DIREKT, das Herz klopft, nichts fällt einem mehr ein, die Finger klamm usw ... wie das Kaninchen vor der Schlange (bzw. als Frosch auf dem Seziertisch vor dem Musikladenbesitzer). Unter diesen gibt es auch noch Spezis, die einen ganz freundlich anlächeln und sich innerlich dabei kaputtlachen, weil man so einen Schrott spielt ... aber er will ja etwas verkaufen ... also lächelt er den Kretin an). Und ein einzelner Beobachter kann höllischer sein als ein Mob von 1000 Tanzwütigen vor der Bühne ...

Voyeur meets Exhibitionist mit ausgefahrenen Ellebogen (alle Regler auf 10) oder Schüchternen. Die zweiten sind mir persönlich ja lieber, weil sich hinter der Schüchternheit meist etwas Schützenswertes verbirgt, bei den anderen ist immer gleich alles so offensichtlich und platt, entsprechend uninteressant (für Frauen gilt dasselbe).

Diejenigen, die einen anschauen, sind übrigens oft gar nicht so sehr mit dem Spielenden beschäftigt wie der mit sich selbst (gilt auch für Auftritte) - aber dessen Paranoia erzeugt diesen Eindruck. Die anderen kennen auch nicht unbedingt die Diskrepanz zwischen dem, was Du gerade spielst, und eigentlich spielen KÖNNTEST, das weißt nur Du, also entspannen ... warum in den Hirnen Sterblicher etwas gelten wollen ... ;-)))

So eine Angst und Scheu, sich frei zu bewegen und zu zeigen, kann sinnvoll sein, weil sie einen schützt (wie den Hasen vor dem Fuchs), irgendwann ist sie aber auch neurotisch und verhindernd, wenn man sich gar nicht mehr aus dem Gebüsch traut (bzw. Separée).

Was hilft? Eine Portion fettes Ego mit Größenwahn? Lieber nicht, woher auch nehmen.

Mir hilft es in solchen Situationen (im Musikladen oder auf den Bühnen dieser Welt), die Außenwelt auszublenden - oder besser noch andersrum, positiv: Mich völlig auf mein eigenes Gefühl zu konzentrieren - also auf meinen Ausdruck und nicht auf den Eindruck, den ich möglicherweise machen könnte, also mich als Ego zu vergessen, mich selbst dafür wichtiger zu nehmen. Und zum Testen muß ich nicht virtuos spielen, da reichen oft drei Akkorde oder was Einfaches. Sollen die anderen doch denken was sie wollen, ich weiß es besser ...

Und - vielleicht immer wieder hingehen, genau das tun, wovor man Angst hat, bis es erträglich oder normal wird (meine zweite Musikladen-Phobie hat damit zu tun, mich schuldig zu fühlen, nichts gekauft zu haben - aber ich arbeite daran, auch in solchen Fällen den Laden entspannt zu verlassen ...). Ansonsten .. der einzige mir bekannte Musikladen mit Separées ist "Art of Sound" in Kölle am Rhing. Aber selbst das schützt einen nicht vor der Paranoia, 100%ig schalldicht ist so was auch nicht, irgendwann muß man raus wie aus der Peep-Show-Zelle, und alle wissen: DU WARST DAS ALSO. Besser am eigenen Problem arbeiten als nach den optimalen Bedingungen suchen (ach ja, Mail-Order gibt´s noch - da hört zuhause nur der Nachbar mit).

Zwischen Exhibitionisten und Revierängstlern gibt es übrigens auch noch Leute, die offensichtlich wenig Probleme damit haben, in der Öffentlichkeit "in sich zu ruhen". Vor kurzem begegnete mir einmal so ein Mittvierziger - mit Aktentasche, Scheitel links, wie das Klischee eines Postbeamten mit Weste und Ärmelschonern, Brille auch.

Und der ging zu dem langhaarigen Verkäufer (VoKuHiLa-Frisur, Röhrenjeans, Stiefel etc., Schilddrüsenüberfunktion, Abteilung Speed-Metal) und meinte ganz trocken, er spiele schon länger einen Marshall DSL und suche was Heißeres - innerlich war ich schon gespannt (der VoKuHiLa eher nicht), was so einer damit anfangen würde, aber hallo - der stellte seine Aktentasche ab, stöpselte in einen 5150 ein und spielte einfach vor sich hin, ganz in sich selbst versunken, souverän, mit einem natürlichen "Selbstberechtigungsgefühl", ohne auf Publikum zu achten, weder zu laut noch zu leise, und SAUGUT! Wer hätte das gedacht. Beneidenswert, aber Neid ist sowieso Blödsinn bzw. sinnlos.

Cheers, Harvey

p.s.: Wenn Du noch weißt, was ein Quintaner ist, bist Du entweder nicht mehr ganz jung oder in einem katholischen Internat aufgewachsen ... mußt Du aber nicht verraten, als Hase ...

NP: Waterloo (Black Sweden)





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