Re: Wichtig is´auf´n Platz


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Beitrag von Friedlieb vom März 23. 2001 um 10:46:15:

Als Antwort zu: Re: Wichtig is´auf´n Platz geschrieben von saidy am März 23. 2001 um 09:51:18:

Hi Saidy,

: eigentlich hatte ich keine Zeit zu lesen...aber ich hab mich "festgebissen"

ging mir ähnlich. Eigentlich fast immer, wenn Dr. Harvey Freud uns mit in die Tiefen der menschlichen Seele nimmt. :-)

: Hoffentlich hilft es mir morgen, da muß ich wiedermal eine Schulung durchführen.

Dann mal gut schul!

: Wie helft ihr euch in diesen Situationen liebe Aussensaiterinnen und Aussensaiter? :-)

Ich kann mich noch gut an meine erste Schulung erinnern. Ich war im dritten Semester oder so, umd ein Kumpel hatte mich gefragt, ob ich nicht seine Nachfolge für einen VHS-Kurs "Textverarbeitung mit Word" (für DOS) antreten wollte. Nun, "ich war jung und brauchte das Geld" und so hab ich dann zugesagt. Ich hatte zwar vorher schonmal mit Leuten zusammengehockt, die weniger davon wußten als ich und hatte ihnen was erklärt, aber noch nie vor einer solch großen Menschenansammlung als Mittelpunkt gesprochen (außer in der Schule vor der Klasse oder im Studium, aber da ist man ja einer unter Gleichen).

Mann, war ich aufgeregt. Am Tag vorher hab ich überlegt, was mir alles zustoßen könnte, um der Schulung zu entgehen. Ob ich mir vielleicht einen Arm brechen könnte oder sowas - bloß um da nicht hingehen zu müssen. Schließlich bin ich dann super-nervös und viel zu früh da aufgeschlagen, hab mir da so das feindliche Volk angesehen, hab mir schließlich einen Ruck gegeben und hab den Kampf aufgenommen, und mit zittriger Stimme losgelegt.

Aber schon im Verlauf des ersten Abends bin ich immer ruhiger geworden. Die Leute waren auch aufgeregt, ich wußte ein paar Sachen, konnte viele der Fragen beantworten und es lief halt. In den folgenden Wochen (der Kurs ging über ein Vierteljahr, immer Dienstag abends) hab ich mir Konzepte zurechtgelegt, wie man bestimmte Dinge anschaulich erklärt, hab immer mehr versucht, mich in die Köpfe der Leute reinzuversetzen und vier Millionen pädagogische Fehler gemacht - wobei ich aber immer versucht habe, daraus zu lernen und jeden Fehler nur einmal zu machen.

Und was soll ich Dir sagen, die mir gelegentlich unterstellte Eigenschaft, bestimmte Sachverhalte anschaulich erklären zu können, wurzelt in dieser Zeit. Ich hab immer weniger Angst vor Schulungen gehabt, hab ein paar Jahre lang solche Kurse gegeben, dann auch mal 2 Jahre lang abends an so ner Abend-Fachschule angehende IHK-Wirtschaftsinformatiker unterrichtet, Software-Engineering sowie Unix und C, und all das klappte immer besser.

Die Aufregung bin ich losgeworden, weil ich mich auf die Aufgabe konzentriert habe, ich habe immer versucht, um das Begreifen der Leute zu kämpfen, um jeden Einzelnen, und das zu transferierende Wissen jeweils in die Köpfe zu kriegen. Und damit ist mein Gehirn regelmäßig auch heute noch so ausgelastet, daß keine Zeit bleibt, um an die Aufregung zu denken. Außerdem kommt natürlich die Routine dazu, das Ruheposter des fundierten Fachwissens. Dabei muß man nicht alles wissen, aber ein bißchen aus dem Vollen schöpfen kann nicht schaden.

Irgendwann macht das dann überhaupt nix mehr, vor einer größeren Menschenansammlung das Maul aufzutun. Genieß einfach die Vorstellung, im Mittelpunkt zu stehen, für einen Moment die Gestalt zu sein, zu der alle aufschauen. Und verwende das dabei entstehende Adrenalin zur Betäubung Deiner Angst.

Die ersten Erfahrungen als Volkshochschul-Word-Onkel waren also in gewisser Weise Gold wert für mich, und im Nachhinein war es doch gut so, daß ich mir nicht ein Bein gebrochen habe vor dem ersten Mal.

Noch ein paar Tipps:

- Sei ganz Du selbst. Sei ehrlich, versuch nicht, den Leute irgendwas vorzumachen. Locker bleiben. Niemand wird Dir den Kopf abreißen. Je ehrlicher Du auftrittst, um so symphatischer kommst Du bei den Leuten an.

- Wenn Du was nicht weißt, steh dazu. Niemand kann alles wissen. Die Leute verzeihen Wissenslücken innerhalb von Millisekunden, werden sich aber noch wochenlang an Situationen erinnern, in denen der Dozent verzweifelt versucht hat, sein Unwissen irgendwie zu verbergen.

- Bereite Dich fachlich vor. Überleg Dir, welche Probleme Du selbst hattest, als Du zum erstenmal mit dem Thema konfrontiert wurdest (auch wenn es schon ein paar Jahre her ist) und versuch Dir vorzustellen, welche Hürden die Teilnehmer zu überspringen haben werden.

- Pirsch Dich an. Fall nicht gleich mit der vollständigen Information ins Haus. Es ist leichter, zuerst ein grob vereinfachtes Bild in die Köpfe zu kriegen und erst später mit der ganzen Wahrheit rauszurücken ("in Wirklichkeit ist nämlich alles gaaanz anders") als die ganze Komplexität des Themas im ersten Anlauf vermitteln zu wollen.

- Erlaube Dir kurze, witzige Anmerkungen, wenn es Dir passend erscheint. Humor ist der Schlüssel zur Seele des Menschen, hat Mark Twain glaub ich gesagt. Merk Dir möglichst die Namen und sprich die Leute damit an. Das erfreut sie und macht sie offen für das, was Du sagst. Der Name ist der Schlüssel zur Seele des Menschen, hat auch Mark Twain gesagt, glaub ich. Bring die Leute auf Deine Seite, knack sie, zeig ihnen, daß Du auch ein Mensch bist. Um so leichter bekommst Du die Informationen in sie rein.

- Denk einfach dran, daß 400 Aussensaiter jetzt an Dich denken und schöpfe aus diesem Quell der Psycho-Power. :-)

Keep rockin'
Friedlieb


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