The Flow ...
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Beitrag von Harvey vom März 23. 2001 um 13:35:05:
Als Antwort zu: Re: Wichtig is´auf´n Platz geschrieben von Saidy am März 23. 2001 um 13:05:52:
Die Kampf-/Flucht-/Totstell-Reaktion gibt es ja im Tierreich genau so wie bei uns - nur werden die physiologischen Mechanismen beim Menschen eben - zivilisatorisch verkleidet - auch durch soziale Mechanismen aktiviert. In einer subjektiv als bedrohlich empfundenen Situation wird u.a. Adrenalin ausgeschüttet, das den Organismus in Alarmbereitschaft versetzt - schnellerer Puls, höherer Blutdruck, der Sympathikus wird aktiviert (der Teil des autonomen Nervensystems, der für die "Aktivitätsfunktionen" zuständig ist) , und parallel wird alles, was in Ruhe abläuft (gesteuert über den Vagus, z.B. die Verdauung) stillgelegt.
Wenn diese körperliche Erregung dann nicht abreagiert werden kann, die Energie sozusagen nicht adäquat "verbraucht" und in Aktion umgesetzt wird, entsteht eben diese innere Erregung (analog dem Kaninchen vor der Schlange, das jede Sekunde mit dem tödlichen Biß rechnet), die sich bis zu totalen Panikattacken mit Herzjagen, Todesangst, Übelkeit usw. steigern kann - manche fallen auch in Ohnmacht, um durch Ausschalten des Bewusstseins der Situation zu entgehen.
Im Tierreich gibt es ja u.a. Raub- , Herden- und Beutetiere, und beim Menschen schon auch entsprechende Naturelle (hat meist mit Vorerfahrungen in der intra-uterinen Zeit zu tun), natürlich differenzierter. Und wenn Du jetzt Angst vor einer Menschenmenge hast, vor der Du frei sprechen mußt (keine Flucht möglich, zumindest keine sozial so leicht abkzeptierte), läuft physiologisch eben das beschriebene Muster ab - und dann ist der Kopf nicht mehr frei, weil Dich das Stammhirn und die entsprechenden alten Instinkte hormonell und über das Nervensystem "im Griff" haben. Du bist sozusagen "außer Dir" oder völlig reduziert auf ein Nervenbündel.
Andererseits gibt es ja auch die Zustände, über die z.B. der Psychologe Csikszentmihalyi geforscht hat und die er mit "Flow" bezeichnet - dem "Fließen", wo man völlig selbstvergessen, ohne an Raum und Zeit zu denken, in einer Tätigkeit so vollständig aufgeht, daß man völlig glücklich und "eins" mit diesem Tun wird - egal ob beim Sprechen, Musikmachen, Malen, Schreiben, Bügeln, Kloputzen, Motorradreparieren, Meditieren, Programmieren, Sex, oder was auch immer. Schon ein kurzer Gedanke wie "Oh wie toll ich doch, was ich da gerade mache" kann einen sofort aus diesem Fließen wieder herausholen - d.h. in dem Zustand sind Subjekt und Objekt, der Tätige und das Tun eins - alles fließt mühelos. Und obwohl man dabei sozusagen "ich-vergessen" ist, hat man die Situation meisterhaft unter Kontrolle, und die Reaktionen auf die Anforderungen der Aufgabe sind optimal, reibungslos und angemessen. Die reine Freude am Tun selbst. Der Beifall kommt später - oder auch nicht, was einem dann schon nicht mehr so wichtig ist.
Kennt jeder, bestimmt, Du auch. Musiker haben das, wenn "es" aus oder in ihnen spielt, nicht mehr der Fritz Müller-Sowieso an der Oberfläche, und das meine ich mit "das Ego vergessen".
Nur- wie kommt man in diesen Zustand?
Friedlieb hat es ja schon beschrieben - Konzentration auf die "Sache" bzw. das Tun, d.h. sich nicht selbst beobachten, sondern der Tätigkeit selbstvergessen hingeben, in diesem Sinne "sich nicht wichtig nehmen".
Ein bisschen Druck ist eigentlich gar nicht schlecht - so wie beim Sprinter, der eine gewisse Erregung braucht, um die Leistung zu bringen. Zu viel Erregung lähmt, zu wenig ist Langeweile, man fühlt sich nicht gefordert. .
Die Situation entkrampfen - bei solchen Schulungen wollen ja die Leute was von Dir lernen, die kommen nicht, um Dich zu schlachten. Wenn Du nervös bist und Dich unter Druck fühlst, kannst Du das denen ja z.B. einfach so sagen - vielleicht mit Humor - das wird die Situation entkrampfen. Wenn Du ganz offen und menschlich bist, öffnen sich die anderen auch - es sei denn, da sitzen nur völlig "coole" Linkashirnakrobaten - und denen gegenüber darfst Du Dich dann zur Belohnung auch überlegen fühlen, wenn sie Dir einen Korb geben und Dich abfahren lassen - denn Du hast immerhin etwas seelisch gewagt und sie nicht.
Den Druck machst Du Dir ja im übrigen nur selbst - die anderen sind eher gespannt auf Dich und freuen sich, Dich zu sehen.
Du hast das ja auch schon öfter gemacht - und es hat doch geklappt, oder? Es wird wieder klappen, jedes Mal besser.
Wenn man es auf eine ganz einfache Formel reduzieren will, steckt hinter dem Lampenfieber (dem von der lähmenden Sorte) immer irgendeine Art von Angst vor Liebesentzug oder dem Alleingelassenwerden, letztlich vor dem Sterben.
Tja, und im Anfangsbeispiel von der verklemmten Situation im Musikladen ist es im Prinzip dasselbe - im fremden Revier bei jemandem, der einen bewertet (oder von dem man meint , daß er es tut), als hinge davon das Leben ab.
Beim nächsten Mal, wenn ich bei so was nicht gut drauf bin, halte ich da mal einen kleinen Vortrag über die Hypophyse, zur Entspannung meiner selbst und zur Verwunderung der Beteiligten ... oder die kapieren gar nix und sagen nur: "Shut up´n play!", womit sie dann auch wieder recht hätten, darum geht´s ja im Endeffekt ;-))).
Du kannst das !
Alles Gute, Harvey
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