Ein bisschen was zur AXE-FX aus der Praxis


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Beitrag von Jochen vom Juli 25. 2007 um 03:30:34:

Tachchen,

ich habe in den letzten Tagen hier viel Theorie zur AXE-FX gelesen und wie Ihr wisst besitze ich ja selber eine und nun dachte ich, ich berichte mal ein wenig aus der Praxis.

Mag sein, daß das ein oder andere hier dazu schon mal von mir geschrieben wurde, aber ich möchte nun nicht alles dazu raussuchen und verlinken, daher versuche ich das so gut es geht zusammenzufassen.

3 links aber trotzdem, denn da habe ich schon recht viel geschrieben, also, mehr gibt es hier, hier (unter JochenZound) und hier (auch wieder unter JochenZound).

Also, mein erster Kontakt mit der AXE-FX war vor etwas mehr als vier Monaten, ich bekam das einzige Exemplar daß es zu dieser Zeit überhaupt nach Europa geschafft hatte, für ein paar Tage zum Test - vielen Dank an Wilfried für die freundliche Leihgabe - ich war anfangs sehr, sehr skeptisch, wahrscheinlich sogar noch skeptischer, als die vielen Unkenrufer (die jedoch alle ihre Meinung nur auf Hörensagen begründen könnten), denn ich hatte reichlich Erfahrungen mit digitalen Modellern und ich war heilfroh, daß ich Dank Womanizer und Demonizer beim Recording auf digitale Helfer verzichten konnte; bei meinen Bands war meine digitale Phase eh schon längst wieder abgeschlossen, ich war ja schon wieder zu guten Röhrenamps und feinen Tretern zurückgekehrt.

Wie gesagt, ich war mehr als skeptisch, wollte es eigentlich nicht einmal testen, denn dank Roli hatte ich einen Midi-fähigen Looper, mit dem konnte ich den Liquid Blues und den Solid Metal, die zusammen mit meinem Marshall JTM45 meine "Soundzentrale" bildeten, fernbedienen. Bei meinen anderen Effekten wollte ich so vorgehen, daß ich sie durch Glass Nexus und Timeline (beide auch von Damage Control) ersetze und somit alles beim Amp stehen habe (jedes dieser Teile benötigt übrigens ein eigenes Netzteil); vorne "am Bühnenrand" wären dann nur noch mein Midiboard und höchstens noch ein Wah und ein Tuner. Die vier großen Effekte wären mit dem Looper und allen Netzteilen in einem Rack beim Amp verstaut, alles ist aufgeräumt, sicher vor stolpernden Mitmusikern verstaut, dabei recht sicher verkabelt und schnell aufzubauen - einfach praxistauglich halt. Ihr kennt ja alle mein Chaos bei den Sessions - live ist es nicht anders, davon wollte ich endlich wieder weg. Da ich aber gerne den ein oder anderen Effekt dabei habe und Liquid Blues, Solid Metal, das Line6 DL4 und das Tube Rotosphere (welches übrigens immer noch zu haben ist) alleine schon ordentlich viel Platz benötigen und ja noch ein paar andere Effekte mehr dabei sind (plus Stromversorgung), wollte ich das alles ein wenig trennen, denn ich hatte früher schon mal ein sehr breites und schweres Effektboard und sowas wollte ich nicht noch mal haben - außerdem bin ich kein Freund von übereinander angeordneten Effekten, bei mir muss das alles immer nebeneinander stehen, daher wird es auch so breit.

Also, wie eben noch gesagt, ich wusste was ich wollte und ich wollte nicht digital; meine analogen Effekte per Midi fernbedienen, das war o.k., aber mehr Technik wollte ich nicht, schon gar nicht Digitaltechnik. Aber Jacques Isler von G66 (dem deutschen Vertrieb der AXE-FX) bat mich um den Test und meine Meinung zu dem Gerät. Durch ihn bin ich überhaupt erst zu Damage Control gekommen, wie hätte ich das also ausschlagen können? Aber meine Skepsis blieb erst einmal.

Als das Gerät ankam erwartete ich zwar gute Effekte aber auch das, was ich von anderen digitalen oder Software-Simulanten kannte, nämlich ein schwammiges Spielgefühl und diesen typischen "flachen" Sound und all das, woran wir denken, sobald von digital die Rede ist. Denkt doch mal z.B. an das Soldano Modell im Pod. Wenn es um High Gain geht ist es eigentlich ganz o.k. kann man jedenfalls mit arbeiten, aber sobald man diesen gemodelten Soldano mal mit Crunch fahren möchte, ist es ganz und gar vorbei mit der scheinbaren Herrlichkeit, das kann er nämlich überhaupt nicht - und das bei einem Amp, der auch (oder anfangs eigentlich) durch seinen Crunchsound berühmt geworden ist. Wenn man mit dem Volumenpoti an der Gitarre arbeiten wollte, war das auch alles andere als das, was man erlebt, wenn man einen echten Amp an der Strippe hat.

Ich habe das bestimmt hier schon geschrieben, egal wie viel Mühe ich mir auch gab, ich konnte all die negativen Aspekte, die ich bisher von digitalen Amps kannte bei der AXE-FX nicht ausmachen: das Spielgefühl war genau so direkt, wie auch z.B. beim Womanizer. Es gab auch nicht dieses Gefühl, als würde man an einem Gummiband hängen, die Reaktion auf das Volumenpoti wahr perfekt und der Sound war dreidimensional und rund.

Es war aber nicht nur das Spielgefühl, das genau wie bei einem guten Röhrenamp ist und die Effekte (die man wirklich frei routen kann), die mich überzeugten, auch die Boxensimulationen waren endlich "richtig". Wie oft habe ich mich beim Pod geärgert, wenn ich andere Lautsprecher verwenden wollte und es nur nach einer anderen EQ-Einstellung klang. Die 4x10" Simulation im Pod gefiel mir persönlich z.B. überhaupt nicht; bei der AXE-FX kann ich damit hingegen wunderbar arbeiten, manchmal ändere ich nur die simulierte Box und bin mit einem Schlag da, wo ich hinwollte. Hin und wieder wird bemängelt, daß der Pod aber doch den A.I.R.-Modudus habe und dadurch "luftiger" oder realistischer abgenommen klänge. Dazu muss man aber wissen, daß die A.I.R. Geschichte nur aus early reflections generiert wird. Cliff Chase hat dazu gesagt, daß er das aber bewusst dort gelassen hat, wo es hingehört: nämlich in die Reverb-abteilung. Man nimmt sich also einfach einen der Hallblöcke und stellt ihn so ein, wie man es braucht. Der Hall der AXE-FX ist um Klassen besser als der des Pod und mit den zahlreichen Boxen und emulierten Mikrofonen und den early reflections kann man weit bessere und realistischere Aufnahmen erzielen als man es sich mit dem Pod nur vorstellen könnte. Übrigens hat man dann immer noch einen weiteren Hallblock, den man z.B. für einen Federhall nutzen kann.

Ich hatte dann ein paar Aufnahmen gemacht, hier noch nichts verraten und die AXE-FX dann auch in der Band eingesetzt und auch dort war ich begeistert. Vergessen war die Idee mit Glass Nexus, Time Line und dem ganzen Pipapo, ich wollte auch eine AXE-FX.

Anfang April war es dann soweit, meine eigene AXE-FX war da. Ich habe weiter damit aufgenommen, sie in den Bands eingesetzt und mittlerweile habe ich alle meine Amps gut eingepackt, die Effekte ebenso und spiele nur noch mit der AXE-FX, die ich mit einem Paar Atomic 212/50 verstärke, zur Steuerung benutze ich im Moment eine Mesa Boogie Abacus Midileiste. Was soll ich sagen, ich hatte noch nie so ein gut klingendes, dabei vielseitiges und schnell aufzubauendes Setup ohne viele Fehlermöglichkeiten wie nun. Natürlich klang z.B. der Marshall klasse, aber dann brauchte ich noch eine gute Hand voll an Effekten und dann die Stromversorgung, die vielen Kabel usw.

Claus hat - wenn ich mich richtig erinnere - gesagt, daß er doch eigentlich nur einen guten Sound brauche, es sei ja schließlich Rock. Da hat er natürlich Recht, aber es ist doch auch ein wenig in die Tasche gelogen, denn ich bin mir sicher, daß Claus bestimmt ein oder zwei (oder noch mehr?) Verzerrer auf seinem Board hat, dann vielleicht noch ein Vibe, ein Tremolo, vielleicht sogar ein Delay? Noch was?

Ich brauche ja eigentlich auch nicht so viele Sounds: wenn wir nur unser ZZ Top Set spielen, dann könnte ich mit Paula, Kabel und Marshall oder Tweed Deluxe wunderbar klar kommen, vielleicht noch ein Fuzz für ein paar Sounds - fertig. Wenn wir Cream Songs spielen drehe ich den Marshall ein gutes Stück auf und das Wah davor und gut ist, der Colorsound Tone Bender dazu und es ist perfekt. Kommen dann aber noch Songs hinzu, bei denen ich einen Cleansound brauche wird es schwieriger. Dann muss ich den Marshall clean einstellen und für Crunch und Lead mit Zerrern arbeiten, dann noch Modulation und Delay usw. daher kam ja mein bisheriges Setup zustande.

Wie mache ich es nun? Für die ZZ Top Songs habe ich mir ein Preset mit dem Tweed Deluxe Modell und einer Prise Hall erstellt, wenn ich will, dann kann ich einen Zerrer dazuschalten und/oder einen Lautstärkeboost. Für die Cream-Geschichte habe ich natürlich ein Marshall Modell gewählt, warum auch nicht? Es ist ja da. Nun könnte ich auch einen cleanen Marshallsound für die cleanen Sounds nehmen, aber wenn ich diese Auswahl zur Hand habe, wäre ich dann nicht dumm, wenn ich nicht den nähme, der am besten dafür geeignet wäre und selbst, wenn es dann ein Fender Amp ist?

Viel brauche ich also nicht an Ampmodellen, aber ich kann aus dem Vollen schöpfen und das ist wunderbar.

Also, das war so ein bisschen was aus der Praxis mit der AXE-FX von mir. In den vier Monaten war sie zwar leider auch mal unterwegs, z.B. für den Test in der Gitarre & Bass aber ich konnte schon sehr viel mit ihr spielen und freue mich auf die morgige Probe mit der AXE-FX.

Neue Soundfiles gibt es im Moment nicht, aber Ihr kennt bestimmt schon die Medleys, die es bei den Countdowns bei G66 zu hören gab, ausserdem sind die aussenjams 74, 75, 76, 77 und 78 mit der AXE-FX eingespielt worden, weitere Soundfiles gibt es auf meiner Soundclickseite und es werden natürlich noch neue Soundfiles dazu kommen, spätestens beim nächsten ausssenjam.

Habe noch zwei Punkte vergessen:

Ich glaube, Ullli war es, der sagte, daß man viel Zeit beim Einstellen der Sounds brauchen würde, anstatt zu spielen. Zuerst: die Sounds, die Ihr von meinen Aufnahmen kennt, habe ich binnen weniger Minuten eingestellt. Ansonsten würde ich jedem raten, genau so, wie auch bei seinem normalen Amp vorzugehen: man sucht sich ein Ampmodell aus und dreht, bis man seinen Wunschsound hat, dann fügt man je nach Bedarf Effekte hinzu, fertig. Das dauert bei der AXE-FX auch nicht länger als z.B. bei einem Amp und ein paar Bodentretern. Man muss nicht, wie z.B. beim Pod lange drehen, bis es klingt, sondern nur so lange drehen, bis man seinen Wunschsound hat, ein grosser Vorteil. Wenn ich an einem Marshall Modell in der AXE-FX an den virtuellen Knöpfen drehe, dann ist das so, als wenn ich an einem echten Marshall an den Knöpfen drehe, der einzige Unterschied ist der, daß die Regler an der AXE-FX wahrscheinlich mehr Möglichkeiten bieten, aber es klingt von Anfang an so gut wie auch das Original.

Zum Preis, ich glaube das kam von Manuel: ich denke der ist wirklich günstig. Vor allem, wenn man bedenkt, was man alles bekommt: Preamp plus Effekte. Allein die Effekte, die von wirklich fabelhafter Qualität sind, kosten bei anderen Herstellern mehr als die komplette AXE-FX. Man darf die Effekte nicht mit einem Zoom oder so etwas vergleichen, die spielen in einer ganz anderen Liga, Eventide, Lexicon, TC Electronics wären da Namen, die zu nennen wären. Und wer einfach mal zusammenrechnet, was es kosten würde, nur einen Preamamp mit den üblichen Effekten und dem ganzen Drumherum anzuschaffen, dem sollte schnell klar werden, daß er hier viel mehr "bang for the buck" erhält. Wer die AXE-FX mit Pod und Konsorten vergleicht, der kann auch z.B. ein modernes Auto aus europäischer oder japanischer Fertigung mit einer uralten Ente oder einem Käfer vergleichen. Ja, ne Ente macht auch Spaß, wenn man zu schnell in die Kurve geht und darauf wartet, daß sie umkippt, aber will das heute noch jemand als verlässliches Alltagsauto? Klar kann ich auch den Vergleich mit dem Ferrari bemühen, aber hier bekomme ich dann eben einen Ferrari zum Preis eines Mittelklassewagens.

So, jetzt aber, ist doch etwas länger (und auch später als ich dachte) geworden. Bei Fragen, wie immer: nur zu.

Viele Grüße

Jochen


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