(Session) Bericht aus Berlin


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Beitrag von Friedlieb vom Mai 28. 2001 um 15:09:46:

Luja,

dann hier jetzt mal mein erster Bericht aus Berlin. Es versteht sich, daß es ein völlig subjektives und unvollständiges Pamphlet ist, aber es ist ja niemand zum Weiterlesen gezwungen. :-)

Freitag morgens um 6 aufgestanden, geduscht, gefrühstückt, nach Essen gefahren, gut durchgekommen, in Essen noch ein paar Brötchen und was Wasser gekauft und schließlich zu Luca, Tanja und Jürgen gefahren. Tanja war so nett, uns zum Bahnhof zu bringen, danke nochmal. Jürgen hatte perfekterweise nicht nur Fensterplätze an einem Tisch, sondern auch noch im Schatten reserviert und so ging die Bahnfahrt mit einem Maximum an Bequemlichkeit vonstatten. Einen Wagen weiter fuhr übrigens das komplette Vereinslokal von Schalke 04 mit - wußte gar nicht, daß die Bahn auch Immobilien transportiert.

In Berlin stand mein alter Kumpel Martin "ick hab dir mit Bart kaum erkannt, außerdem haste irre zujelecht, Alder" am Bahnsteig (Martin hat sich auch mal kurz blicken lassen und ist auch auf ein paar der Fotos mit drauf). Jürgen wollte noch in der Stadt rumlaufen und hat auch den undankbaren Knochen-Job übernommen, sich um die Reservierung von Plätzen für die Rückfahrt zu kümmern. Mit dem maximal möglichen Erfolg, das sollte hier mal anerkennend erwähnt sein.

Also mit Martin zu ihm gefahren "Kiek hier, Kuhdamm, da, Gedächtniskirche, na, haste nu allet jesehn, Ampel is jetze auch Grün, dann könn wa ja weiter" und einen gemütlichen Nachmittag verbracht. Er hat dann irgendwas indisch-scharf-vegetarisches mit Reis und Soja gebruzzelt, sehr lecker, und danach gab es einen Granatapfelblütentee aus türkischem Teegeschirr.

Martin meinte dann noch, daß ich irgendwie viel ernster geworden wäre in den knapp vier Jahren, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Keine Ahnung, ich hatte ja gedacht, daß die Schicksalsschläge der letzten Zeit mehr oder weniger spurlos an mir vorbeigegangen wären.

Wir sind dann quer durch die Stadt "Da, Sony-Center, mußte mal ankieken gehn, is cool" zur Prenzlauer Alle und waren irgendwann kurz vor halb Sieben beim Domino. Zum Hauseingang rein, durch eine Art Tunnel unter dem Haus durch, durch einen formschönen Hinterhof, durch den nächsten Haustunnel durch, und so weiter, und im dritten Hinterhof links dann vier Etagen hoch. Das Treppenhaus hat irgendwelche halluzinogenen Gase gehabt oder Psycho-Generatoren, ich weiß nicht, jedenfalls dachte man beim dritten Stock immer, daß das ja schon der vierte Stock sein müßte.

Uff. Erstmal in diese superbequemen Sessel geflezt.


Freitag abends ging es also dann los, so nach und nach trudelten die ersten bekannten und noch unbekannten Gesichter mitsamt der an diesen Gesichtern festgewachsenen anderen Dinge (Hälse, Körper, Arme, Beine, Gitarren, Amps) ein. Hallo, wie gehts, gute Fahrt gehabt, wo ist Dein Amp, ach haste auch keinen mit, nein, bin ja mitm Zug gekommen, ich auch, und so weiter. (Wer errät, wer mit wem diesen Dialog geführt hat, gewinnt einen Fotoband "33 Methoden, einen Teller Chilli Con Carne so zu fotografieren, daß es appetitlich aussieht") Großes Hallo also. Es ist geil, sich wiederzusehen, und es ist toll, diejenigen erstmals zu sehen, mit denen man vorher nur virtuell kommuniziert hatte.

Bei der Gelegenheit ist mir aufgefallen, daß es "live" einen starken Trend weg vom Nick gibt, da steht dann halt Hannah auf dem Namensschild und es ist Doc. Oder umgekehrt. Und so. Vielleicht sollte man doch mal über die Einführung eines redaktionell betreuten Zwangs-WhoIsWho nachdenken...

Mit Clem und Chicago zu Clem rüber gegangen (Clem ist der diesjährige Gewinner des KürzesterWegZurSession-Award) und eine Sackkarre voll Geraffel abgeholt. Clem hatte mir ja netterweise meine per E-Mail zugestellten POD-Sounds in seinen POD geladen (für Sound ist E-Mail die bequemste Art zu reisen), so daß ich seinen POD benutzen konnte (mit dem gebotenen Respekt, selbstverständlich) und mich direkt wie zu Hause gefühlt habe.

Dann also Amps aufgebaut, Krempel angeschlossen, das 16kanälige Mackie Pult entpuppte sich als 8kanäliger Powermixer, ging aber trotzdem. Gehörschutz rein, Soundcheck, paßt. Matthias hatte seine Schwarz-Weiße GAS-o-Caster mitgebracht (hab ich die jetzt eigentlich hinreichend gelobt, Matthias), danke. Ich hab aber im Moment so eine Phase, in der ich mit Strats nicht sooo viel anfangen kann und hab dann mal dem Felix seine mit einer Art verbogenem Kreissägeblatt benagelte Yamaha Pacifica getestet, die mir laut Jürgen auch gut stand. Jedenfalls kamen wir hervorragend miteinander klar, bis auf die Tatsache, daß mir die Gitarre bei der von Felix eingestellten Gurtlänge auf den Knien schlackerte (und die von mir eingestellte Gurtlänge ihn wiederum dann am Hals gewürgt haben mag).

Es folgten dann zahlreiche Blues in A, aber zur Abwechslung auch gelegentlich mal welche in A, einige sogar in A und dann waren noch welche dabei, bei denen immer so zwischen A Dur und A Moll gewechselt wurde. Da der Mann mit der Setlist (Oly! Wir haben Dich vermisst!) fehlte, war die Suche nach zu spielenden Stücken relativ schwierig und mußte daher gelegentlich durch einen Blues in A unterbrochen werden.

Nein, wir haben schon ein paar Stücke gespielt, weiß jetzt im Moment nicht mehr welche, aber wir waren jedenfalls gemessen an der Oberfläche meiner Trommelfelle dank Gehörschutz nicht zu laut.

Um es ganz klar zu sagen: Wir waren viel zu laut, und ich habe mich in jeder Sekunde glücklich geschätzt, daß ich diese Ohrkorken hatte.

Diese Diskussion muß unbedingt geführt werden, und sie muß auch zu einer befriedigenden, funktionierenden Lösung führen, sonst werden sie Sessions in dieser Form nicht überleben. Aber allein aufgrund der Wichtigkeit möchte ich das nicht in einer Nebenlinie zum Session-Bericht machen, sondern unter einem passenden Betreff im Forum und schlage vor, daß Matthias damit anfängt, wenn das Erlebte sich was gesetzt hat.


Das Domino verfügt über eine Reihe von Isolierkabinen, so ne Art Gummizellen, in der irgendwelche Bands spielten und wie laut die wirklich waren, hörte man nur, wenn da mal ne Tür aufging und irgendein desorientierter Grunz-Metaller mit freiem Oberkörper und Ted-Nugent-Gedenkfrisur raustaperte, um sich an der Theke ein Bier zu holen. Die Theke stand in dem Aufenthaltsraum mit den bequemen Sesseln (zwei solche geilen Ledersofas hatten wir auch mal zuhause, die sind leider ertrunken), da gab es Getränke, Sitzgelegenheit, sehr viel Unterhaltungen und reichlich Akustik-Sitzungen. Spruch des Abends von Guido: "Mit Gitarre sitzt sich besser".

Die größte der Isolierkabinen war die unsrige, ziemlich schallgedämmt, allein im Baßbereich kamen brachiale Pegel durch. Auf der einen Seite ganz gut, das, weil so die Pegel-Junkies sich in ihre Gummizelle zurückziehen konnten und mehr oder weniger ungehemmt ihrer Lautstärke-Sucht fröhnten, und eine zweite Fraktion davon relativ unbehelligt im Nebenraum noch Gespräche führen konnte. Der Übergang zwischen beiden Fraktionen war übrigens fließend, die meisten gehörten mal dieser, mal jener Fraktion an. Es hatte aber auch den Nachteil, daß dadurch gewisse Hemmschwellen in der Lärmzelle fielen und man sich auch hinsichtlich der Songauswahl nicht so sehr bemüht hat, der (eben kaum vorhandenen) Zuhörerschaft irgendwas zu bieten, sondern stattdessen halt eher mal noch nen Blues in G gespielt hat. Insofern war das anders als in Duisburg,wo auch die gerade nicht mitspielenden immer im gleichen Raum war und dadurch bestimmte Zwänge auch hinsichtlich der musikalischen Qualität des Dargebotenen entstanden sind.

Irgendwann später erschien dann The Last Tube aka C.Bux, leibhaftig und mit roter Kappe, begleitet von einem Teufelsdrummer namens Schlagzeuger (sorry, hab Deinen Namen vergessen, aber Du hast klasse getrommelt) und damit wurde mein altes Vorurteil, daß Münchner nie auf Sessions kommen, dann eindrucksvoll widerlegt.

So gegen 01:00 sind The Stooge und ich aufgebrochen und nach einem strammen Fußmarsch - ja, für mich war der stramm! ;-) - waren wir kurz vor zwei dann in Kreuzberg angekommen. Schnell noch einen Wein getrunken, bißchen unterhalten, dann ins Bett gefallen.


Der Samstag begann mit einer für mich fast schon lebenswichtigen Dusche (war natürlich, bin ja bekennender Warmduscher) und einem gemütlichen Frühstück. Der Mathias verfügt über das stilvollste, genialste, edelste, aussensaitigste Frühstücks-Aufschnitt-und-Käse-draufleg-und-Schneide-Brett, was man sich denken kann. Nämlich ein Strat-Body aus schwerer Esche, dessen klangentfaltende Wirkung sich offenbar nicht erschließen wollte und der deshalb einen super-coolen Auftritt als Mehrzweckbrett in der Küche hat. Lecker.

Dann rief Saidy an (oder Flowaro? keine Ahnung, hab nur indirekt telefoniert) mit dem Ergebnis, daß ich mich mit Florian am Alexanderplatz getroffen habe.

Wir haben angesichts der riesigen Schlange vor dem Eingang des Turms (sah aus wie eine "Sozialistische Wartegemeinschaft Memorial Demo") von einer Besteigung des Turms Abstand genommen, sind ein bißchen da rum geschlendert, und haben uns schließlich zu Fuß aufgemacht, die wichtigsten touristischen Attraktionen der Stadt im Schnellverfahren durchzuhecheln. Vorbei am Roten Rathaus, dem Berliner Dom, unter den Linden, Brandenburger Tor (das war allerdings zwischenzeitlich geklaut worden und wurde offenbar zur Täuschung der Touristen durch ein Gerüst mit einer schwarzweiß bedruckten Fototapete ersetzt) über den "Reichstag" (findet ihr das auch so schrecklich, daß das Zentrum der Deutschen Politik wieder so heißt?) zum Potsdamer Platz (wenn die Roten Digitalos gewonnen hätten, würde der bestimmt PODsdamer Platz heißen).

Das Sony-Center ist sehr beeindruckend, der in den Arkaden unter dem Platz feilgebotene Kasseler-Braten aber auch. Angesichts der inzwischen schon dampfenden Füße sind wir dann per U-Bahn in den Westen rübergemacht und haben uns das "alte" Zentrum mit Kudamm, Bahnhof Zoo und Kaufhaus des Westens gegeben. Da es im Eingangsbereich des KaDeWe aber kein Eis gab, sind wir gleich wieder raus und haben uns stattdessen an einem der Stände zum Spottpreis von zwei Mark (West) je Kugel versorgt. Bei der Gelegenheit den Aufmasch der Königsblauen live miterlebt.

Dann noch schnell Bellevue und eine Prise Tiergarten und schwupps schon war es vier Uhr und der Inder lockte. Das muß der staunende Außenstehende sich so verstellen, daß die einmal pro Woche einen Kübel leckere hellrötliche Soße anrühren, ihre 20 verschiedenen Zutaten auf ungefähr 95 verschiedene Arten variiert mit dieser Soße garnieren und auf diese Art und Weise eine Speisekarte mit 95 verschiedenen Gerichten haben, deren Namen weitaus unterschiedlicher klingen als das Essen aussieht. Für den Fall, daß jemand Monika heißt und das Essen nicht allzu scharf mag, ist die Soße aber noch durch Beigabe von reichlich Sambal Olek in einen etwas satteren Rotton zu überführen, mit der passenden Schärfe im Geleit. War sehr lecker, und beim nächsten Mal geh ich bestimmt wieder mit. Schönen Gruß an Tandori Yeti. :-)

Das Schönste zu diesem Zeitpunkt war, daß man einen ereignisreichen, Tollen Tag hinter sich wußte und trotzdem mit der Musik noch was hatte, auf das man sich mächtig freuen konnte.

Spannenderweise entwickelten sich an dem Abend zwei parallel sehr interessante Zweige der Session, während in der Akustik-Abteilung z.B. eine Lachtränen provozierende Version von Highway to Hell (Matthias hatte wohl mit Salzsäure oder Instant-Bon-Scott-Wasser gegurgelt oder so) zum Besten gegeben wurde, konnte man sich gleichzeitig in der plötzlich zum Jazz-Keller mutierten Elektro-Abteilung bei angenehmer Lautstärke gepflegte, laid back jazzige Weisen zu Gemüte führen (ich bin immer wieder hin und her gependelt und hab natürlich die Häfte verpaßt - aber auch von allem etwas mitbekommen). Jürgens Berliner Kumpel Beppo, der vorher auch schon gelegentlich getrommelt hatte, entpuppte sich dabei auch noch als hochklassiger "George Benson lebt" Gitarrist.

Schön fand ich auch, den Achim kennenzulernen, der eigentlich im Grünen zuhause ist und sich angesichts räumlicher Nähe zum Austragungsort mehr oder weniger spontan entschlossen hatte, doch mal vorbeizukommen.

Und Claus Bux hat trotz Totalverweigerung moderner Technik und Butterscotch Blonde einen ganz passablen Ton. ;-) Auch als Schlagzeuger wußte er zu überzeugen, denn seine faszinierenden Tempi-Wechsel vermochten jedes ansonsten noch so gleichmäßig dahingleitende Stück auf eine kaum geahnte Art und Weise zu beleben. Und singen tut er auch.

Lothy hat heimlich geübt, ich fand Dich zwar in Duisburg schon einen klasse Sänger, aber in Berlin warst Du noch ausdrucksstärker. Oder war das der Flens-Faktor?

Irgendwann war dann plötzlich Aufbruchstimmung angesagt, tschüss bis zum nächsten Mal, issjaschonbald, man sieht sich, bei meinem hervorragenden Gastgeber Stooge (danke nochmal für alles!) noch ein Schlückchen Wein getrunken, pünktlich zur heranziehenden Morgendämmerung um 4 ins Bett gekrochen, um 10 aufgeruht aufgewacht, geduscht, gepackt, noch ein bißchen durch die Stadt getapert, den Jürgen herzklopfenderweise erst im Zug getroffen (Bahnsteig war zu voll), die ersten eineinhalb Stunden mit Alibi-Kaffee im Speisewagen verbracht, ne Zeit gestanden, schließlich auf den reservierten Plätzen gesessen, von Tanja abgeholt worden, von Essen noch nach Gummersbach gebrettert, hallo, schön, wieder zuhause zu sein.

So, hoffe mit diesem schamlos subjektiven Bericht auch den Daheimgebliebenen einen kleinen Eindruck vermittelt zu haben.


Keep rockin'
Friedlieb


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