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Einschüchterung durch zu gute Musiker

Mein lieber Herr Gesangsverein,

ich war am Montag Abend im Blues & Beyond in Frankfurt bei der allmontagabendlichen Session und es war grausam. Ich wußte ja, daß es eine Session-Band gibt, die erstmal so den Anfang machen soll, damit sich
danach hochmotiviert andere Leute nach Herzenslust auf der Bühne austoben können.
Was diese Sessionband da allerdings für einen Anfang lieferte war einfach nur unbarmherzig. Die haben da derart lässig und virtuos Bluesiges und Jazziges aus dem Ärmel geschüttelt, daß einem einfach nur die Kinnlade ins Bierglass kippte und man sich bemühen mußte nicht augenblicklich seine Gitarre an den Nächstbesten zu verschenken weil man sich außerstande wähnt damit etwas anfangen zu können.

Ich habe es dann mitte des dritten Stückes geschafft die Komplexe , die sich mir beim Anfang des ersten sofort aufzwungen, erfolgreich wegzutrinken, aber als die Session-Band fertig war, hatten die, die sich eigentlich vorgenommen hatten an dem Abend auch mitzuspielen ihre Instrumente hinter ihrem Rücken versteckt und wollten definitiv nicht mehr auf die Bühne.

Das war einfach verantwortungslos diese Leute da spielen zu lassen. Als kurzes Konzert war das ja echt beeindruckend, aber als Session für Hobbymusiker war dieser Anfang einfach niederschmetternd.
Eine Sängerin verlangte dann später nach einem Lead-Gitarristen und ich habe einen, der seine Gitarre dabei hatte aus Spaß gefragt, ob das nicht die passende Zeit für seinen Auftritt sei. Der war mittlerweile auch richtig bleich und stammelte nur was von "Was soll ich denn da noch, ich meine hab´ ich denn da wirklich...also gibt es dem noch was hinzuzufügen?".

Was kann man da tun um sich nicht einschüchtern zu lassen? Also ich wollte da schon irgendwann mal was spielen, aber ich muß mich wohl erstmal an die Haus - Band gewöhnen. Puuhhhh!

Also, ich möchte jedem Außensaiter in der nähe von Frankfurt ans Herz legen, da mal hinzugehen und sich das anzuhören. Aber mein Ausgehtipp für junge, ehrgeizige Gitarristen mit schwachem Selbstbewußtsein ist das definitiv nicht!

Würde mich freuen da mal welche von Euch zu treffen. Also wenn ihr da mal seid, ich bin der, dem an der Theke gut zugeredet wird, während er in sein leeres Bierglass heult und sich die Finger abhacken will.

auster

NP: Wolfsheim - Once in a Lifetime (ich hör mir doch jetzt keine Gitarrenmusik an!)


Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

: Mein lieber Herr Gesangsverein,

: ich war am Montag Abend im Blues & Beyond in Frankfurt [....]
: Würde mich freuen da mal welche von Euch zu treffen. Also wenn ihr da mal seid, ich bin der, dem an der Theke gut zugeredet wird, während er in sein leeres Bierglass heult und sich die Finger abhacken will.

Hi Auster -

die Geschichte erinnert mich an alte, selige LOGO Zeiten. Das LOGO ist ein kleiner Club in HH gegenüber der Staatsbibliothek und beherbergte schon alles auf der "Bühne mit dem Pfeiler" was Rang und Namen hat ... von Roger Chapman bis Oasis, von den Neurotic Outsiders bis Bo Diddley.

Früher hatte das LOGO einmal im Monat eine Session, ebenfalls eingeleitet durch eine Hausband. Die Hausband bestand aus ziemlich erlesenen Muckern der Hamburger Szene ... von Sid Gauthama (der u.a. mit Uli Roth spielte), Dick Bird (einem Engländer der schon länger in Hamburg wohnt und eine Mörderslidegitarre spielt) bis zum Drummer von Aretha Franklin (der inzwischen auf Neuseeland Schafe züchtet). Beste Voraussetzungen also um sich nicht auf die Bühne zu trauen, wenn man gerade mal zum Tellerrand hochreicht....

Ich bin da jeden Monat hingetarpert und wäre nie auf den verwegenen Gedanken gekommen, ein eigenes Instrument mitzunehmen. Aber eines Tages hat's mich dann doch mal dort auf die Bühne verschlagen. Im Tag zuvor hatte ich Bernd Gertig (damals Gitarrist bei Lake und heute leider tot. Eine Seele von Mensch) einen Power Pot in seine Strat gebaut (hatte gerade meine Lehre bei No.1 Music Center begonnen, noch zu Talstrassenzeiten) und Bernd entdeckte mich im Publikum. Mitten im Set kam er von der Bühne, drückte mir seine Gitarre in die Hand und meinte nur: "Probier mal, klingt ganz gut was du da eingebaut hast". Mir ist das Herz volle Kanne zwischen die Knie geruscht und ich hatte den fiesesten Zitteranfall den man sich auf der Bühne vorstellen kann ...

Too cut a long story short: Ich stand noch für 4 Songs auf der Bühne und war ohne Ende für jede Minute dankbar obwohl ich kaum meine zitternden Finger sortieren konnte. Noch Jahre nach dieser Begebenheit hab' ich oft an diese Nacht gedacht. Immer wenn die Nervösität mal zu fett wurde, hab' ich gedacht: "Du hast die LOGO Nacht überstanden, du wirst auch hier ohne Bierglas am Kopp rauskommen".

Moral der Geschicht? Trau dich was ;-)

slide on ...
bO²gie

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

Hallo Auster,

das kenne ich von München auch. Da gabs auch immer eine Session Mittwochs in einer ehem. DISCO mit Sessionband, die locker zur Einstimmung mal wieder ein paar Blues/Jazz Nummern spielte.
Das waren immer stadtbekannte Jungs (auch unser Herr von R war da dabei) am Werkeln und es klang auch immer klasse.

Nur - einmal war ich aus versehen schon um halb neun dort und unbemerkt vom Kassier bin ich in die heilige Halle geschlichen - was habe ich gesehen? Die Session Band hat geprobt um nachher lässig mal wieder das Dings wie hieß das nochmal? zu spielen.

Ich selber hatte da nie eine Gitarre dabei - war immer nur Zuhörer, habe aber auf anderen Sessions schon gespielt. Es sessionierten auch oft gute Leute.

Zu Deinem Problem der Einschüchterung kann ich Dir ein Bsp. bringen. Meist spielten Gitarristen enorm schnell - legatierten, tappten und es wurde geklatscht. Den riesigsten Beifall aber bekam mal einer, der technisch nicht sehr versiert war, sich jedoch so leidenschftlich reinhängte, jeden Ton aus dem Hals knutschte und mit jedem Ton kämpfte.

Und ich glaube Zuhörer in einem Bluesclub haben auch ein Gespür dafür und merken wenn einer aus dem Herzen spielt.
Also (Aufmunterung, Aufmunterung) laß Dich nicht schaluu machen - pack die Gitarre ein und spiel das, was Du kannst.

HaVe FuN CB

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

Hi auster ent ohl ßie assers,

don't panic !!! (Wo steht dieser Satz nochmal ? :-))))))

Wenn's wirklich "gute" Musiker sind, kannste dich locker mit auf die Bühne stellen - abraten würde ich nur dann, wenn es die bekannten Frankfurter Arroganzschnapsnasen sind, die dich allein durch gegenseiten Blickkontakt und hämischem Grinsen runterziehen. (Aber laß dir gesagt sein - das sind meistens die Leute, die zwar technisch und musikalisch ganz schön was auf dem Kasten haben, aber ihr Musikerleben damit verbringen, in vier Bands gleichzeitig für 80 Mark am Abend ihre Termine unter einen Hut zu bringen - zu mehr hats meist nicht gerreicht da: unzuverlässig, des öfteren unter Drogen stehend, arrogant, ohne Führerschein, etc. - für jede professionell arbeitende Band und jedes professionell arbeitende Studio ein Horror.)

Wenn es also "die anderen" sind, kann es nur heißen: ab auf die Bühne. (Wobei natürlich unterstellt sei, daß auch gerade Mucke gespielt wird, mit der du was anfangen kannst - ich persönlich würde auch nicht auf die Bühne gehen, wenn gerade irgendwelche Django-Stücke angesagt werden - das hat aber nix mit der Qualität der diese Stücke spielenden Musiker zu tun, sondern weil ich sowas ganz einfach nicht kann - und das hat jetzt nix mit besser oder schlechter zu tun.

Außerdem macht es IMHO mehr musikalischen Spaß, mit Leuten zu spielen, die richtig klasse sind, als mit Leuten die alles verhunzen - probiers aus. Mir ist es bis jetzt immer so gegangen, daß ich, wenn ich mit Leuten, die ungefähr 3 Zilliardenfach besser als ich spielen, gespielt hab, selber auch wesentlich besser gespielt hab (ich hab mal 'n Gitarrenduell mit Michael Sagmeister gespielt - logischerweise konnte ich in keinster Weise gegen ihn anstinken - aber nichtsdestotrotz war es eins der geilsten Soli, die ich je gespielt hab.) Ich behaupte mal, daß man die größten Fortschritte mscht, wenn man mit Leuten zusammenspielt, die besser sind als man selbst.

(Wobei "besser" und "schlechter" ja auch oft Ansichtssache sind - Geschwindigkeit, falsche Töne oder Anzahl der Griffe, die man kann, kann man ja noch zählen oder messen - aber ob 'ne Melodie oder 'n Lick besser oder schlechter is ...? s. Bux' Beispiel)

Also - woher kommt die Einschüchterung? Wird sie bewußt von der Sessionband praktiziert oder entsteht sie nur in deinem Kopf? Ich denke mal, es ist das zweite - und dagegen kann man ja was tun. Besinn dich auf deine Stärken und laß dich einfach auf nichts ein, was du nicht kannst. Wer zwingt dich, zu legationieren und High-Speed-Sweep-arpeggionieren? Weil es der eine Gitarrist macht, mußt du es ja nicht machen.

So - und jetzt noch 'n Hinweis an Jochen und etwaige andere, die mich vermissen: Ich lebe noch - bin allerdings krank und zu Hause - aber auf dem Wege der Besserung :-))

Gruß

Oly



Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

Oh Auster,

ich kann das sooooo gut nachvollziehen - als ich bei der Montagssession im B&B war, ging es mir genauso - was war ich froh, dass ich die Klampfe nicht dabei hatte!! Nach den ersten zwei Takten der Hausband stand wirklich allen, die ich als Musiker in meiner Naehe identifizieren konnte, das Spektrum von "boah ist das goil" bis "hoffentlich sieht keiner meinen instrumentenkoffer" im Gesicht.
Und tatsaechlich, war das, was danach kam (die eigentliche Session), nicht mit der Hausband zu vergleichen - ABER es hat allen Zuschauern wie Akteuren maechtig viel Spass gemacht. Und die Musiker der Hausband hatten danach auch ihren Spass und waren ueberhaupt nicht abgehoben oder musikerpolizeilich unterwegs.
Tom(2)

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

Hi auster,

Augen auf(!) und durch!

Mach´ bei solchen Gelegenheiten einfach das, was Du am besten kannst. Die Kollegen, die dann mit Dir auf der Bühne stehen, haben genauso ein Interesse daran wie Du, den aktuellen Song gut rüberzubringen statt in der Mitte des Stücks abzukacken.

Ich habe mich vor Jahren deutlich nach Mitternacht bei einer Blues- Session mit technisch weit besseren und untereinander eingespielten Musiker plötzlich auf der Bühne wiedergefunden und kriegte ´ne Gitarre in die Hand gedrückt: "Los, mach ma´".

Ich habe mir das eher nicht zugetraut, bin auf Nummer Todsicher gegangen und habe - eher mit Feeling als mit Technik - den Rhythmuspart eines alten Peter Green-Instrumentals (Slabo Days)angestimmt. Das sind nur zwei Akkorde und ging, gerade um diese Uhrzeit, problemlos.
Da meine solistischen Fähigkeiten sehr begrenzt sind, hatte ich vorher den anderen Gitarristen, dessen Soli schon den ganzen Abend lang so schön in der halbdunklen Kneipe geschimmert haben, gebeten, doch noch ein wenig weiter zu solieren, was er mit großem Spaß gemacht hat.
Für´s nächste Stück, Cocaine, haben wir dann die Klampfen getauscht und mit der gleichen Aufgabenverteilung weitergespielt, mir ist sogar trotz eines etwas merkwürdigen Gefühls im Magen noch ein Kurzsolo "rausgerutscht".

Das Schönste daran: alle, sogar die Zuhörer, waren hinterher zufrieden...

Es ist wirklich so, wie bOOgie schrieb: Noch Jahre nach dieser Begebenheit hab' ich oft an diese Nacht gedacht. Immer wenn die Nervösität mal zu fett wurde, hab' ich gedacht: "Du hast die xxx Nacht überstanden, du wirst auch hier ohne Bierglas am Kopp rauskommen".

So, und jetzt leg mal ruhig wieder ´ne Gitarrenplatte auf
Juergen


Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

Hi Auster,

: Mein lieber Herr Gesangsverein,

Du sprichst mir aus der Seele. Hab ich auch schon für mich erlebt. Aber die Antwort, die ich für mich gefunden habe, deckt sich mit der der anderen: Sei ganz Du selbst, spiele Dein Zeug mit Hingabe, und so weiter.

Ich versuche zum Beispiel immer unter meiner Maximalgeschwindigkeit zu bleiben, die ich zuhause meine zu können. Und lieber den einen Ton mit aller Inbrunst gespielt als in der gleichen Zeit 100 Töne verbockt.

Wenn Du dann allerdings von Leuten beurteilt wirst, für die nur das rein technische Können (also in Tönen je Sekunde oder Übungsstunden je Tag oder in Mixolydisch-Worten je Satz) zählt, dann hast Du damit keine Chance. Fragt sich halt, ob man auf das Urteil solcher Leute dann soviel geben will.

Keep rockin'
Friedlieb

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

: Wenn Du dann allerdings von Leuten beurteilt wirst, für die nur das rein technische Können (also in Tönen je Sekunde oder Übungsstunden je Tag oder in Mixolydisch-Worten je Satz) zählt, dann hast Du damit keine Chance. Fragt sich halt, ob man auf das Urteil solcher Leute dann soviel geben will.

Nee, geb ich nix drauf.

Ich muß auch niemandem beweisen, wie gut ich spielen kann.
Ich habe mein Problem natürlich etwas übertrieben dargestellt. Ich bin nicht wirklich eingeschüchtert, aber es war trotzdem krass. Einfach krass....

auster

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker

: Hallo Auster,


: Zu Deinem Problem der Einschüchterung kann ich Dir ein Bsp. bringen. Meist spielten Gitarristen enorm schnell - legatierten, tappten und es wurde geklatscht. Den riesigsten Beifall aber bekam mal einer, der technisch nicht sehr versiert war, sich jedoch so leidenschftlich reinhängte, jeden Ton aus dem Hals knutschte und mit jedem Ton kämpfte.

Es war ja noch nicht mal so, daß die so verdammt schnell gespielt haben, sondern so verdammt schön....

Wie schon gesagt, ich hab kein wirkliches Problem, sondern wollt nur mal erzählen, wie es da war.

auster

Re: Einschüchterung durch zu gute Musiker


Moin,

die Musiker waren schon sehr nette lockere Typen, die bestimmt auch gerne mit weniger begabten/ungeübteren Leuten gespielt hätten. Mein Problem ist nun auch nicht so extrem, wie es in meiner Schilderung des Abends dargestellt ist.

Die haben nun auch nicht die ganze Zeit superkniffliges Zeug gespielt, sondern einfach absolut souverän schöne und enorm groovende Licks hingeledert.

Ich habe auch ernsthaft Lust da mal was zum Besten zu geben und das wird auch demnächst mal passieren.

Ich danke Euch für Eure Ratschläge. Mir ist auch schon klar, daß es nix bringt gegen solche Leute ansolieren zu wollen. Unter meiner maximalen Geschwindigkeit bleibe ich sowieso immer - erstrecht, wenn sich das andere noch anhören und eventuell schön finden sollen.
Natürlich steige ich nicht bei Jazzstücken ein, die harmonisch wesentlich verzwickter sind als Autumn Leaves.

Um es noch mal klar zu machen: Der Abend war einfach ein Musikerlebnis aller erster Güte und hat mir mächtig Bock auf
Gitarre eingehaucht. Mach Euch keine Sorgen um mich, denn ich will meine Gitarre im Leben nicht verschenken und die Finger bleiben vorerst auch noch dran.

Ich war nur stark beeindruckt, weil ich mit so üblen Kanten nicht gerechnet habe.

auster

NP: the cure - out of this world (Ich fange langsam wieder an Musik mit Gitarren zu hören)