Re: (War gestern) Alan Holdsworth - oder der Jazz und ich...


[ verfasste Antworten ] [ Thread-Anfang ] [ Aussensaiter-Forum ]

Beitrag von erniecaster vom April 20. 2008 um 19:53:46:

Als Antwort zu: Re: (War gestern) Alan Holdsworth - oder der Jazz und ich... geschrieben von woody am April 16. 2008 um 10:57:17:

Hallo!

Kunst kommt von Können.

Da widerspreche ich ganz vehement. Absolut und total. Ich halte diese Ansicht für veraltet und regelrecht reaktionär und bin wirklich überrascht, dass Du so etwas schreibst.

Beispiel? Was kann Bob Dylan? Kann der Mann singen und Gitarre spielen im Sinne von "Könnerschaft"?

Ich finde einen Qualitätsbegriff in der Musik wichtig, und das aus mehrerlei Gründen.

Da bin ich total Deiner Meinung aber das ist doch selbstverständlich, was Du hier schreibst. Ich werde mein sauer verdientes Geld und meine begrenzte Zeit nur für Musik hergeben, die mir entsprechend qualitativ wichtig ist. Das tut jeder Fan von Beethoven und Alexander Klaws gleichermaßen.

Zum einen muß es Profis geben können.
Die müssen davon leben können, Musik zu machen.
Wo kämen wir hin (ja, diese Formel benutze ich ganz bewußt), wenn es solche Klangkörper wie z.B. die Berliner Philharmoniker nicht mehr geben könnte?
Die WDR-Bigband?
Kultur kostet Geld.
Das ist sie Wert.
Da ist ein Wertbegriff.
Aber der muß gesellschaftlicher Konsens sein, sonst sind solche Ensemble nicht zu unterhalten.

Das ist eine Seite eines musikalischen Wertbegriffs, die harte, monetäre.


Auch hier bin ich bei Dir, jedenfalls einerseits. Ja, Kultur kostet Geld und muss gefördert werden. Ich könnte aber kotzen (!), wenn ich daran denke, dass die Berliner Philharmoniker mit Abertausenden von Euro gefördert werden, es aber keine paar Hundert Euro im Monat gibt, um beispielsweise Probenräume in Großstädten zu fördern. Warum? Weil hier irgendwer behauptet, dass die Berliner Philharmoniker "künstlerisch wertvoll" seien, Probenräume aber Subkultur sind.

Die andere (Seite) hat mit Respekt und Anerkennung zu tun.

Was, bitte, begründet die Verweigerung von Respekt und Aerkennung gegenüber irgendeiner Musik? Ich verlange nicht, dass jeder alles mag, ich halte es aber für geboten, tolerant gegenüber Menschen mit anderem Geschmack zu sein.

Ein guter Musiker muß an sich arbeiten.

...

Ein Industrieschlosser macht nach der mittleren Reife eine dreijährige Ausbildung.

Ein Mediziner macht sein Abitur und ist nach einem Zwölfsemestrigem Studium fertig.


Glaubst Du allen Ernstes, was Du hier schreibst? Die armen Musiker bilden sich seit frühester Jugend bis ins hohe Alter weiter und alle anderen fangen direkt nach der Ausbildung an zu verblöden?

Das wird gesellschaftlich immer weniger gesehen und honoriert.
Superstar wird man, wenn man zur Richtigen Zeit am richtigen Ort ist, per Zufall, und nicht durch harte Arbeit.


Das mag ja alles sein. Dennoch warum ist die Arbeit eines von Dir noch so geschätzten, geachteten, von mir aus auch unterbezahltem studierten Musikers "künstlerisch wertvoll" und die Darbietung von Daniel Küblböck, der Millionen Menschen unterhalten hat, nicht? Weil der eine studiert hat und der andere nicht?

Hat Bob Dylan Musik studiert?

Der WM-Song (Love Generation, oder so) wurde absichtlich schief, unschön und schlecht im timing gegröhlt, damit die Leute meinen, "oh, das kann ich genauso, da brauch ich mich nicht zu schämen, mitzugröhlen.

Woher nimmst Du diese Information?

"Wenn uns Schantall doch genauso schön das Ave Maria singen kann, warum soll ich dann jemanden dafür engagieren? und dann etwa noch bezahlen?"

Wenn mir Schantall genauso gut gefällt wie irgendwer anders, muss ich das in der Tat nicht tun.

Hast Du den Grandprix-Entscheid gesehen?
Ich schon.
Da wurden die No Angels mit einer dümmlichen, handwerklich primitiven Nummer erste (deren Titel ich gerade wieder ergooglen mußte. kann sich jemand erinnern?)
Während Caroline Fortenbacher, die mit einem handwerklich tollen Song bei mir eine echte Gänsehaut erzeugt hat. Und mich auch als Sängerin überzeugt hat.
Ein Titel, der nicht nur mit einer echten Band live zu spielen gewesen wäre, sondern mir auch haften geblieben ist. Obwohl ich ihn bisher nur einmal gehört habe.


Was ist damit bewiesen? Dass Du erstens einen anderen Musikgeschmack hast als andere und Deinen Musikgeschmack hier reichlich arrogant über den anderer stellst. Weil Du meinst, dass Du weißt, was "künstlerisch wertvoll" ist und meinst, mehr "von Musik zu verstehen".

Und das prangere ich an.

Der langen Rede kurzer Sinn:
Gute Musik braucht Anerkennung, auch finanzieller Gestalt.
Dafür ist ein Wertbegriff unabdingbar.
Mit einem Sorglosem Umgang mit diesem Wertbegriff verschlimemrn wir als Musiker unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Misere.


Selbstverständlich braucht Kunst Anerkennung und finanzielle Ausgestaltung. Die verweigerst Du übrigens den No Angels einige Absätze zuvor. Und jedem Autodidakten oder Hiphopper möchtest Du die Förderung streichen. Das kann es ja nun nicht sein.

Aus Deinem Beitrag liest sich für mich sehr schön die Arroganz eines klassisch geschultem Musikers über den Populärmusiker. Und wenn ausgerechnet Du dann schreibst, dass Du die Einordnung in E- und U-Musik am liebsten abschaffen möchtest, dann widerspricht sich das für mich.

Mein Beitrag liest sich wahrscheinlich heftiger als ich ihn meine. Nichts davon ist persönlich gemeint.

Gruß

erniecaster


verfasste Antworten:



Dieser Beitrag ist älter als 3 Monate und kann nicht mehr beantwortet werden.