Re: (Philosophie) "Weisheit" des Tages


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Beitrag von falke vom Mai 23. 2002 um 09:56:39:

Als Antwort zu: Re: (Philosophie) geschrieben von Rainer am Mai 23. 2002 um 08:58:02:

: "Wenn die letzte LAN geschlossen, Counterstrike verboten und das Internet zensiert ist, werdet ihr merken, dass man seine Kinder doch selbst erziehen muss.“
:
Moin Leute,
ich hab überhaupt keine Ahnung, was ein LAN ist, was Counterstrike oder sonstiges ist; dennoch habe ich zwei Kinder, die wir selbst erziehen. Und, wie ich meine, mit Erfolg. Erfolg zeigt sich dabei nicht in der Leistungsfähigkeit was traditionelle Werte wie Schule, Wissen-fassen und so weiter angeht, sondern Erfolg zeigt sich in einer funktionierenden Sozialisation; heißt Leben lernen unter Rücksichtnahme auf die anderen beteiligten Spezies. Sei es Mensch oder Tier. Klar gibt es dabei Schwierigkeiten, natürlich geht das eine oder andere schief. Das liegt in der Natur der Sache, weil die Kontraste (geht – geht nicht) erst durch ihr Vorhandensein funktionieren.
Sicherlich sind wir auch etwas exponiert, weil mein Büro im Haus, und der Zugang für meine Töchter jederzeit offen ist. Heißt für mich allerdings auch, Teilnahme an lateinischen Vokabeln, an Diskussionen über Transmitter-Zellen und über den verdammten Liebeskummer, der meine Tochter Leonie bisweilen in voller Härte trifft. Dennoch zeigt sie kein Interesse and Waffen, gewalttätigen Videospielen, sie findet „Arsen und Spitzenhäubchen“ sind so prickelnd und hegt auch, soweit ich weiß, keinerlei Ambitionen, Lehrer, Eltern und/oder sonstige Menschen umzubringen. Gleichwohl sie gern Limp Bizkit hört.
Es ist, das will ich damit sagen, nicht die Frage, ob und warum der eine oder andere durchdreht und Amok läuft; das kann mir auch passieren, es ist nicht die Frage, ob Counterstrikes und so verboten oder indiziert werden sollen, die Frage ist, warum es diesen Blödsinn überhaupt gibt.
Da findet der Spruch Gültigkeit, der da heißt: „Jede Gesellschaft bekommt die Menschen, die sie verdient“. Diese unsere Gesellschaft ist krank in wesentlichen Bereichen. Diese Gesellschaft und deren Auswüchse gipfeln in der Egomanie der Makrogruppen, zu denen man keinen Zugang findet, keine Berechtigung zum Zugang hat, es sei denn, man benutzt das Vehikel ‚Computerspiel’, das Vehikel ‚Verbotenes tun’ und oder Ähnliches. Es sind die Fluchten, die kleinen und großen Fluchten die immer wieder in die falschen Richtungen führen, der mangelnde Support der Eltern und Erziehungsberechtigten, die Notwendigkeit ‚gut’ sein zu müssen, sich dem Räderwerk der Verhältnisse zu stellen, sie zu akzeptieren und keine Ausbrüche zuzulassen. Die kleinen Dinge werden nicht mehr wahrgenommen, der Fokus wird verkürzt – auf maximal 40 cm Abstand zum Monitor – die Welt besteht nur noch aus einem Reflex auf der Netzhaut. Wenn man den Stecker rauszieht ist sie weg, die Welt und ein großes Vakuum stellt sich ein. Wenn man sich dort befindet, ist der Weg für labile Menschen nicht weit, durchzudrehen. Wie Durchdrehen geht, zeigt sich in PC-Spielen, in Gewaltdarstellungen in Kino und TV...
Menschen sind Modell-Artisten – Nachahmer. Das ist nicht erst seit Darwin bekannt.
Was meiner Meinung nach einfach fehlt, woran es mangelt, ist die Bereitschaft zur Auseinandersetzung zur Kommunikation, die Bereitschaft, Dinge aushalten zu können, Erfahrungen zu machen, die auch schon mal weh tun, oder anderes in Frage stellen.
Alles plätschert vor sich hin – und wenn man mal nicht weiterweiß hat man ja noch den Fifty-Fifty Joker oder kann das Publikum befragen.
Bonmot:
In dem Buch von Paul Valery ‚Eupalinos und der Architekt’ beschreibt er eine Situation, in der Sokrates und Eupalinos am Strand entlagen gehen, sich über Architektur, Dinge und Wesen unterhalten. Eupalinos findet eine an den Strand gespülte Wurzel, nimmt sie auf und betrachtet sie von allen Seiten. Er wird unruhig. Sokrates bittet ihn, die Wurzel so lang zu betrachten, bis er einen Begriff dafür gefunden hat. Nachdem Eupalinos in dieser Wurzel eine ihm bekannte Form gefunden hat; ein Gesicht oder so etwas, hat er gleichzeitig einen Namen dafür und die Unruhe ist weg.“
Heißt, Dinge, Menschen, die wir nicht direkt und sofort begreifen, machen Mühe. Solange, bis wir sie mit unseren Kulturmerkmalen belegen können. Das ist eine Form der Ästhetik, der Auseinandersetzung mit Mensch und Ding. Diese Auseinandersetzung ist abhanden gekommen. Die Auseinandersetzung entsteht als Surrogat in Form von ‚einsamen’ Spielen, in Form von Egomanie. Gipfelt in Maßnahmen, wie Mobbing, Verletzung und auch Amokläufen, wenn der Kopf zu voll und das Herz zu leer ist.
Dann funktioniert der Körper als Katalysator und kann, wie man sieht, in einzelnen Fällen das Chaos im Kopf nicht abfedern. Mit schlimmen Folgen.
Musik ist ein prima Katalysator, da sind wir doch sehr exponierte Menschen. Wir, die wir in der Lage sind, regelmäßige Schallwellen zu erzeugen, mit Mitmusikern zu kommunizieren und ein Elaborat einem, wenngleich auch schwindendem Publikum vorzutragen.
Das ist ‚bevorzugte Lebenslage’.
Ergo: Setzen wir Kinder in die Welt – um sie wieder in Ordnung zu bringen. Supporten wir die Kinder und zeigen ihnen, dass das Leben bisweilen so Scheiße nicht sein muss. Beschäftigen wir uns mit den Kids. Die Gelegenheiten sind vielfältig. Statt Counterstrike mal ein Herbarium zusammen machen, statt Flusi mal aus dem Fenster kucken, statt Fernsehen mal eine Stunde spazieren gehen und zuhören.
Viel Geschrieben, ja, aber das liegt mir sehr am Herzen, da ich zwei Töchter habe, die Spaß am Leben haben, und einen Bruder hatte, der keinen Spaß am Leben hatte; aber ‚nur’ sich selbst gegenüber Amok gelaufen ist.
So wird bisweilen das Weltbild wieder zurecht gerückt.
In diesem Sinne. Bleibt geschmeidig
Wünscht der

falke



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