Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule???


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Beitrag von Ulrich Peperle vom April 26. 2004 um 23:15:46:

Als Antwort zu: Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule??? geschrieben von Kurt am April 21. 2004 um 16:25:09:

Hallo Kurt,

ich habe Deinen Artikel mit Interesse gelesen.

Der Versuch, einmal einen Überblick durch den Bezifferungs-Dschungel zu bieten, ist zunächst recht lobenswert.
Allerdings scheinen mir einige Statements - vorsichtig formuliert - zumindest diskussionswürdig zu sein, insbesonders unter dem Aspekt, daß Dein Beitrag ja anderen Kollegen als Hilfestellung dienen soll.


[ZITAT:] Ein Akkord besteht aus geschichteten Terzen, ein Dreiklangakkord daher aus: Grundton (root), Terz und Quinte. [ZITAT ENDE]

"Akkord" ist innerhalb des abendländischen Begriffsfeldes "Harmonik" die Bezeichnung für einen vertikal konzipierten Klang, wobei es unerheblich ist, welche Intervallstruktur dieser Klang hat. Auch ein Klang z.B. mit Quartschichtung ist per Definition ein "Akkord", ebenso wie ein "Cluster" aus allen 12 Tönen des chromatischen Totals.

"Dreiklang", "Vierklang" usw. ist hingegen die Bezeichnung für Akkorde mit einer historisch auf bestimmte Konsonanzverhältnisse begrenzten Struktur - die Bezeichnung "Dreiklangakkord" ist also redundant: ein Dreiklang ist per se ein Akkord (aber nicht jeder Akkord ist ein Dreiklang).

Die axiomatische Aussage, daß ein Dreiklang aus Terzen besteht (axiomatisch, weil es sich bei Dreiklängen und anderen Akkorden um willkürliche kulturelle Setzungen handelt und nicht um Naturphänomene) hat z.B. noch für das 18. Jh. nur eine tendenzielle Gültigkeit: selbst bei Haydn gibt es noch Sextakkorde, die nicht als Umkehrungen von Terzschichtungsakkorden zu deuten sind, sondern als Akkorde mit der autonomen Struktur 1-3-6.

[ZITAT:] Das Tongeschlecht des Akkords ... [ZITAT ENDE]

Die Bezeichnung "Tongeschlecht" bezieht sich auf die Intervallstruktur von horizontal konzipierten Materialskalen, die man in der neueren abendländischen Musiktheorie mit Begriffen wie Dur, Moll oder "Kirchenmodal" (als Sammelbegriff für die Tongeschlechter Dorisch, Phrygisch usw.) zu definieren versucht.
Bei Akkorden unterscheidet man hingegen nach "Akkordgeschlecht", wobei der Dreiklang als Bezugsgröße dient.
Akkordgeschlechter sind der Dur- und Moll-Dreiklang, sowie der verminderte, übermäßige und hartverminderte Dreiklang; d.h. neben der Terz ist auch die Quinte als bestimmender Faktor wirksam.


[ZITAT:] Neben der Terz kann auch die Quinte variiert werden ...[ZITAT ENDE]

"Varianten" sind austauschbare Werte bei gleichbleibender Funktion.
Aber weder Terz noch Quinte können in einem Dreiklang "variiert" werden, ohne damit das Akkordgeschlecht oder gar die harmonische Funktion zu ändern.


[ZITAT:] Wichtigster zusätzlicher Akkordton: die Septime. Mit ihr zusammen ergibt das einen klassischen Vierklang, die Grundlage für die Jazzakkorde.[ZITAT ENDE]

Ein Vierklang ist im Klangverständnis des Jazz kein Dreiklang "plus Zusatzton", sondern eine eigene Akkordqualität.

Der als "Septimakkord" definierte Vierklang kann nicht "Grundlage für Jazzakkorde" sein, weil es keine spezifischen "Jazzakkorde" gibt, sondern nur Akkordstrukturen, die von Jazzmusikern mehr oder weniger bevorzugt verwendet wurden oder werden. Im Akkordmaterial geht der Jazz kaum über das europäische Akkordrepertoire der Romantik hinaus.

[ZITAT:] ... Cmaj7 (c/e/g/h, DER klassische Jazz-Dur-Akkord. Blöderweise wird "maj" ohne Zahl dazu für die Terz, mit 7 dazu für die große Sept. verwendet).[ZITAT ENDE]

Das Elend der maj7-Bezifferung (kein Mensch versteht auf Anhieb, warum "7" nicht die große 7 bezeichnet, sondern die kleine, während alle anderen Ziffern ohne Alterationszeichen immer große bzw. reine intervalle angeben!) läßt sich nicht mehr ändern, weil die Jazzbezifferung unseeligerweise nicht von der Dur-Skala ausgegangen ist, sondern vom Akkord der 5. Stufe, der in Terzschichtung als Siebenklang konstruiert wird und dadurch das diatonische Total abdeckt:
(in C:) g-h-d-f-a-c-e = 1-3-5-7-9-11-13

[ZITAT:] ... C7, der Dominant-Sept-Akkord ...[ZITAT ENDE]

Ob C7 eine Dominant-Funktion einnimmt, ist nicht aus der Akkordstruktur ablesbar, sondern kann nur aus dem konkreten Kontext abgeleitet werden. Folgt auf einen C7 z.B. ein F, kann man von einer Dominantfunktion ausgehen - in einem Blues in C ist der C7 bekanntlich kein Dominant-Sept-Akkord, sondern Tonika mit funktionsloser, rein koloristischer 7.
Akkordstrukturen sind also etwas anderes, als harmonische Funktionen.


[ZITAT:]...die 6. Sie bezeichnet die große Sexte (7 Halbtonschritte über root) und ersetzt im Akkord die 7. ...[ZITAT ENDE]

Die Sexte ist keine 7-Substitution, sondern "charakteristische Dissonanz" in einem eigenständigen Vierklang. Diese "sixte ajoutée" müßte eigentlich als "add6" beziffert werden, da z.B. C6 falsche Assoziationen weckt, zumindest bei Musikern, die Generalbaß kennen: hier steht die 6 für "Sexte statt Quinte". Ein weiterer Fall der bedauerlichen Kompatibilitätsprobleme der Jazz-Sigel zu historisch etablierterenn Bezifferungsmethoden.

"7 Halbtonschritte über root" liegt die reine Quinte!
Bei der Berechnung von HT-Schritten rechnet man die root als "1". Die gr. 6 liegt also 9 HT über root.

[ZITAT:] ... "suspended" (aufgehängt), der Akkord pendelt also zwischen Dur und Moll, weil er KEINE TERZ beinhaltet...[ZITAT ENDE]

"sus x" ist terminologisch korrekt als "x-Vorhalt" zu übersetzen.

Der jeweilige Akkord pendelt nicht unbestimmt zwischen Dur und Moll, sondern beinhaltet sehr wohl eine Terz - diese wird aber auf metrisch schwerer Zeit "vorenthalten" und erklingt bei schulbuchmäßiger Auflösung erst auf metrisch leichter Zeit.
Auch ein unaufgelöster "sus-Akkord" ist zumeist aus dem Kontext bestimmbar: in C wird man einen Gsus4 richtig als Durakkord deuten, in Am einen Dsus4 als Moll - hier wäre "Dm sus4" als Bezifferung besser.

[ZITAT:]Als Gitarrist behilft man sich dann, indem man unwichtige, langweiligere Töne aus dem Akkord wegläßt ...[ZITAT ENDE]

Die Antwort auf die Frage, ob ein Ton "unwichtig" oder gar "langweilig" wirkt, sollte man besser der Musikpsychologie überlassen ;) ...
Ob Töne weggelassen werden (oder verdoppelt - auch das ist möglich), richtet sich auch bei Pianisten zunächst nach musikalischen Prinzipien des Voicings und der Stimmführung. Der grifftechnische Aspekt ist allerdings bei der Gitarre etwas dominanter.

[ZITAT:]Nicht weglassen sollte/darf man: Terz ...[ZITAT ENDE]
[ZITAT:]C11 = C7/11 (c/e/g/b/f, Griffbild 8X896X auch hier wurde Quinte durch die 11 ersetzt)[ZITAT ENDE]

C11 = C7/9/11 bzw. C13 = C7/9/11/13!

Akkordvoicings mit der 11 verzichten i.d.R. auf die Terz, um das sehr dissonante Intervall der kleinen None zu vermeiden.
Das Beispielvoicing 8-x-8-9-6-x klingt durch die kleine Sekunde schlichtweg grausam, kann aber durch Weglassen der 3 erheblich gemildert werden: 8-x-8-7-6-x (1-7-9-11)

[ZITAT:]C6/9 = c/e/g/a/d, Griffbild: X32233 ...[ZITAT ENDE]

Hinter C6/9 versteckt sich eigentlich ein Akkord mit Quartschichtungsstruktur: e-a-d-g-c (x-7-7-7-8-8). Auch hier hat die 6 keine substituierende Funktion, abgesehen davon, daß die Bezifferung die intendierte Akkordstruktur ohnehin nicht wiedergeben kann.

[ZITAT:]... (7b9, 7#9, 7b13)...[ZITAT ENDE]

Bei aller Uneinheitlichkeit in der Praxis: Alterationszeichen gehören HINTER die jeweilige Intervallziffer (C9b usw.), genau wie bei den Root-Buchstaben (man schreibt ja schließlich C#, nicht #C)!
Die Bezifferung X79 ist redundant, da bei 9-13 immer auch die dazwischenliegenden Terzen impliziert sind.

[ZITAT:] halbvermindert: m7b5 (Terz und Quinte sind vermindert). Schreibweise: C-"Durchmesser", also C mit einer durchgestrichenen Null, oder eben "m7b5"
Cm7b5 = c/es/ges/b
vermindert: sozusagen "mb7b5" (Terz und Quinte und Septime sind vermindert). Schreibweise: Cdim (diminished) oder C-Null (die Null ist dann nicht durchgestrichen).
Cdim = c/es/ges/a (das a ist aber keine 6 sondern eine verminderte 7, eine weitere 7 ist dann "verboten", formal-theoretisch könnte aber noch eine kleine 6 ergänzt werden. macht aber keiner).[ZITAT ENDE]

Bei verminderten Akkorden ist das Bezifferungs-Chaos leider besonders groß. Das ändert aber nichts daran, daß ein verminderter Akkord keine verminderte Terz hat, sondern eine kleine Terz und eine verminderte Quinte.

Die beste Bezifferung ist hier der Kreis oder "dim", beide Zeichen meinen aber nur den Dreiklang, also C° oder Cdim = C-eb-gb!

C°7 /C dim7 ist der "halbverminderte Septakkord" C-Eb-Gb-Bb.
C°7b/C dim7b ist der verminderte Septakkord C-Eb-Gb-Bbb.
Wieso der "formal-theoretisch (???)" ("theoretisch" reicht doch schon!) durch eine kleine 6 ergänzt werden könnte, ist ein arg erklärungsbedürftiges Statement.

Verbreitet, aber unsinnig ist die Bezifferung Xm7/5b bzw. Xm7b5b: sobald die Quinte verändert wird, verändert der ganze Akkord sein Akkordgeschlecht.
Ein "verminderter" Dreiklang ist aber kein "Mollakkord" mit verminderter Quinte, sondern ein eigenes Akkordgeschlecht.
Auch deswegen ist X° / Xdim vorzuziehen, weil eindeutig.


Also: Hut ab vor der gemachten Mühe, aber gerade bei Beiträgen, in denen man anderen Leuten Wissen vermitteln möchte, sollte man sich selbst gegenüber sehr kritisch sein und selbst scheinbar nebensächliche Formulierungen immer noch mal auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen.

mfG
Ulrich Peperle


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