Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule???
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Beitrag von Kurt vom April 28. 2004 um 10:18:32:
Als Antwort zu: Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule??? geschrieben von Olkmar am April 27. 2004 um 22:10:17:
Hallo Olkmar,
erstmal ziehe ich meinen Hut vor Dir nach diesem fundiertem Beitrag. Daß Du einen Schlaganfall hattest, glaubt Dir nach so einem Beitrag keiner mehr ;-) Auf jeden Fall ist der Text qualitativ hochwertiger als ihn ein Schlagzeuger in der Blüte seiner Jahre je schreiben könnte :-))) (Spässla gmacht, nix böse sein!).
Ich bin total baff, was für eine Lawine von Musiktheorie ich mit meinem Posting lostgetreten habe. Dabei war es doch nur aufgewärmt. Als ich denselben ursprünglichen Text zum Akkordaufbau vor Monaten hier reingestellt hatte, war die Reaktion darauf quasi Null, ich dachte damals schon, ich hätte sie alle mit Theorie erschlagen oder wenigstens mundtot gemacht.
Aber jetzt: RESET! Ich wollte und möchte die Diskussion nicht in Theorien über generellen Akkordaufbau, Harmonielehre und nach Teutscher Gründlichkeit korrekte Symbolschreibweise und jeweils deren historische Wurzeln ausufern lassen. Es ging und geht mir nur um die praxistaugliche Antwort auf die Frage: Wie bastelt man/frau sich einen Akkord AUF DER GITARRE, wie sind die komplizierten Akkordsymbole v.a. bei Jazz-Stücken zu verstehen und auf der Gitarre zu spielen?
Und da orientiere ich mich bei der Akkordgrundstruktur am common sense des Jazz und Schreibweise an der Bibel des Jazz-Repertoires: dem (illegalen) Real Book (Band I), obwohl auch dort die Schreibweisen nicht einheitlich sind, aber sie können meistens eindeutig interpretiert werden, wenn man mit den verschiedenen Schreibweisen vertraut ist.
Ein paar inhaltliche Anmerkungen muß ich noch machen, da mir da und dort einige Nachlässigkeiten unterlaufen sind:
Akkorde wie C9, C7(#9), C7(b9), C11, C7(#11), C13, C7(b13) sind Dominant-Sept-Akkorde (in dem Sinne, daß sie eine Dur-Terz haben, eine reine Quinte sofern sie mitgespielt wird, und eine kleine Septime - nicht im funktionsharmonischen Sinne Dominantakkorde die nach harm. Auflösung verlangen) mit FARBEN, die durch die Ziffern > 8 definiert werden. Diese Farben sind als höchste Töne im Akkord zu spielen! (Im Ggs. z.B. zu C6, hier liegen über der Sexte noch höhere Töne im Akkord, z.B. Terz oder Quinte, nicht aber die 7! Ein C13 beinhaltet die 7, aber die 6 wird als oberster Ton gespielt und deswegen 13 genannt). Soll die 7 nicht im Akkord enthalten sein, so findet sich ein "add" vor der Farbe, z.B. Cadd9, Cadd13 usw., wie mein Vorredner schon richtig sagte.
Tonverdoppelungen in einem Akkord (Baß-/Grundton, Terz oder gar die Quinte) sind vielleicht im Folk bei Dur-Strahle-Klängen auf der Westerngitarre oder bei Powerchords im Rock schön und passend, aber im (modernen) Jazz weniger gefragt, da sie nichts wesentlich Neues bringen und das Klanggeflecht nur verdichten, sprich: zuwummern. Die Tonverdopplungen sind ohnehin unvermeidlich wenn man mit einem Bassisten oder gar einem Pianisten (!) zusammen spielt. Wenn Gitarrist aber z.B. alleine eine SÄngerin begleitet à la Tuck&Patti, dann sind natürlich alle Töne, evtl. auch gedoppelt, gefragt und passend.
Und noch was zum Thema "eindeutige Notation", Griffbilder etc.: Erstens: Die Akkordsymbolangaben im Real Book sind nicht nur für Gitarristen gedacht, sondern auch (und in erster Linie) für Pianisten, die die Akkorde viel umfassender spielen können als unsereiner. Ein Gitarrist ist oft schon vom Instrument her gezwungen, was wegzulassen. Und was er wegläßt, obliegt ihm selbst und führt daher schon zu Mehrdeutigkeiten. Zweitens: es gibt für jeden Akkord na, sach ich mal, ein rundes Dutzend Griffmöglichkeiten auf der Gitarre. Welches Voicing der Komponist sich genau vorgestellt hat, steht leider nicht da. Drittens: Die typischen Jazz-Notenblätter nennt man "lead sheet", d.h. sie führen, geben nur eine Anleitung, einen Rahmen, innerhalb dessen die Interpretation frei ist: Zusätzliche Farben, Zwischenakkorde die gar nicht da stehen, Uminterpretationen von Akkorden, aufeinander passende voicings mit stimmführung etc. sind nebst rhythmischen Gestaltungsmöglichkeiten möglich, erlaubt und erwünscht (natürlich ist die Bandbesetzung zu berücksichtigen!!!! Eine harmonisch zu freie Interpretation wird fast immer mit dem Pianisten kollidieren und umgekehrt!). Das ist ja eins der besonderen und interessanten Merkmale des Jazz: daß die Musik eben nicht bis ins kleinste ausnotiert ist (es gibt natürlich auch Ausnahmen, z.B. Big-Band-Arrangements) sondern von jedem und jedesmal neu interpretiert wird. Viertens: selbst die Notenschrift auf den 5 Linien ist ohne Zusatzangaben (Fingersatz) für die Gitarre nicht eindeutig, da alle Töne auf verschiedenen Saiten in entsprechender Lage gespielt werden können und ansonsten identische Akkorde in einer anderen Lage auch anders klingen. Fünftens: Bruchstrich-Schreibweisen (Bb/C) sind sicher auch gut und hilfreich, finden sich übrigens auch im Real Book (noch mehr in den legalen Ausgaben), aber der weniger bemittelte Gitarrist wird den Baßton oft ignorieren und dem Bassisten überlassen (das entspricht auch meinen Empfehlungen, weniger zu spielen). Im Englischen heißen diese Akkorde übrigens "Slash-Chords", bennant nach dem berühmten Kollegen aus Guns&Roses ... ;-)
Freedom in the groove (J. Redman) Kurt
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