Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule???


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Beitrag von Olkmar vom April 27. 2004 um 22:10:17:

Als Antwort zu: Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule??? geschrieben von Kurt am April 27. 2004 um 17:24:14:

Hi Kurt, Hi Ulrich und alle Anderen, die es evtl. interessiert!

Im Prinzip wollte ich mich aus dieser Harmonik-Diskussion heraushalten, so interessant ich sie finde...

Ich habe nach einem Schlaganfall (hat nix mit Fremdgehen auf'm Drumset zu tun!) mit Mühe wieder Lesen und Schreiben gelernt und immer noch Probleme mit längeren Texten, ich bitte, mir evtl. Rechtschreibefehler freundlichst nachzusehen und werde mich auf einige wenige Punkte beschränken, zu denen ich glaube, etwas beitragen zu können.

Vorab sollte klar sein, daß eine wie auch immer geartete Theorie niemals Wirklichkeit konsequent darstellen oder gar ersetzen kann, sondern nur annäherungsweise beschreiben, daher sollte mit Begrifflichkeiten wie wahr/falsch vorsichtig umgegangen werden, letztlich kommt es darauf nicht an, sondern auf "Handlichkeit". Musik allgemein profitiert zuweilen von "Mehrdeutigkeiten", insofern begibt sich derjenige, der musikalische Zisammenhänge eindeutig beschreiben will, leicht auf dünnes Eis.

Die bislang Verfügbare Theorie zum Jazz unterliegt leider genau dieser Versuchung und ignoriert überdies geflissentlich den Umstand, daß laut Goedel "ein hinreichend mächtiges System entweder nicht in sich abgeschlossen oder nicht widerspruchsfrei sein kann". Weitere Fragwürdigkeiten entstehen aus der Bevorzugung der generalbassbasierten Stufentheorie, die dort sicherlich ihren Sinn hatte, aber etliche Entwicklungen harmonischer Zusammenhänge der Romantik nicht mehr treffsicher beschreibt und somit dort durch die Funktionstheorie verdrängt wurde, die auch die Harmonik im Jazz (die ja deutlich romantische/impressionistische Vorbilder hat) sicher griffiger erscheinen lassen würde (angefangen damit, daß die favorisiert der Dominante vorausgehende 2. Stufe präzise als Doppeldominante, Subdominantparallele oder auch Tristan-Akkord zugeordnet wird), sowie aus der Heiligsprechung der teilweise mehr als schlampigen Real-Book-Notationsweise.

>(Zugegebenermaßen kannte ich die Haydn'schen nicht-terzgeschichteten Dreiklänge auch gar nicht :-)

Diese Dinger gab es vor und nach Haydn, sie sind aus der gesamten Musikgeschichte nicht wegzudenken und lediglich in der Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts unter den Tisch gefallen, man hat schlichtweg unterlassen, ihnen ein Symbol zu geben.

Es gibt deren 2: den verkürzten Dominantseptakkord und den Subdominantsextakkord, wobei letzterer unterschieden werden muß von der Subdominante als Sextakkord (d.h. mit Terz im Bass, ergo nur eine Umkehrung eines reinen Terzenaufbaus!) und dem Subdominantquintsextakkord (der die Sexte nicht statt der Quinte, sondern dazugefügt enthält, somit ein Vierklang).

Wäre der Subdominantsextakkord zumindest in Dur noch als Umkehrung der Subdominantparallele mit Basstonverdopplung zu erklären, so ist dies bereits in moll oder auch bei dem verkürzten Dominantseptakkord nicht möglich, dieweil die Rückführung auf den Terzenaufbau einen verminderten Dreiklang ergibt, der in "alter Musik" ohne umständliche Alibikonstruktionen "nicht existieren durfte".

Formen wir jedoch den in in Dur auf der siebten, in moll auf der zweiten Stufe gebildeten "unbrauchbaren" Dreiklang so um, daß wir seine Terz zum Grundton erklären (und logischerweise auch verdoppeln, Resultat in C-Dur/a-moll: D-d-f-h oder ebensogut in abweichender Stimmführung D-f-h-d, D-h-d-f sollte lieber vermieden werden und wurde im 19. Jahrhundert durch D-f-h-f ersetzt), so erhalten wir in Dur (ebensogut in moll mit erhöhter 7 konstruierbar) den verkürzten Dominantseptakkord (funktional D7 mit durchgestrichenem D, stufentheoretisch II6 beziffert), in moll den Subdominantsextakkord (S6 bzw. IV6).

Der Tritonusgehalt dieser Akkorde ist durch die jeweiligen konsonanten Intervlle zum
Basston abgedeckt, womit sogar die Dominantsept des Verkürzten als Terz konsonant betrachtet wird, somit nicht abwärts aufgelöst werden muß, im Gegenteil wegen Ggenbewegung aller Oberstimmen zum Bass bei Sekundverbindungen eher aufwärts geht.

In klassischer Gitarrenmusik kommt diese Sonderform der Dominante durchaus vor, als Beispiel nachfolgend eine Kadenz C-D-G, in der die Dominante verkürzt (also ohne Dominantgrundton, dafür aber mit der Dominantsept!) erscheint:

X3X010 -> X0X212 -> 3XX433

Man beachte den Aufwärtsgang aller Oberstimmen in Gegenrichtung zum Sekundschritt des Basses.

Da der verkürzte Dominatseptakkord identisch mit dem S6 der parallelen Molltonart ist, wirkt er sehr "vermittelnd" in Trugschlußwendungen:

X3X010 -> X0X212 -> XX2003

(e-moll statt G-Dur, Leitton fis wird aufgelöst, die anderen Oberstimmen gehen abwärts, daher Terzverdopplung wie im Trugschluß üblich!)

>Nein, ich bleibe dabei: die Terz ist der wichtigste Ton im (Gitarristen-)Akkord und darf prinzipiell nicht weggelassen werden. Auch C11 wird mit Terz gespielt; die Reibung zwischen der 3 und der 4 ist ja gerade das interessant klingende.

Ich will diese Möglichkeit keinesfalls ausschließen, aber IMHO sollte das nicht pauschal betrachtet werden, wie überhaupt die Frage, was denn noch so rein muß und was besser draußen bleibt, abhängig vom Kontext ist. Viele Bezifferungen sind historisch gewachsen bzw. haben andere vorausgehende ersetzt. C11 wird oftmals nicht in dem Sinne gebraucht, daß die 4 (im Gegensatz zu C4, was bitte soll das unnötige "sus"?) additiv zur 3 vorhanden sein soll, sondern zur Vermeidung der "Bruchstrichschreibweise" Bb/C, kennzeichnet also in diesem Fall eine Doppelfunktion Bb-Akkord mit Basston C.

Im Gegensatz dazu ist allerdings Cm11 ein echter sechsstimmiger Akkord, zur Mollterz ist die (üblicherweise hochzulegende) Quart auch deutlich weniger dissonant (hier wäre eher die None in Verdacht, die offensichtlich in ihrem Reibungsgehalt "gewohnkeitsrechtlich" toleriert wird). Die (immerhin mögliche) sechsstimmige Ausführung auf der Gitarre 8-8-8-8-8-10 ist nicht sonderlich befriedigend, wenn nicht ein tieferer Baß vorhanden ist.

C11: X3333X, kann als Doppelfunktion (Subdominante + Dominantbasston nach F aufgelöst werden, "Gospeltypisch") -> 1X321X

>Es gibt z.B. auch etliche modale Groove-Stücke, die die längste Zeit auf einem X7#9 beruhen (root+gr.Terz+Quinte+Septime+übermäßige None), d.h. mit der Reibung der kleinen Sekunde zwischen Terz und #9. Klingt schön sperrig schräg, einfach geil.
Am ehesten kann die QUinte weggelassen werden (außer natürlich sie ist vermindert oder überhöht), dann der Grundton (den spielt eh der Baß).

Gerade bei diesem (wie auch bei anderen 9ern) wird üblicherweise die Quint weggelassen, und richtig gut klingt das Ding nur, wenn die Durterz unten, die Mollterz oben ist, wie es dem Obertonaufbau entspricht (demzufolge die Quint, wenn vorhanden, noch tiefer sein müßte!).

>Und bei C13 wird die 11 NICHT mitgespielt.

Richtig, dies ist aber ein Sonderfall, diese Schreibweise hat die alte (in präkambrischen Grifftabellen noch zu findende!) 6/7 sinnvollerweise ersetzt, dieweil sie besser verdeutlicht, daß die Sext nach oben gehört.

>Alle Zahlenangaben jenseits der 8 (9,11,13) sind sog. Farben, die nur einzeln im Akkord gespielt werden, außer es stehen mehrere da (z.B. C9/13)

Auch das würde ich nicht so pauschalisieren, denn dann hätte die Schreibweise mit "add" (falls nur ein Zusatz erfolgen soll) keinen Sinn. Ein Gegenbeispiel:

C11#13 enthält üblicherweise 1, 3, 7, 9, 11#, 13 (Die Quint dürfte zwar vorhanden sein, ist aber entbehrlich, und würde mit einer erhöhten 11 eher kollidieren als die Terz!). Würde man hier 7 oder 9 weglassen, wäre die (nicht zwingende, aber je nach Kontext mögliche und oft intendierte) Doppelfunktionalität dieses Akkordes (übereinanderliegend C7 und D) nicht mehr gegeben. Logischerweise bekommt man auf der Gitarre Probleme, ein solches Gebilde vollständig und mit brauchbaren Voicings darzustellen, aber das ändert nichts daran, daß diese Töne eigentlich hineingehören.

Abschließend möchte ich noch sagen, daß die Notationsweise, über die hier diskutiert wird, von manchen Zöpfen wimmelt. Ebenso wie "4" anstelle von "sus" voll ausreichend ist, kann für "maj7" ein einfaches "j" genügen, und wenn ich mir die offensichtlich unterschiedlichen Auslegungen einer "11" betrachte, frage ich mich, ob nicht in manchen Dingen die Bruchstrichschreibweise (die im Profibereich wohl nur mehr im Falle von Orgelpunkten - liegenbleibender Baß unter darüber wechselnden Akkorden - gepflegt wird) nicht manchmal eindeutiger wäre.

alterierte Grüße,

Olkmar


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