Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule???


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Beitrag von Olkmar vom April 28. 2004 um 20:22:50:

Als Antwort zu: Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule??? geschrieben von Kurt am April 28. 2004 um 17:17:44:

Hallo Kurt!

>Vor allem bei Deinen Ausführungen zum C11 Akkord ("... Sexte der akkordischen Subdominantstruktur ...") steige ich aus, siehe unten.

Dieweil es mir darum wirklich nicht geht und meine Anmerkungen zumindest für diejenigen, die an solcher Materie interessiert sind, verständlich sein sollten, hier dieses Beispiel genauer:

Wenn ich den Akkord incl. Quinte als C-G-Bb-D-F anordne, kann ich wahlweise das G als Quinte dem Basston zuordnen oder als separat gelegten Grundton der Akkordstimmen auffassen, denn auch der Septakkord der 2. Stufe (Bezugstonart F-Dur) ist als Subdominantparallele ein hinreichen deutlicher Vertreter der Subdominante. Da aber eine Umkehrung nur der Oberstimmen bei bleibendem Basston sowohl funktional als auch stufentheoretisch unerheblich ist und nur ein Änderung des Voicings, ist auch die Anordnung C-Bb-D-F-G möglich, die vier die Subdominante repräsentieren Stimmen (über dem nach wie vor dominantischen Basston) bildet dann einen Subdominantquintsextakkord.

Btw.: Eine weitere mögliche, wenngleich umständlichere Schreibweise wäre C479, wobei klar sein sollte, daß der Zusatz "sus" hier unterbleiben sollte, weil die 4 sich bei Auflösung nach F-Dur ja nicht verändert (bleibt normal als Verdopplungston liegen, wenngleich sie zu einem Fj tatsächlich abwärts geführt werden könnte!)

>Zu Deinen Zweifeln, ob bei X7(#11) oder X7(b13) die Quinte mitzuspielen sei, kann ich nur fragen: Welcher normal-sterbliche Gitarrist greift einen Halbtonschritt innerhalb eines Akkords?

In diesem Zusammenhang sicher niemand, sie wäre allerdings selbst bei größerem Abstand fragwürdig. Halbtonschritte in Gitarrenakkorden sind eher als open Chords bei Fusion oder Canterbury typisch, Beispiele:

024000, 0X4030, X54030 (letzteres als völlig atypisches Beispiel von Durterz und Quart in direktem Nebeneinander, die anderen Fälle sind Sekunde als "tiefgelegte None" plus Mollterz)

>Die Sache mit der Quinte erübrigt sich also in der Praxis (des Akkordgriffs!!), denn die Farbe ist im Akkord wichtiger.

Das ist wiederum eine andere Baustelle, denn z.B. beim Bossa-Nova-Fingerstyle ohne Bassisten ist ja die Quint durchaus als "Wechselbass" relevant (wenn sie denn passt!).

>Allerdings: die Akkorde geben ja auch eminent wichtige Hinweise für's Solospiel und die dazu "amtlich erlaubten" Skalen (womit wir wieder beim Thema "Schafscheiße" wären, die alten Forumshasen werden das kennen und aufstöhnen). Das war aber nicht Thema meines ursprünglichen Postings.

Ich kann die Kritik mancher genervten Musiker zu diesem Thema durchaus verstehen, denn oft indiziert ein durch Akkordwechsel bedingter Skalenwechsel ja nichts anderes als schlichtweg eine geänderte Gewichtung bei ansonsten unverändertem Tonvorrat, was im Falle von Skalen ohne Avoid-Notes noch nichtmal besonderz zu berücksichtigen ist. Bei wirklich substantiellen Skalenänderungen innerhalb eines Solos fällt es mir persönlich leichter, mich gedanklich nur auf die jeweils eintretenden Veränderungen zu konzentrieren, anstatt in entlegenen Skalen zu denken, was übrigens oft sehr gut mit der funktionalen Bedeutung eines Akkords in der gegebenen Tonart korrespondiert, aber als "Funktionalist" bin ich gegenüber der in der Jazzlehre allgemein vertretenen Stufentheorie wahrscheinlich mit dieser Denkweise (auch Hörweise!) "far out"...

>C7(b13) ist ein fast todsicherer Hinweis für die alterierte Skala (b9, #9, b13),

Aber eben nur fast! Denkbar ist ebensogut eine dominantische Verwendung in einer F-Dur-Bluestonalität (Ab als Melodienote!), somit die 9b eher zweifelhaft, mitunter wird auch die "glatte" None zusätzlich zur erhöhten (die ja eigentlich Mollterz ist) verwendet.

>wird also im Jazz auch für Soli-Skalen mit Dur-Terz und reiner Quinte zugrundegelegt.

Sorry, aber mit REINER Quinte ist es nicht die alterierte Skala!

Calt = C, Db, Eb, Fb (=E!), Gb (!), Ab, Bb

Ich würde in wirklichen Fällen der alterierten Skala auch für den Akkord die Schreibweise Calt dem ansonsten fälligen Nümmerchenwirrwar vorziehen.

(Ich denke gerade über die korrekte Bezeichnung im Falle einer reinen Quint nach, es müßte eigentlich "phrygian 11b" sein. Haben wir doch alle gestern erst noch gespielt *g*.)

>Ja, da hast Du wohl recht. Diese Interpretation eines C11 beim goschpln ist mir neu, ich glaube, ich käme da auch ins Schwimmen.

Genau diese Doppelfunktion ist aber absolut stiltypisch, sie wurde aus dem Neoklassizismus übernommen. Der Grund ist sicherlich die (verglichen mit anderen "Schrägheiten") leichte chorische Singbarkeit.

>: (Ausnahmen: 7 -> 6 Vorhalte, wobei logischerweise beide beteiligten Akkorde, dieweil Umkehrungen, quintlos waren, und sog. "Nebenseptakkorde" in Septakkordsequenzen, die allerdings meist die große Sept enthielten, wenn keine Dominantauflösung folgte!)

Ich will ja nicht kneifen, aber hier wäre eine weiterführende Erklärung sehr umständlich, weil es sich kaum symbolisch ausdrücken lässt, diese Sachen entstammen dem Continuozeitalter und werden kontemporär nur noch in Kirchen- und Filmmusik eingesetzt. Daher nur ein paar einfache Beispiele, wer will, mag sie als Hörprobe spielen:

Vorhalte 7 -> 6 (der Einfachheit halber dreistimmig):

X3X0X0 -> XX32X0 -> XX323X -> XX203X -> XX201X -> X535XX -> X534XX -> X324XX -> X322XX -> X202XX -> X201XX (oder X200XX, je nachdem, ob ich nach a-moll modulieren oder in C-Dur bleiben möchte!)

Sequenz mit Nebenseptakkord:

XX5433 -> XX0212 (= das Modell mit Dominantseptakkord)
XX2000 -> X2423X (= die tonale abwärtsgerückte Entsprechung mit Nebenseptakkord)
X3201X wäre der logisch nachfolgende Akkord, mit dem üblicherweise das Sequenzmodell verlassen wird.

>: >C11
: Wird, wie ich schon im Vorposting erwähnte, auch zur Kennzeichnung einer Doppelfunktion benutzt, die dann terzlos sein sollte. In diesem Fall gilt zusätzlich:
: Die Quint kann ebensogut, wie auf den Dominantbasston bezogen, auch als Sexte der akkordischen Subdominantstruktur aufgefasst werden und darf demzufolge ausnahmsweise über 7-9-11, die ja in der Subdominantfunktion nichts anderes darstellen, als 1-3-5, liegen!

Ich hoffe doch, das weiter oben halbwegs nachvollziehbar erklärt zu haben.

>: (Witzigerweise gilt bei einer eher seltenen 11-Anwendung als Orgelpunktfunktion das gleiche, eine zuvor vorhandene hochliegende Quint darf als gemeinsamer Ton in der selben Stimme liegenbleiben!)

>Ja, genau, Bahnhof! (sorry this is much too much Matsch for me).

Dies wiederum ist eine relativ simle Sache, nämlich nichts anderes als das, was im Jazzvoicing als "smooth" bezeichnet wird und basiert auf der alten Stimmführungsregel, daß gede Stimme den kürzesten möglichen Weg geht, mit der logischen Folge, daß über den Akkordwechsel hinweg gemeinsame Töne in der selben Stimme liegenbleiben (Wenn sich Gitarristen und auch teilweise Pianisten recht wenig daran halten, hängt dies damit zusammen, daß dies für Bläser- und Chorsätze wesentlich wichtiger ist! Speziell die Gitarre ist mitunter eher geeignet, traditionelle Stimmführungsregeln zu brechen, als sie zu beachten *g*.)

>Aber: einen Bassisten, der nicht den vollständigen Akkord im Bewusstsein hat, würde ich "quintisieren" oder "sus-sen", also ganz weglassen oder gleich aufhängen ;-)

Im hochschulischen Bereich wird es üblicherweise so gehandhabt, daß man solche Leute (nebst deren Pendants an Piano/Drums) als Begleiter für die Aufnahmeprüfungen von Studienbewerbern rekrutiert... *wegduck*

Grüße,

Olkmar


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