(Technik) Studiotipps nicht nur für die akustische GitarreBeitrag von erniecaster vom November 09. 2008 um 14:44:44: Liebe Gemeinde!Es ist immer wieder spannend, die Fachpresse und das Internet zu durchforsten und Tipps zu lesen, was man denn in der einen oder anderen Situation tun oder lassen sollte. Und wenn man sich dann in so einer Situation befindet, werden plötzlich ganz andere Dinge wichtig. Wir machen gerade ein paar Aufnahmen. Ist noch lange nichts fertig, wir lassen uns richtig Zeit und haben zum Glück die Möglichkeit, ein professionelles Studio nutzen zu dürfen, wenn es frei ist. Also saß ich mal wieder im Aufnahmeraum, Kopfhörer auf den Ohren, Gitarre auf dem Schoß und spielte ein paar Sachen mit der akustischen Gitarre ein. Ein paar meiner Erfahrungen gebe ich gern weiter. Vielleicht ist etwas Wertvolles für Euch dabei, vielleicht auch nicht. Das Wichtigste, das Allerwichtigste überhaupt vor allem Technik- oder Mentalkram bleibt das Üben zuhause. Nicht gniedeln vor dem Fernseher, sondern die Parts üben. Üben. Üben, bis die aufzunehmenden Parts wirklich lässig spielbar sind. Und zwar Üben mit Metronom. Und wenn man der Meinung ist, dass man die Parts spielen kann, dann nochmal üben. Überhaupt möglichst schon ein paar Tage vorher einfach viel Gitarre spielen, richtig schön "warm" und eingespielt sein. Ehrlich. Üben hilft. Und jetzt diesen Absatz bitte nochmal lesen. Bei akustischen Gitarren klingeln die Saitenteile zwischen Mechaniken und Sattel mit. Das hört man normalerweise nicht, im Studio schon. Dieses Klingeln ist unharmonisch. Ein Taschentuch drum, mit Krepp fixieren und schon ist Ruhe. Das Mikrofon und die Mikroposition haben einen immensen Einfluß auf den Sound. Die erste Idee ist meist, das Mikro direkt auf das Schallloch zu richten. Das gibt gleich zwei Probleme. Problem Nummer eins ist der Sound aus dem Schallloch, denn dort wirft die Gitarre viel Bass raus, gerne auch mal mit einem Dröhnen verbunden. Das kann man ganz einfach in den Griff bekommen. Man nehme ein Stück Papier und ein wenig Kreppklebeband. Das Papier über das Schallloch, mit Krepp festkleben, fertig. Vorsicht! Kein Gaffa! Ordentlich festkleben, da darf nichts knistern oder rappeln. Sieht blöd aus, ist billig und hilft ungemein. Problem Nummer zwei am Schallloch ist die rechte Hand, die sich da bewegt. Wenn das Mikro auf die rechte Hand zeigt, kann es zu Lautstärke- und Soundschwankungen kommen, wenn die Hand mal vor dem Mikro ist und mal nicht. Dann lieber das Mikro anders ausrichten. Bei uns klang ein Mikro mit Nierencharakteristik am besten. Kugel und Doppelniere haben wir auch probiert, gehört und verworfen. Ursprünglich war der Plan, zwei Mikros und den Tonabnehmer zu verwenden, um dann die Sounds mischen zu können. Guter Plan, nur klang das Mikro alleine schon so gut, dass wir wirklich nicht wußten, was ein zweiter Sound noch verbessern können sollte. Das unter Live-Bedingungen bewährte Tonabnehmersignal war übrigens beim Aufnehmen völlig unbrauchbar. Es gibt bei uns im Studio nur ein einziges Dogma: Keine Dogmen! Wichtig ist, was hinten rauskommt, fertig. Das Plektrum hat natürlich Soundauswirkungen. Ich habe immer eine Dose mit verschiedenen Stärken und Materialien mit. Auch welche, die ich sonst nicht spiele. (Übrigens sogar in verschiedenen Farben, auch wenn Ihr mich jetzt für irre haltet. Bei einem Arpeggio habe ich konzentriert auf meine rechte Hand gesehen, in der ich ein helles Plektrum hielt. Helles Plektrum vor weißem Papier ist eher schlecht zu erkennen. Zum Glück hatte ich ein dunkles Plektrum aus gleichem Material und in gleicher Stärke dabei, das war wirklich einfacher zu erkennen.) Übertreiben sollte man damit aber auch nicht, wer mehr als fünf Minuten mit der Auswahl des Plektrums verbringt, macht schon irgendwas falsch. An dieser Stelle rate ich dringend dazu, den Absatz übers Üben nochmal zu lesen. An einem Song bin ich schier verzweifelt. Da klapperte hier das Timing, da knarzte da ein Anschlag, da traf ich an der nächsten Stelle eine Saite nicht etc. Wir haben gefühlte tausend Takes aufgenommen und waren schließlich der Ansicht, jetzt aus dem aufgenommenen Spuren was Funktionierendes zurecht schnippeln zu können und machten Feierabend. Ich ging an dem Abend extrem unzufrieden ins Bett. Im Kopf nur ein Gedanke: "Ich weiss, dass ich das besser kann!" Am nächsten Tag schlug ich vor, noch einen Take zu machen. So lange die Technik noch nicht fertig war, saß ich zusammen mit meinem Metronom im Aufnahmeraum und übte. Der erste Take saß, groovte, klang gut und war besser als alles, was ich am Vortag aufgenommen hatte. Ich wäre vor Freude fast durchs Studio getanzt. Wir nahmen hinterher den nächsten Song auf und ich spielte voller Selbstvertrauen wieder einen First-Take aufs Band, was ich zum Anlass nahm, mich selbst abwechselnd "Mister First Take" und "Mister Groove" zu nennen. Ich kam mit meinem Ego erst wieder durch die Tür, als ich die nächsten Takes für den dritten Song des Tages anständig versemmelte. Die Frage ist tatsächlich, wie viele Takes man ohne Pause aufnehmen sollte und auch, was man während der Pause tut. Das kommt auch darauf an, wie robust der Musiker drauf ist. Man hört einer Aufnahme schon an, ob sie engagiert oder auf Sicherheit gespielt ist und beim dreißigsten Take kommt nicht mehr viel Verwertbares raus. Daher übt vorher! Zuhause! Ich spiele gerne noch eine zweite Gitarre ein, indem ich einen Kapo in den fünften Bund setze und dort noch einmal mit offenen Griffen und einem dünnen Plektrum eine "Schrumm-Gitarre breit auf die Zählzeiten" mitspiele, die sehr leise dazugemischt wird. Nach dem Aufsetzen des Kapos nachstimmen! Natürlich muss man die offenen Griffe dann zurecht transponieren, wodurch sich die unterschiedlichen Voicings sehr schön ergänzen. Das ist dann eine Art voluminöse Luxus-12-String ohne allzu viel Klingeln und gibt einen natürlichen Chorus-Effekt. Wie immer bei Chorus und Käse-Sahne-Soße verdirbt Überdosierung das Gericht. Wie ich schon einleitend schrieb, hilft weder Lesen von Fachpresse noch von Internet wirklich weiter. Ich habe durch zwei Tage Aufnahmen deutlich mehr gelernt als durch noch so viel Lesen. Also macht gefälligst Eure eigenen Erfahrungen. Nur - vor dem Gang ins Studio bitte Üben. Ehrlich. Das hilft. Hätte ich auch mal machen sollen. Grüße erniecaster
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