(Meinung) Strukturwandel im Einzelhandel


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Beitrag von Matthias Schwarz vom November 01. 1999 um 21:32:26:

Hallo Leute!

Der eine oder andere von Euch weiss es ja bereits, für die anderen mal zur Information: Hin und wieder helfe ich mal in einem kleinen Musikinstrumentenladen aus und bin daher nicht ganz unparteiisch. Soviel vorab, denn mir geht es um ein ernstes Thema, nämlich die Rettung des Einzelhandels (jetzt haue ich aber ganz schön auf die Trommel...).

MusicStore, Art of Sound und MusikProduktiv machen es vor: Gigantomanie im Musikalieneinzelhandel. Da werden gnadenlos Instrumente in Katalogen angepriesen, "Deals" angeboten, Versand und Teilzahlung perfektioniert. Jeder von uns, gerade von uns Web-Surfern und Fachmagazinlesern, kennt das ja zur Genüge. Was passiert praktisch? Wer an einem Instrument (Verstärker, Effekt, Mikro, Box etc.) interessiert ist, wälzt erst einmal den einen oder anderen Katalog oder sucht die entsprechende Website. Sobald das Objekt der Begierde virtuell oder nur auf dem Papier ausgemacht ist, geht die Jagd los: Wo kann ich testen? Der Laden an der Ecke hat vielleicht zufällig das gewünschte Equipment da. Also wird verkabelt und probiert. Vielleicht sogar noch einmal die Ansicht des anwesenden Verkaufspersonals eingeholt (obwohl man ja eigentlich alles von Websites und aus Katalogen weiss) und dann gehts los. Wo ist das Teil am billigsten? Die Wahrscheinlichkeit, dass der Laden an der Ecke den gleichen Preis bieten kann wie ein gut organisierter Versandhandel mit viel größerem Umsatz und einer günstigeren Kostenstruktur, ist verschwindend gering. Also bestellen und den einen oder anderen Zehnmarkschein sparen. Das erscheint legitim.Gleiches gilt für die Bestellung von Verschleißteilen wie Saiten, Plektren, Kabeln, Fellen, Sticks, die meistens im Versandhandel billiger sind.

Was passiert auf lange Sicht? Kein Laden kann davon leben, dass ein interessierter Mucker zum Testen und Kaffee trinken kommt. Gerade die Kleinteile sind bisher eine verläßliche Einnahmequelle gewesen, die jetzt zu versiegen droht. Irgendwann heißt es einfach nur: Feierabend, Schluß, aus, Ende, Licht aus, das war´s. Der Laden an der Ecke macht zu. Auf lange Sicht werden aber Versandunternehmen immer nur stromlinienförmige Produkte anbieten. Exotische Instrumente, selten verlangte Zubehörteile und Noten werden nicht lange von Unternehmen angeboten, die auf hohe und schnelle Umsätze aus sind. Etablierte Hersteller und bewährte Instrumente sind eher eine Garantie für Umsatz. Also Fender Strat in allen Variationen statt Ukelelen, Lapsteels und kleine Hersteller.

Im Bereich der Plattenläden habe ich das Ergebnis schon schmerzlich gemerkt. In dem kleinen Laden an der Ecke wurde in die neuesten Platten reingehört und dann nachher bei WOM, Karstadt und MediaMarkt gekauft. Den Laden an der Ecke gibts jetzt nicht mehr. Und wo kann ich jetzt CDs kaufen, die nicht in den Top 100 der meistverkauften Tonträger erscheinen?

Der Strukturwandel läßt sich nur bedingt aufhalten. Aber darüber nachdenken sollten wir schon. Die geplante "Einkaufsgenossenschaft Aussensaiter" halte ich in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv, auf deutsch für einen Schritt in die falsche Richtung.

Was meint Ihr?

Matthias





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