Re: (Meinung) Mein Problem mit "innovativ"
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Beitrag von groby vom Juni 14. 2005 um 03:13:46:
Als Antwort zu: Re: (Meinung) Mein Problem mit geschrieben von Pepe am Juni 14. 2005 um 00:23:11:
Hi.
Ach, ja, ich schreib mal ein bißchen was, okay?
Es ist schön, wenn man Musik auch mal nur mit der linken Hirnhälfte betrachtet. Aber das macht doch Musik nicht wirklich aus, oder? Für mich zumindest nicht.
Daß grammatische Kenntnisse bei Fremdsprachen helfen und den Sinn für die deutsche Sprache schärfen, ist sicher richtig. Viel wichtiger für den Zuhörer ist doch aber, hast Du was zu sagen und ist es interessant?
Es gab mal einen Autor - ich könnte jetzt besser prahlen wenn mir sein Name noch einfallen würde - der schrieb in einer für ihn fremden Sprache die er selber schlecht beherrschte, mit der Begründung, das erfrischte seine Sichtweise und die Worte klingen für ihn dann viel bewußter, deutlicher und klarer.
So ähnlich ist es doch auch, wenn man mal ein Instrument in die Hand nimmt, dass man sonst nicht spielt. Melodien die man auf seinem Hauptinstrument vielleicht banal finden würde, klingen frisch und interessant. Ich behaupte also, dass auch mal das Gegenteil von Ulis These zutreffen kann: Instrumentenkenntnisse können den Sinn für interessante Musik nicht nur schärfen, sondern auch trüben und verzerren. Aber warum habe ich mich eigentlich ursprünglich eingemischt?
Ach ja, ich weiß wieder: Mein alter Musiklehrer
Ich hatte auf dem Gymnasium einen alten, verknarzten Musiklehrer, äußerlich dick aber innerlich karg. Er war 64, gefühlt 85, und ein verbiesterter alter Knarz, der sich um ein Leben als Künstler und Pianist betrogen fühlte, sich mit einer weniger umjubelten Stelle als Musiklehrer eines Kleinstadtgymnasiums eher schlecht arrangiert und sich daher in seine Rolle als Richter über den richtigen, weil musiktheoretisch-fundierten, Geschmack hinein-verbittert hatte. Für ihn bestand Musik aus Noten auf Papier, nicht aus Klängen und Tönen im Raum und moderne Pop-Musik war ihm ein Gräuel. Die einzigen Seiten unseres Musikbuches die uns wirklich interessierten und magisch anzogen - das Populärmusik-Kapitel mit dem ethnischen, daher kulturhistorisch legitimiertem Bob Marley und den wenigstens quasi-symphonischen Pink Floyd - waren dann auch die einzigen die unser Lehrer durch drei Jahre Unterricht hindurch ignorierte. Vermutlich hegte er sogar einen Groll gegen den Verleger, dass er den jungen Leute diese Flausen in den Kopf setzt, auch diese Musik könne im Unterricht irgendwie erwähnenswert sein. Dann und wann im Unterricht ging er für ein paar Sekunden nach nebenan in sein abgretrenntes Büro und wenn er wiederkam stank er nach Schnapps. Seine Pantoffeln, seine Pullover, seine Haare und sein Gesicht hatten alle einen ähnlichen Grauton. Er sagte Sachen wie "Teleman enttäuscht nie" und bescheinigte mir komplette Unmusikalität da ich weder in Akkordinversionen noch im Transponieren glänzte, wobei diese Dinge für mich soviel mit Musik zu tun hatten wie das Lernen von biochemischen Vorgängen der Nebenhoden in Sexualkunde mit echtem Sex zu tun hat. Irgendwie schon aber eigentlich nicht. Eigentlich sogar hauptsächlich überhaupt nicht. Musik fand ich immer schon fast das tollste was es gibt und ich hätte gerne im Unterricht interessantes über Musik erfahren. Aber so war es das erste was ich abgewählt habe als ich die Chance hatte. Schnell weg von diesem kalten Menschen, der sich Urteile anmaßt die ihm nicht zustehen, der alleine entscheiden will, was musikalischer Wert ist und wer ihn hat, schnell weg von diesem Mann, der über Musik nur denken kann wie über den Kadaver eines toten Tieres.
"Bloß nicht so werden wie der", habe ich mir gesagt. "Bloß nicht einbilden, mein Urteil über Musik sei gewichtiger oder 'wahrer' als das eines anderen. Bloß nicht von Theorie auf Musik schließen, bloß nicht Geschmacksurteile mit Werturteilen verwechseln."
Gruß, groby *
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