Re: (Meinung) Tests in Gitarre & Bass


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Beitrag von Rainer Hain vom November 26. 2001 um 01:45:59:

Als Antwort zu: (Meinung) Tests in Gitarre & Bass geschrieben von WP am November 25. 2001 um 00:19:23:

Da ich ja gelegentlich auch Tests schreibe, gebe ich mal meinen Senf dazu. Eins vorweg: Zwar gehören KEYBOARDS und Gitarre und Bass zum gleichen Verlag und die Redaktionsräume sind genau übereinander, aber Berührungspunkte gibt es unter den Autoren keine. Die G&B-Internas kenne ich daher nicht und die Redaktionslinie könnte durchaus unterschiedlich sein.

Ich kann daher auch nur schildern, wie sich ein Test bei KB abspielt. Es gibt zunächst kaum vorherige Absprachen, außer etwa meiner Verfügbarkeit. I.d.R. weiß ich bei vielen Produkten nicht einmal, wie bedeutend die Firma als Anzeigekunde überhaupt ist. Und selbst wenn ich das weiß, kann ich ungestraft behaupten, dass mich das nicht weiter kratzt. Wir hatten in diesem Jahr z.B. wieder mehr schlechte Tests, weil es nach Jahren von wirklich hohem Niveau wieder einige schlechte Produkte gab. Björn Bojahr hat den OB-12 verrissen, ich habe HALion 1.0 (ein Software-Sampler) schlecht getestet und dies auch mit wasserdichten Belegen verzieren können. Und die Herstellerfirma ist unser wichtigster Anzeigenkunde, dass wusste ich sogar vorher. Das ist letztlich auch der Schlüssel. Viele Tests sind nicht deshalb freundlich, weil der Tester bestochen wurde, sondern weil er schlicht mit dem Gerät überfordert oder zu oberflächlich war.

Was die Abhängigkeit von Anzeigenkunden anbetrifft, ist die Sachlage etwas komplizierter, als man es sich landläufig vorstellt. Hohe Anzeigenpreise kann man nur nehmen, wenn man auch eine hohe Auflage hat. Die muss man sich aber beim LESER erarbeiten. Es gibt Beispiele aus der Branche (nein, keine Namen), wo Tests wirklich nach der Höhe der Anzeigen des Herstellers ausfielen. So etwas geht mit Mühe zwei Jahre gut. Dann hat es auch der letzte Leser gemerkt und die Auflage sinkt rapide und damit auch die Anzeigenkundschaft. Dafür gibt es Beispiele.

Darüberhinaus haben alle KB-Autoren entweder feste, gut bezahlte Jobs oder sind erfolgreiche Selbstständige wie Peter Gorges und Johannes Waehneld. Da hat man als Autor einen Ruf zu verlieren, aber nichts zu gewinnen, selbst wenn ein Vertrieb oder Hersteller versuchen würde, zu bestechen. Allein der Versuch wäre nicht mehr als lächerlich. Abgesehen davon: Wie könnte denn ein geschenktes Produkt einen dazu verleiten, einen guten Test zu schreiben? Wenn das Produkt schlecht ist, will ich es auch nicht geschenkt und wenn es gut ist, gäbe es ohnehin einen guten Test. Die Logik geht also nicht auf.

Was meinen Teil betrifft: Das wirklich ALLERLETZTE, was ich persönlich gebrauchen könnte, wäre NOCH eine Soundkarte. Einen guten Test durch Aussicht auf "Behalten" der Karte zu ergattern, so dämlich ist kein Hersteller!

Was ich allerdings gelegentlich mache, ist ein Produkt nach dem Test zu kaufen. Das kommt zwar eher selten vor, aber z.B. beim Boss VF-1 war das so. Dieses Gerät habe ich übrigens mit dem Autor des G&B-Artikels "geteilt" und ich habe es anschließend gekauft, das nur zur Behauptung, die Testgeräte würden den Autoren geschenkt.

Ich will allerdings nicht verschweigen, dass es seit etwa zwei Jahren vermehrt Versuche von Vertrieben und Herstellern (Vertriebe sind meist schlimmer, da Hersteller die Schwächen des Produkts besser kennen und es eher sportlich sehen, wenn man sie gefunden hat) gibt, Tests nachträglich zu beeinflussen. Früher war es nämlich üblich, Tests vor erscheinen dem Hersteller oder Vertrieb zu schicken, um Kommentare dazu zu bekommen. Gerade bei den langen Vorläufen einer Magazin-Produktion war es üblich, das Fehler beseitigt wurden, bevor das Heft ausgeliefert war. Inzwischen nutzen das aber einige Hersteller, um eine gerechtfertigte Kritik zu beeinflussen. Das führt dann bei uns aber nur dazu, dass man die Tests eben nicht mehr vorab herausgibt. Alle Tänze, die ein Hersteller aufführt, kommen daher auch immer erst nach dem Erscheinen der Ausgabe. Solange man aber gut begründet getestet hat und wirklich mit dem Produkt vertraut ist, dann sieht man das sehr gelassen.

Bei meinen Tests wurden auch nie nachträglich Tendenzen geändert. In der Regel geht es nur um Rechschreibfehler. DAS ist bei anderen Magazinen aber durchaus auch anders (wieder keine Namen).

Ich habe auch meine "Problem"-Tests durchgestanden. Einer der kompliziertesten war der eines Produktes, das Friedlieb gut kennt, die Creamware Pulsar-Karte. Das war ein Zweiteiler und daher gab es überhaupt den Anreiz des Herstellers, nach dem ersten Teil zum Hörer oder zur Email zu greifen. Das war nämlich durchaus kein guter Test und er war auch nicht so, wie ihn sich Friedliebs damaliger Chef vorgestellt hatte. Da wir aber alle Kritikpunkte belegen konnte, haben wir kein Wort davon zurück genommen.

Mit gewisser Verzögerung wurden auch die Kritikpunkte, die ich im Test hatte, nach und nach abgestellt. Das gibt es nämlich auch noch: Hersteller reagieren auf Tests und Kritik.

Ich bin trotzdem privat Creamware-User, weil diese Karte Aspekte hat, die mir gut gefallen. Die Schwächen (alles was Klangerzeugung und Synthesizer betrifft) betrafen mich nicht, da ich da einen externen Gerätepark habe. Ich habe in dem Test daher auch differenziert. Es gab damals dann aber Leser, die sich darüber beschwert haben, dass ich das Produkt nicht in Bausch und Bogen verrissen habe. DAS wäre aber einfach unfair gegenüber dem Produkt gewesen, das ja auch gute Seiten hatte und hat.

Nun zu den Wertungen innerhalb der Tests und wie man als Autor wertet:
Eine Testwertung muss nachvollziehbar sein und zwar direkt aus dem Test. Daher nenne ich die Kriterien, an denen ich messe im Text. Dann ist ein Urteil auch für den Leser nachvollziehbar. Bei Gitarren ist so etwas aber bedeutend schwieriger, dass muss man auch sehen. Die Verarbeitung ist heute auf einem allgemein hohen Stand und ein Klang könnte man höchstens an Referenzen messen, die der Leser aber dann kennen müsste. Es hilft ja wenig, dass man eine Strat-Kopie an der Strat des Autors misst, denn die kennt ja kein Leser. Bei Synthesizern ist das anders, die klingen immer identisch und sind im nächstens Laden auch zu vergleichen.

Eines kann ich aber bis heute nicht ganz verstehen:
Sowohl bei KB als auch bei G&B beklagen sich immer wieder Leser über das ausbleiben der Verrisse. Schaut man dann aber in die entsprechenden Webforen und setzt man das mal als den Schnitt der Leser, dann ist die Mehrheit dort WEITAUS kritikloser als die Magazin-Autoren. Im "Grünen" hält doch fast jeder Gitarren über 1.000 DM für "Abzocke der Industrie". Im KEYBOARDS-Web-Forum gibt es mehr glühende Behringer Anhänger, als von diesem Schrott jemals verkauft worden ist. Und im G&B musste ich bereits mehrmals wütende Replies einstecken, weil ich gewagt hatte, die Guillemot ISIS zu kritisieren (und zwar mit fast wörtliche den gleichen Aussagen aus meinem damaligen KB-Test).
Kritik wollen Leser scheinbar nur über Produkte lesen, die sie nicht haben. Die eigenen Gerätschaften sind offenabr tabu. Nach jedem schlechten Test bekomme ich nie zustimmende Leserpost. Nein, ich bekomme Post von Lesern, die sich beschweren, dass ich IHR Produkt kritisiert habe. SO läuft das in der Regel.

Aber, ein versönliches Wort zum Schluss:
Der Hauptgrund für die Zunahme der freundlichen Tests ist ganz einfach: Richtig schlechte Produkte gibt es nicht mehr. Ich kann eigentlich nur noch zwischen sehr gut, gut und Mittelmaß unterscheiden. Echten Schrott habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Die Stiftung Warentest hat es da einfacher. Unter 10 getesteten Waschmaschinen ist mindestens eine, die durch die Funktionsprüfung fällt. Das passiert bei Gitarren und Synthesizern einfach nicht (mehr).


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