Re: (Amps) Röhre


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Beitrag von Friedlieb vom Juni 25. 2001 um 09:21:46:

Als Antwort zu: (Amps) Röhre geschrieben von chicago am Juni 24. 2001 um 19:38:34:

Hi Chicago,

: Aber was genau ist eigentlich so´ne Röhre, und was macht sie ?

da recycle ich doch einfach mal einen meiner alten Texte, den ich damals für das DeLaMusica-Forum geschrieben habe. Der hatte eigentlich einen ganz anderen Fokus, und ist auch technisch eher plump als wissenschaftlich exakt, aber egal.


Erstmal vorweg was zu den Bauteilen:

Röhren sind Glasröhren, aus denen die Luft rausgepumpt wurde, so daß ein Vakuum entsteht. Manche werden auch mit irgendwelchen obskuren Gasen gefüllt. In jedem Fall befinden sich aber seltsam gebogene Metallteile in der Röhre, Drähte, Wicklungen, Gitter usw. Der Witz ist nun, daß man einen Teil der Röhre mit schwachem Strom ansteuern kann und damit einen anderen Teil der Röhre steuern kann, der starken Strom durchläßt. Der Fluß des starken Stroms kann also durch den schwachen Strom beeinflußt werden, und genau dadurch kann die Röhre zum Verstärker werden.
Halbleiter (Transistoren, Dioden, die Amis sagen auch Solid State dazu) sind aus Silizium oder Germanium und lassen den Strom in nur einer Richtung durch. Dieses Sperrverhalten kann man bei Transistoren steuern, auch hier wieder mit dem gleichen Witz, daß man schwache Ströme verwenden kann, um starke Ströme zu steuern.

Aus Sicht des Stroms wird hier also eigentlich sowohl bei Röhren als auch bei Transistoren nichts "verstärkt", sondern nur der Fluß des starken Stroms gesteuert. So ähnlich wie ein Schleusenwärter bei ner Talsperre, der mit seiner geringen Kraft durch Knopfdruck die Schleusen eines Staudamms öffnet oder schließt.


Traditionell unterscheiden sich Transistorverstärker und Röhrenverstärker in zwei entscheidenden Punkten.

(1) Zum Einen das Clipping, also das Verhalten bei Übersteuerung. Wenn ein Verstärker (der sagen wir mal 50 Watt hat) so angesteuert wird, daß er sagen wir mal 20 Watt raustut, könnte man meinen, daß er dann bei einem doppelt so lauten Eingangssignal etwa 40 Watt erzeugt. Stimmt zwar nicht so ganz, aber spielt für diese Betrachtung keine Rolle, so ungefähr kann man sich das jedenfalls vorstellen. Das ganze läuft also linear ab, dafür ist es ja ein Verstärker und nicht ein Klangveränderer. Also im normalen Arbeitsbereich gilt: doppelte Lautstärke rein, doppelte Lautstärke raus.

Nehmen wir nun an, wir verdoppeln die Energie des Eingangssignals nochmal, so daß der Verstärker jetzt 80 Watt raustun müßte. Er hat aber nur 50 Watt. Und kann daher gar nicht die Verdopplung der Eingangslautstärke auf seinem Ausgang nachvollziehen.
Ein Transistorverstärker schneidet den 'zu lauten' Teil jetzt einfach ab, schnipp schnapp clip clap, und erzeugt dabei scharfe Kanten in der Frequenzkurve. Die sieht nämlich dann echt aus wie mit der Schere abgeschnitten.
Ein Röhrenverstärker nähert sich seinem Clipping-Bereich (in dem Fall den 50 Watt) weich, so daß keine Kanten entstehen, sondern die Frequenzkurve einfach nur runder wird. Dadurch klingt eine Röhrenverzerrung weicher als eine Transistorverzerrung.

Im Gegensatz zum Transistorverstärker ändert der Röhrenverstärker also seinen Lautstärkeverlauf tatsächlich bei Übersteuerung, der Transistorverstärker schneidet nur ab. Genau aus dem Grund klingen clean eingestellte Transistorverstärker auch so ultra-clean, weil sie nämlich im Gegensatz zum Röhrenverstärker den Frequenzgang unterhalb des Clipping-Bereichs nicht ändern.

(2) Zum Anderen unterscheiden beide Technologien sich im Erzeugen von Obertönen. Während Transistorverstärker vor allem ungeradzahlige Obertöne (dreifache, fünffache, siebenfache Frequenz des ursprünglichen Tons) erzeugen und es schwer ist, einen Transistorverstärker zu bauen, der das nicht tut, so erzeugen Röhrenverstärker vor allem geradzahlige Obertöne (doppelte, vierfache Frequenz des ursprünglichen Tons, also Oktaven) und es ist schwer, einen Röhrenverstärker zu bauen, der genau das nicht macht.


Natürlich ist inzwischen die Schaltungstechnik so weit fortgeschritten, daß man auch Halbleiterverstärker mit schön rundem Clipping-Verhalten bauen kann. Es kommt da auch so ein bißchen auf die verwendeten Materialien aus. Silizium hat den beschriebenen Effekt weitaus stärker als z.B. Germanium, und wenn man nun Germanium-Halbleiter verwendet, ist man schon einen Tacken näher am Röhrenverhalten. Die Proco The RAT arbeitet z.B. mit Germanium-Dioden. Ich hab (da gab's die RAT noch nicht) mal irgendwann einen Verzerrer auf Basis von Germanium-Dioden gebaut, auf Basis eines Schaltplans, der damals im "Lemme" stand, der klang richtig geil. Sofern man das mit den 15 Jahren, die ich damals alt war, beurteilen kann. ;-)

Es gibt also heutzutage auch verzerrt richtig gut klingende Transistor-Verstärker (die nur mit Transistoren und Dioden, also Halbleitern aufgebaut sind), und die beiden oben beschriebenen Unterschiede zwischen Röhren und Transistoren sind eher traditioneller Natur. Also wenn man mit möglichst wenig Bauteilen einen simplen Verstärker aus nem Bastelbuch oder Lehrbuch bauen würde.


Und dann gibt es natürlich noch die Computer-Simulation, die neben dem Akzeptanz-Problem in erster Linie im Moment noch drei Schwierigkeiten hat:
Zum einen braucht ein Computer zum Rechnen Zeit, und daher hinkt die berechnete Simulation eines Verstärkers dem echten Signal immer ein klitzekleines bißchen hinterher - manche hören das und daher werden so Simulationen dann gern mal mit "Drucklos" und "fehlende Direktheit" beschrieben. Das ist die Latency, also auf Deutsch "zu-spät-heit".
Zum zweiten die Abbildungsgenauigkeit, die Simulation muß sich halt entscheiden, in wieviele Scheibchen sie eine Sekunde zerschneidet (hat in erster Linie was mit der Rechenkapazität zu tun), und für manche filigrane Klangverläufe (Anschlagknacks z.B.) vor allem im Obertonbereich wird das schon hörbar. Aliasing nennt man dieses Phänomen.
Und drittens ist noch natürlich von entscheidender Bedeutung, wie gut diese Simulation gelingt, das heißt also mit wieviel Wissen über Funktion und Verhaltensweise der zu simulierenden Verstärker die Simulation programmiert wird, und wieviel EDV-Know-How dabei zum Einsatz kommt.

Demnach gibt es heutzutage also nicht nur richtig gut klingende Transistor-Verstärker, sondern auch richtig gut klingende Simulationen. Howgh.


Die Röhre hat aber gegenüber all den Alternativen den entscheidenden Vorteil, daß sie a) das Original ist, b) über die Magie des Originals verfügt und c) es kaum gelingen will, einen richtig beschissen klingenden Röhenverstärker zu bauen und daher gilt dem ebenso traditionsbewußten wie traditionsgefesselten Gitarristen bei der Röhre das Gesetz "kannste nix falsch machen". Bei der Röhre brauchst Du Dich halt nicht mit all den potenziellen Problemen der beschriebenen Alternativ-Techniken rumzuschlagen, sie funktioniert einfach (sagt man, dafür hat die Röhre dann auch wieder eigene Probleme).


Keep rockin'
Friedlieb


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