Re: (Gitarre) Begabte im stimmen Kämmerlein
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Beitrag von groby vom Juni 14. 2007 um 11:04:27:
Als Antwort zu: Re: (Gitarre) Begabte im stimmen Kämmerlein geschrieben von Pepe am Juni 14. 2007 um 10:04:52:
Ahoi.
Ich frage mich, ob man mit einem Ansatz aus der Informationstheorie weiterkommt: Ein Mensch kann DANN etwas mit einem Reiz anfangen, wenn er für ihn Informationen enthält, also dieser Reiz etwas für ihn Relevantes beherbergt. Das Hupen eines Autos ist für Verkehrsteilnehmer Informationen (das Hupen könnte ja MIR gelten) aber für mich, der ich gerade im Büro sitze, weit ab vom Verkehr ist es Rauschen. Unrelevantes Geräusch.
Auch klassische Bluesmusik mit allen Klischees ist für mich irgendwo Rauschen. Es ist nicht mehr neu, hat also technisch betrachtet allen Informationsgehalt verloren und bietet meistens nur den Reiz, sich wohl zu fühlen im Bereich des bereits sattsam Bekannten. Es streichelt einen, weil seine bekannte Struktur die gewohnten Höhr-Erwartungen bestätigt und das Gehirn mag solche Bestätigung. So ein bißchen wie Jägerschnitzel. Macht schön satt und da weiß man was man kriegt. Das ist - relativ zu unseren Erwartungen - "wohlgeordnet". Was wohlgeordnet ist, hängt von unseren kulturellen Erwartungen ab, zum Beispiel welcher Musiktakte oder Skalen wir als schräg, welche als "natürlich" empfinden. Alles eine Frage von Kultur und Gewohnheit.
Wenn Muelrich das hier liest, wird er sofort wieder irgendein Posting mit vier verschiedenen Beispielen nennen. Er hört nämlich Prog. und redet gerne von anderen Hörgewohnheiten. Ich weiß nicht ob Ihr das schon wusstet. Es ist aber so.
Wenn jetzt im Gegenteil jemand keinen netten 4/4 Blues abfährt sondern komplett neuartige und ungewohnte Töne, dann sehen wir dazu eine Entfernung unserer Wohlordnung bis schlimmstenfalls zu dem Punkt, dass wir keine Verbindungen zu unserer Ordnungserwartung mehr sehen. Ab dem Zeitpunkt hört sich das an wie Musik eines Geisteskranken: vermeintlich unzusammenhängendes, wirres, und für uns nicht entzifferbares, nicht wiedererkennbares Knäuel von willkürlichen Zeichen. So als ob einer nur unsinnige Sätze in fremder Syntax brabbelt. Oder so wie jemandem der nur Rubens kennt, Jackson Pollock vorkommen muss.
Sowas hätte theoretisch einen hohen Informationsgehalt, es könnte uns viel neues sagen, es fehlt aber dann die Andockmöglichkeit dafür. Es ist zu fremd so dass es uns überfordert. Es ist zu anstrengend und vermutlich - weil wir keine unserer Ordnungstrukturen wiederfinden - ist es sogar willkürlich, daher ohne Absicht und Aussage und die Mühe gar nicht erst wert.
Ähnlich wie Jazz-Versionen von bekannten Pop-Songs anstrengender zu hören sein können als das Original. Es ist bunter, hat mehr Verzweigungen, komplexeree Harmonien, braucht mehr Anstrengung, erfordert vielleicht im schlimmsten Fall dass man mit vorhergehendem Material bekannt ist (zum Beispiel mit der Tradition des Jazz oder dem Original-Song um das Cover überhaupt erkennen zu können) aber dafür birgt es vielleicht neue Facetten die man sonst nicht gesehen hätte.
Das Gegenteil dazu ist Pop-Musik, denn die Definition dazu ist, dass es eben keine Vorbedingungen stellt und möglichst sofort von möglichst allen erfassbar sein muss.
Ricky King hingegen ist schnell erfasst, die Melodie glasklar, die Akkorde bekannt. Der Informationsgehalt, das "Neue", das unsere Weltsicht, Vorstellungen, Vorstellungskraft, Gedankenstruktur anregende darin ist gering. Es erinnert und vielleicht aber - sozusagen - es "modifiziert" uns nicht.
Es ist daher - je nach Erwartungshaltung, Horizont und geistiger Arbeitsbereitschaft des Hörenden -relativ ob eine Performance von sagen wir mal Shawn Lane einen anstrengenden aber lohnenden Informationsgehalt hat oder aber anstrengendes Gedudel bleibt. Das Wort "seelenlos" wird ja häufig hier auch nur als Synonym für "ausdruckslos" verwendet. Wer Shawn Lane "seelenlos" nennt, meint damit implizit: "Das ist für mich zu ungewohnt/ungeordnet und zuviel nicht einordbarer Reiz. Ich kann darin nichts für mich sinnvolles erkennen und es ist daher für mich wie willkürliches Geräusch."
Für mich ist daher Shawn Lane willkürliches Geräusch. Es sagt mir nichts. Wie ein Jackson Pollock Bild hoch fünf. Zu undurchschaubar, grenzt an Willkür. Ricky King sagt mir aber auch nichts. Zu Vorhersehbar. Wie eine Brand Zwieback Packung. Abgestandener Kitsch.
Und so liegt es an jedem selbst ob er sich neue Hörgewohnheiten antrainieren möchte, sich Shawn Lane solange anhört bis er dessen eigene Ordnung versteht und er etwas für sich daraus ziehen kann oder ob er das als das gehaltlose Gedudel eines Geistig-Abseitigen abtut. Es kann ja durchaus sein, dass Shawn Lane selbst nur geistlos gefiedelt hat. Es kann ja aber trotzdem sein, dass dieses Gefiedel zu jemandem "spricht". Was der Künstler selbst denkt, ist ja egal. Wenn mir ein Jackson Pollock Bild etwas sagt, dann bereichert es mich, unabhängig davon das Bild das Ergebnis eines umgefallenen Eimers oder Millionen sorgfältig erspürter Pinselstriche ist.
Was wollte ich eigenlich sagen?
Ach ja:
Ich find Shawn Lane öde, Ricky King scheisse, Jackson Pollock super und den kleinen Jungen geil.
Hossa!
robert
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