... gegenüber einer Realität, die nach den Bildern aus N.Y. und Washington nicht mehr dieselbe ist. Die Überlegungen sind fragmentarisch und unsystematisch, ein Versuch, den Schock zu verdauen und die Konsequenzen zu ventilieren.
1. Das Motiv dieses Terrorismus ist: "wie beweise ich der Welt wie toll ich bin, indem ich Leute umbringe". Ein anderes gibt es nicht! - egal was an Rationalisierungen vorgeschoben wird. Er bekommt jedoch durch die mediale Live-Präsentation einen gewaltigen Resonanzboden und eine neue Qualität. Timothy McVeigh, der Oklahoma-Attentäter, genoss es, in der Todeszelle interviewt zu werden, zum ersten mal in seinem banalen Dasein jemand zu sein. Sein Wunsch auf öffentliche Hinrichtung wurde ihm auch fast erfüllt. Bei den Worldtradebombern fällt die öffentliche Hinrichtung mit dem Auftrag zusammen. aber sie haben sich für eine Eintragung ins Guiness Buch qualifiziert. Die alte RAF (=Baader-Meinhof-Bande) nimmt sich da fast romantisch als Teil der Postkutschenzeit aus. Das eigentlich beängstigende sind diese neuen Ziele des "höher schneller weiter", die der Terrorismus sich setzt und die er auch zu erreichen in der Lage ist. Er hat damit für alle, die diesem Beispiel nacheifern, neue Maßstäbe gesetzt. Wir können uns möglicherweise auf einiges gefasst machen.
2. So ist Schröders Charakterisierung des Sachverhalts als "Kriegserklärung an die zivilisierte Welt", durchaus treffend. Denn das eigentlich neue und auch die Botschaft von diesem Attentat ist, dass potentiell wir alle in unserer gemütlichen Zivilisation gemeint sind; man ist in der Lage überall und zu jeder Zeit zuzuschlagen. Ich fühle mich zum ersten Mal von einer solchen Entwicklung direkt persönlich bedroht und werde mich am Sonntag mit sehr gemischten Gefühlen ins Flugzeug setzen. Meine Vorfreude auf den lange erwarteten Urlaub hat sich erstmal in Nicht-Wohlgefallen aufgelöst.
3. Schröders Formulierung scheint mir aber komplexer zu sein als es ihm wohl bewusst ist. Denn die Attentäter haben genau dies gewollt und erreicht: sie werden als Kriegspartei ernst genommen, die Welt kümmert sich um sie. Für mich besteht die große Gefahr darin, dass eine Kriegserklärung an die nichtzivilisierte Welt' folgt. Automatisch als Teil der nichtzivilisierten Welt' ins Visier gebracht haben sich die auffällig oft gezeigten fähnchenschwingenden Palästinenser. Ob unter den Opfern jemand war, der möglicherweise mit ihrer Sache sympathisiert, scheint keine Überlegung wert. Dass ihnen das noch leid tun wird, zeigt die (m.E. ernstgemeinte) Reaktion ihrer politischen Führung. Wenn man sie jetzt endgültig aus der zivilierten Welt (=Friedensprozess) ausgrenzt und nur noch auf sie einprügelt, schafft man jedoch nur neue Selbstmordattentäter. Die Versuchung angesichts dieser Bilder ist jedoch groß.
Schöne Grüße, Mathias
NP: Tom Waits, Hold on