Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule???


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Beitrag von Olkmar vom April 28. 2004 um 15:33:08:

Als Antwort zu: Re: (Gitarrenbuch) Kennt einer ne gute Jazz-Schule??? geschrieben von Kurt am April 28. 2004 um 10:18:32:

Hallo Kurt!

>ich dachte damals schon, ich hätte sie alle mit Theorie erschlagen oder wenigstens mundtot gemacht.

Ich halte es keineswegs für eine Besonderheit dieses Forums, daß ein Großteil der Musiker gegenüber theoretischen Themen (gleichermaßen auch Musiksoziologie, Musikpsychologie, Musikethnologie und Musikgeschichte betreffend) eher zurückhaltend ist. Reine Praktiker tendieren dazu, sich auf die Praxis zu beschränken, solange diese zu annehmbaren klanglichen Resultaten führt und das "Wie und Warum" allenfalls dann zu betrachten, wenn dies nicht der Fall ist. Man muß zugeben, daß dies für viele Bereiche auch reicht.

>Ich wollte und möchte die Diskussion nicht in Theorien über generellen Akkordaufbau, Harmonielehre und nach Teutscher Gründlichkeit korrekte Symbolschreibweise und jeweils deren historische Wurzeln ausufern lassen.

Dies wollte ich ebensowenig, der Hauptinhalt meines Postings galt dem Zweck, ein wenig Licht ins Dunkel dieser "sagenumwobenen" Akkorde zu bringen, meine restlichen Anmerkungen sind eher als periphere Ergänzungen von bereits Gesagtem zu verstehen.

>Es ging und geht mir nur um die praxistaugliche Antwort auf die Frage: Wie bastelt man/frau sich einen Akkord AUF DER GITARRE, wie sind die komplizierten Akkordsymbole v.a. bei Jazz-Stücken zu verstehen und auf der Gitarre zu spielen?

Dies ist natürlich der für die Leser dieses Forums interessante Aspekt, aber genau in diesem Sinne halte ich auch für wichtig, divergierende Auslegungen bestimmter Schreibweisen zu diskutieren. Wer eine "11" nur als zugefügte Option eines terzhaltigen Akkords kennt, gerät ins Schwimmen, wenn er z.B. beim Begleiten eines Gospelchors mit demselben Symbol als Kennzeichnung einer terzlosen Doppelfunktion konfrontiert wird.

>Akkorde wie C9, C7(#9), C7(b9), C11, C7(#11), C13, C7(b13)
sind Dominant-Sept-Akkorde (in dem Sinne, daß sie eine Dur-Terz haben, eine reine Quinte sofern sie mitgespielt wird, und eine kleine Septime - nicht im funktionsharmonischen Sinne Dominantakkorde die nach harm. Auflösung verlangen)

Auf die Gefahr, daß ein weiterer Verweis auf die Historie nervt: Die Einbürgerung der Bezeichnung "Dominantseptakkord" unabhängig von einer wirklich gegebenen funktionalen dominantischen Verwendung rührt natürlich daher, daß bis ins 19. Jahrhundert für solche Akkorde überhaupt keine andere Verwendung denkbar war!

(Ausnahmen: 7 -> 6 Vorhalte, wobei logischerweise beide beteiligten Akkorde, dieweil Umkehrungen, quintlos waren, und sog. "Nebenseptakkorde" in Septakkordsequenzen, die allerdings meist die große Sept enthielten, wenn keine Dominantauflösung folgte!)

In Deiner Auflistung sind mir einige Spezialfälle aufgefallen, die je nach Kontext evtl. abweichend betrachtet/behandelt werden sollten (man kann nicht genug betonen, wie wichtig die Kenntnisnahme sowohl der gesamten Harmoniefolge als auch ggf. vorhandener sonstiger Stimmen ist!):

>C7(#9)

Wird gelegentlich (Beispiele finden sich u.A. bei Wayne Shorter) als vor Allem für Gitarristen praktikablere Tritonussubstitution eines 11#13 angegeben und sollte in diesem Fall quintlos gespielt werden, um nicht mit der Baßstimme zu kollidieren (was sich aus grifftechnischen Gründen ohnehin meistens anbietet!).

>C11

Wird, wie ich schon im Vorposting erwähnte, auch zur Kennzeichnung einer Doppelfunktion benutzt, die dann terzlos sein sollte. In diesem Fall gilt zusätzlich:
Die Quint kann ebensogut, wie auf den Dominantbasston bezogen, auch als Sexte der akkordischen Subdominantstruktur aufgefasst werden und darf demzufolge ausnahmsweise über 7-9-11, die ja in der Subdominantfunktion nichts anderes darstellen, als 1-3-5, liegen!

(Witzigerweise gilt bei einer eher seltenen 11-Anwendung als Orgelpunktfunktion das gleiche, eine zuvor vorhandene hochliegende Quint darf als gemeinsamer Ton in der selben Stimme liegenbleiben!)

>C7(#11)

Hier würde ich ebenfalls die genaue Verwendung betrachten. Naheliegend sind sowohl eine gitarrenfreundliche Reduktion eines 11#13, als eine leicht schlampige (aber tatsächlich vorkommende!) Schreibweise einer erniedrigten Quint, von daher empfiehlt sich, im Zweifelsfall die reine Quint nicht mitzuspielen. Die 11# kann dann ggf. tiefer liegen.

>C7(b13)

Die kleine Sexte scheint mir nur bei Anwendung in einer Mollskala als solche eindeutig, ansonsten auch hier der Verdacht auf eine falschnotierte erhöhte Quinte, wodurch die reine Quint zweifelhaft wird.

>Farben sind als höchste Töne im Akkord zu spielen!

Im Prinzip ja, grundsätzlich empfiehlt sich eine Anordnung entsprechend der Obertonstruktur, aber auch hier gibt es sinnvolle Ausnahmen: Innerhalb dieser Teiltöne bei Akkordfortschreitung mögliche chromatische Linien sollten tunlichst (speziell, wenn hierfür keine Bläser oder Streicher vorhanden sind) verwirklicht werden (Beispiele bei A. C. Jobim).

>Und noch was zum Thema "eindeutige Notation", Griffbilder etc.:

Dies deckt sich großenteils mit dem, was ich in meiner Antwort an Matthias bereits in kurzer Form gesagt hatte.

> "Slash-Chords"

Dies bestätigt eigentlich um so mehr die Praxisbezogenheit der Notation, denn in der Theorie ist es natürlich ein Unterschied, ob es sich um

a.) eine Vereinfachung der Schreibweise,
b.) eine Doppelfunktion
c.) einen Orgelpunkt
d.) einen melodisierten Bass

handelt. Besonders in den letzten beiden Fällen sollte ein Gitarrist die Basstöne nur dann mitspielen, wenn kein Bassist vorhanden ist. Ein Bassist, sofern er nicht nur Grundtöne spielt, sondern auch figuriert, sollte aber unbedingt den vollständigen Akkord im Bewusstsein haben, um nicht gegen "5b" oder "sus" anzuspielen...

Grüße,

Olkmar


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