Re: (Theorie) Achtung, lang und "kopflastig"


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Beitrag von Woody vom Februar 05. 2003 um 16:53:03:

Als Antwort zu: (Theorie) Achtung, lang und geschrieben von burke am Februar 04. 2003 um 01:58:01:

Hallo burke,
nachdem ich ab heute wieder über Telefon verfüge, habe ich mir den obigen Erguss mal zu Gemüte geführt.
Manches ist ganz gut, vieles ist (wie der Autor ja irgendwie auch zugibt) halbwissenschaftlicher Unfug und trägt nicht wirklich zur Klärung des Sachverhaltes bei.
Ich habe mich die Tage mit ein paar Jazzern unterhalten und Konsens war, daß es (für uns) ein "Missing Link" zwischen der Modalen Musik der Antike und des Mittelalters und den "Modes" und Skalen (die ja eigentlich auch tunlichst zu unterscheiden sind) gibt.
Die Skalen des "Kirchentonalen" Systems sind wohl eher in der Anwendung beobachtet undanalytisch in ihre jetzige Form gepresst worden, ähnlich der sog. " Klassischen Sonatenhauptsatzform", die ja so auch kein Schwein komponiert hat. Es gab halt einen unausgesprochenen Konsens, wie diese Musik angelegt war und in der Analyse ließ sich das idealtypisch beschreiben, also nix mit Realität.

Den "Epilog" dieses Pamphletes lohnt es sich allerdings mal genauer anzuschauen:

"[…]
FOLGLICH:
"Modaler Jazz" ist DANN wirklich modal, wenn er auf die TONGESCHLECHTER der abendländischen modalen Praxis zurückgreift (denn Phrygisch oder Dorisch sind ebenso unterschiedlich wie Dur und Moll!), oder "modal" im Sinne modernerer musikethnologischer Konzepte begreift, die auch modale Praktiken wie Raga (Indien), Maquam (Orient) oder Patet (Bali: Gamelan) unter diesen Begriff subsummieren, oder "Modalität" als Konzept der "Neuen Musik" versteht, die mit neuen Skalen auch neue Hierarchien definiert hat (z.B. bei Messiaen).

Yip. D´accord.
Modal im Sinne Miles Davis "Kind of Blues"
Ohne Funktionsbezüge, rein am Klangerlebnis vorgegebener Modi orientiert.


Die "modes" der Jazz-Theorie sind aber etwas völlig anderes:
als AUSSCHNITTE aus der MATERIALSKALA der jeweiligen Tonart sind sie lediglich eine DIDAKTISCH motivierte Eselsbrücke (man mag sie bestenfalls als gutgemeinte, aber ansonsten gründlich mißglückte "Lernhilfen" titulieren) - sie sind also Skalen-Ausschnitte, nicht aber eigenständige "Modi"!

Naja, das ist nun Kontextabhängig, s.o.
Ich denke das muß man etwas differenzierter sehen.
Wenn ich sage C mixo#11, so ist damit eine harmonische Situation deskriptiv erfassbar.
Es ist sicher Unsinn zu sagen "Über den Akkord da spiele C mixo#11!", aber das tonale Material , welches mir in einer Spielsituation zu Verfügung steht, ist damit ausreichend beschrieben.
btw. eine Skala ist erst dann zu identifizieren, wenn alle ihre Töne gespielt wurden.


Die Bezeichnung der jeweiligen Ausschnitte mit pseudo-historischen Namen ist ein Anachronismus, der wohl nur dadurch zu erklären ist, daß man einer im Prinzip banalen Lerntechnik ein wissenschaftliches Flair verpassen wollte.
Die negativen Auswirkungen dieser leider weitverbreiteten Praxis auf das Verständnis für ECHTES MODALES MUSIZIEREN kann man nur als katastrophal und kontraproduktiv bezeichnen.
Die unreflektierte Repetition von theoretischen Fehlgeburten, gepaart mit Halbwissen und Verdrehung historischer Fakten, ist leider schwer aus den Musikerköpfen zu bekommen - letztlich zum Schaden der Musik selbst.


soviel Sendungsbewusstsein und Selbstsicherheit im Urteil-
das könnte von mir stammen :-))

Naja, Recht hat der Bursche insofern, als die notwendige Differenzierung in der Bennenung von Tonmaterial und Vermittlung von Improvisationstechniken oft vernachlässigt wird.
Mein ehemaliger Gitarrenlehrer versuchte mir das folgendermaßen beizubringen: "Spiele dorisch, mixo und ionisch über eine II-V-I und versuche, die jeweiligen charakteristischen Haltonschritte zu betonen!"
Tscha, was sage ich, es waren jeweils dieselben. So verbrachte ich eine luschtige Gitarrenstunde damit, groovig mit dem Kopf zu nicken (YEAH!) und h-c und e-f zu spielen :-))

Hmm, mit dem Thema bin ich aber noch nicht ganz durch, es hat mir einen neuen Anstoß gegeben, DANKE, für diesen Thread und, burke für Dein Posting, ich beginne jetzt, manches klarer zu sehen.
Allerdings muß ich da jetzt erstmal eine Weile drüber brüten, auf jeden Fall werde ich in den Semesterferien jede Jazztheorie und Musikwissenschaftliche Äusserung über Jazzharmonik, derer ich habhaft werden kann gnadenlos durchlesen ;-)



Soweit alles unklar?

Gruß,
Woody



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