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(Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping



Liebe Gemeinde!

Vorwort

Die Frankfurter Buchmesse stand im Zeichen von überflüssigen Biografien
junger Menschen, die noch nicht viel erlebt haben. Das scheint mir der
richtige Zeitpunkt zu sein, um eine sehr persönliche Geschichte zu
erzählen. An sich mag ich es nicht, wenn mir jemand lang und breit erzählt,
was für tolle Instrumente er schon besessen hat, dieses "namedropping", um
Eindruck zu schinden. Leider ist "namedropping" beim Erzählen dieser
Geschichte aber unvermeidbar. Wer sich davon genervt fühlt, möge vom Lesen
dieser Geschichte Abstand nehmen und etwas Sinnvolles tun.


Die Geschichte der ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte

Es begab sich aber vor langer Zeit, dass ich Mary kennen lernte. Wie und
warum das passierte ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht mal
erzählen werde, falls es jemanden interessiert; aber das am Rand.

Es dauerte nicht allzu lange und ich war von diesem Instrument begeistert.
Jung, enthusiastisch und voller Überschwang entwickelte sich in meinem vor
Glück vernebeltem Hirn etwa folgender Gedanke: "Eine so gute Gitarre
findest du nie wieder." Die Konsequenz aus diesem Gedanken war, dass ich
anfing, Mary zu schonen, um sie möglichst keiner Gefahr auszusetzen. Was
aber bei Sessions, Gigs und Proben alles an Gefahren lauerte! Die Welt
schien böse und gemein. Wie sollte ich alle diese Gefahren abwehren?

Nun hat der Volksmund natürlich eine vermeintlich passende Weisheit parat:
Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Im Umkehrschluss darf man sich
also nicht in Gefahr begeben, was aber sich aber als unmöglich erweist.
Schon beim Verlassen der Wohnung, ach, beim Verlassen des eigenen Betts
drohen Risiken von allen Seiten. Und wenn man konsequenterweise immer im
Bett bleibt, liegt man sich wund, was auch also keine Lösung ist. Der
geneigte Leser sieht bereits die dramatische Eskalation eines harmlos
scheinenden Gedankens und mir dämmert, dass ich nie zum Punkt kommen werde,
wenn ich in dieser Geschwindigkeit weiter erzähle. Die Zusammenfassung bis
hierher also: Da ich Mary hütete wie meinen Augapfel, wollte ich Risiken
vermeiden.

Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre
Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Eine Gitarre fürs Grobe,
ein Arbeitspferd. Ein emotionsloses Werkzeug, dessen Verlust zu
verschmerzen wäre. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die
praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer
Vester. Eine Kopie einer Takamine, klein, schwarz, mit Pickup und Preamp
für wenig Geld. Es wäre besser gewesen, wenn diese Gitarre gleich mehr Geld
gekostet hätte, denn dann hätte ich vielleicht mal meinen Kopf bemüht und
nicht gleich den Geldbeutel. Bereits nach wenigen Stunden stellte ich fest,
dass die Mechaniken nicht sehr stimmstabil waren. In diesem Zusammenhang
baute ich gleich noch einen neuen Sattel und eine neue Stegeinlage aus
Knochen ein, polierte die Bünde und versuchte das minderwertige Holz des
Griffbretts etwas glatter zu schmirgeln. Trotz aller Maßnahmen war diese
Vester nicht zu retten. Null Dynamik, kein Sustain, keine Obertöne,
langweilig und leblos. Zwar war der Sound des Pickups okay, aber die
Gitarre selbst eben schlecht. Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit
sicher behütet in ihrem Koffer ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen
Gefahren ausgesetzt zu sein. Kurzum, mit dieser Vester ging es also nicht.

Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre
Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Dieses Mal eine bessere
Gitarre mit einem ordentlichen Pickup. Im Laden meines Vertrauens fand ich
auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in
Form einer Washburn. Eine tolle Gitarre für wenig Geld, die ich sofort mit
einem guten Pickup ausrüsten ließ. Toller Sound! Bereits nach wenigen Tagen
stellte ich fest, dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde. Sie
war hässlich. Sie hatte einen schmalen Hals und ein flaches Griffbrett.
Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit sicher behütet in ihrem Koffer
ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen Gefahren ausgesetzt zu sein. Kurzum,
mit dieser Washburn ging es also auch nicht.

Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre
Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Dieses Mal eine, die Mary
möglichst ähnlich sein sollte. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch
sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form
einer anderen Lakewood, hier auch schon bekannt als Lucy. Ich war
begeistert von Lucy. Sie sah blendend aus, fühlte sich vertraut an und
klang großartig - das alles tut sie bis heute. Sie musste natürlich erst
einmal eingespielt werden, was ich auch sofort und überall tat. Lucy
erlebte also einiges. Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit sicher
behütet in ihrem Koffer ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen Gefahren
ausgesetzt zu sein.

Eines Tages wollte ich eine Kleinigkeit aufnehmen, spielte erst etwas auf
Lucy und kam dann auf den Gedanken, für die Aufnahme Mary zu nehmen.
Vorsichtig nahm ich sie aus dem Koffer, stimmte sie und spielte ein paar
Töne. Die lange geschonte Mary war untrainiert und hatte gegen Lucy nicht
den Hauch einer Chance. Ob Dynamik oder reine Lautstärke, Obertöne oder
Ausgewogenheit - Lucy konnte es besser. Der Gedanke, dass Mary die beste
Gitarre aller Zeiten und unbedingt schützenwert sei, hatte sich als falsch
und fataler Irrtum erwiesen. Die nächsten Tage nutzte ich immer wieder zu
Vergleichstests. Jetzt hatte ich zwei Gitarren, die vom Charakter recht
ähnlich klangen, eine davon aber deutlich schlechter. Diese Konstellation
kam mir absolut sinnlos vor. Ich hatte ein neues Problem.

Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre
Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Eine, die gut aber auch
ganz anders klang als Lucy. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort
die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer
Albert & Müller. Nun war das aber nicht gerade eine billige Gitarre. Um
ihren Erwerb zu finanzieren, tat ich etwas, was ich für undenkbar gehalten
hatte: Ich verkaufte Mary. Bereits nach wenigen Monaten stellte ich fest,
dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde. Die Albert & Müller
sah gut aus, klang großartig und hatte jede Menge Charakter. Genau der war
das Problem denn die Albert & Müller hatte keinen Rock´n Roll.

Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre
Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Ein Arbeitspferd. Ein
emotionsloses Werkzeug, dessen Verlust zu verschmerzen wäre. Quasi wie die
Vester, aber richtig gut. Die Quadratur des Kreises. Im Laden meines
Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den
theoretischen Lösungsansatz in Form einer Taylor. Weg mit der Albert &
Müller, ein Griff in den Geldbeutel. Bereits nach wenigen Monaten stellte
ich fest, dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde, denn dieses
Instrument hatte keine Seele.

An dieser Stelle stellte auch ich endlich fest, dass hier etwas grundlegend
falsch gelaufen war. Die scheinbare Lösung, eine andere Gitarre zu kaufen,
würde eher ein neues Problem sein als eine wirkliche Lösung. Ich fing also
an, darüber nachzudenken, was ich denn wirklich brauchen würde.

Mit Lucy hatte ich eine tolle Gitarre, allerdings sehr charakterstark und
nicht ganz universell einsetzbar. Ich brauchte ein Instrument, dass
möglichst noch die wenigen klanglichen Bereiche abdecken sollte, die Lucy
nicht beherrschte. Da diese Gitarre gleichzeitig mein Reserveinstrument
sein sollte, wäre es praktisch, wenn sie sich nicht allzu anders anfühlen
würde. Ich ließ mir Zeit mit der Suche und spielte auf Lucy.

Eines Tages kam mir ein Gedanke. Hätte ich Mary behalten und wieder
regelmäßig gespielt, hätte ich jetzt, was ich suchte. Entschlossen rief ich
den neuen Besitzer von Mary an und bot ihm meine viel teurere Taylor zum
Tausch an. Der gute Mann war verblüfft, schließlich wollte ich gar kein Geld , ich wollte
einfach nur Mary wiederhaben. Nach kurzem Zögern willigte er ein - ich
hätte ihm noch Geld dazu gegeben aber so weit kam es nicht - und Mary war
endlich wieder bei mir. Von da an spielte ich die beiden abwechselnd und
war für einige Zeit ganz zufrieden - bis mir irgendwann die Bässe fehlten.
Aber die Geschichte kennt ihr ja.

Die Moral dieser Geschichte überlasse ich euch.

Gruß


Matthias



Re: (Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping

Hallo Matthias,

So he took some earth
And put it in a form
But the oven wasn't hot enough
So the white man was born


Wie schoen am Abend so eine Geschichte zum wohlfuehlen - leider muss ich arbeiten, aber was solls...

So he took some earth
And put it in a form
But the oven was too hot now
So the black man was born


Und so weiter... herrlich. Laenger duerfte die Geschichte nciht sein, bevor man den Kanal wechseln muss, gerade eben noch im Limit. Perfekt.

War da nicht sogar was mit einem Schaden an einer Gitarre, die Du verkaufen wolltest?

Vielen Dank und gute Reise!
ullli

Zum Copyright: Der Song "How the Gypsy was born" wurde 1971 von Inga Rumpf und Jean-Jacques Kravetz verfasst, und denen gebuehrt jeder Respekt und alle Knete. Punkt.

Re: (Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping

Hi Matthias,

: Liebe Gemeinde!

ich liebe Deine Geschichten, die so anfangen.

Und die hier habe ich besonders genossen. Obwohl mir das mit dem Schonen-statt-Spielen doch sehr bekannt vorkam. Hatte ich doch sowas ähnliches schonmal gelesen. Bloß daß die Mary dort Tama hieß.

Erfreulich, daß ich nicht der Einzige bin, der seine Fehler mehrmals macht. :-) Aber Du kannst es schöner erzählen als ich.

Keep rockin'
Friedlieb

Re: (Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping

Tach Matthias!

[snip großartige Geschichte]

: Die Moral dieser Geschichte überlasse ich euch.

Tja, was ist die Moral?

Mit Gitarren ist es wie mit Frauen - es gibt häßliche Entlein, die sich irgendwann als wunderschöne Schwäne entpuppen, und es gibt die Schönheiten, die einem nix sagen. (Und natürlich die häßlichen, die häßlich bleiben und die Schönheiten, mit denen man immer wieder .. spielen .. will).

Abeeer - und das klingt vielleicht ketzerisch - Gitarren (wie auch Bässe) sind in erster Linie ein Stück Holz. Wenn auch ein verdammt teures, manchmal. Und die Dinger wollen gespielt werden. Wenn man sich so ein Teil kauft, weil es einem zusagt, dann soll man auch das damit machen, was man damit vorhatte, nämlich benutzen.

Ist wie mit Freunden - jeder weiß, daß Kneipenabende (oder Grillnachmittage, oder ...) meistens der Leber und immer dem Geldbeutel nicht gerade zuträglich sind. Aber wenn man in der Hinsicht kein Risiko eingehen will, macht eine Freundschaft nicht wirklich Spaß, weil das (wie das öffentliche Spielen einer Gitarre) eben dazugehört.

Ich habe bisher in meinem Leben fünf Instrumente verkauft. Ein Schlagzeug, weil ich ja nun Bassist war und das Ding bei uns im Keller verstaubte, meine zwei ersten Bässe, die a) billig und b) schlecht waren, sowie zwei E-Gitarren. Bei der ersten dachte ich, ich bräuchte keine E-Gitarre mehr, und die zweite steht jetzt beim Yeti rum und wiegt 50 Kilo. Insgesamt habe ich durch die Verkäufe glaub ich 500 DM verdient. Mehr waren die Dinger aber auch nicht wert, haben neu auch nur insgesamt 1.000 DM oder so gekostet.

Wenigstens habe ich auf diesem Weg rausgekriegt, was für Instrumente ich haben will, und bei denen bin ich dann auch geblieben. Meine Eltern haben mir zum Abi ne Akustikgitarre geschenkt, die ich mir selbst aussuchen durfte (Ibanez ist doch nur pfui, wenn die Kopfplatte spitz ist, oder?). Die steht zur Zeit 150 cm neben mir :-)

Nos vemos en infierno, Pepe

Re: (Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping

Moin Matthias,

schöne Geschichte. Wir Gitarristen haben doch einen an der Waffel, haben wir nicht?

Nach meinem Hofner-Kauf hatte ich für einen kurzen Moment auch die von dir beschriebene Anwandlung, daß Instrument ordentlich in Watte packen zu wollen. Gerade noch rechtzeitig habe ich bemerkt, daß das dann doch Quatsch ist:

Würde die Gitarre auch so eine schnelle Ansprache und Schwingfreudigkeit haben, wenn Sie (ja, groß geschrieben, ist schließlich eine Persönlichkeit. Mit ordentlich Charakter.) die letzten vierzig Jahre im Koffer verbracht hätte?

Fragt sich höchstens noch rhetorisch

Juergen