(Privat) Die beiden ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte voller namedropping
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Beitrag von Matthias vom Oktober 14. 2003 um 18:40:16:
Liebe Gemeinde!
Vorwort
Die Frankfurter Buchmesse stand im Zeichen von überflüssigen Biografien junger Menschen, die noch nicht viel erlebt haben. Das scheint mir der richtige Zeitpunkt zu sein, um eine sehr persönliche Geschichte zu erzählen. An sich mag ich es nicht, wenn mir jemand lang und breit erzählt, was für tolle Instrumente er schon besessen hat, dieses "namedropping", um Eindruck zu schinden. Leider ist "namedropping" beim Erzählen dieser Geschichte aber unvermeidbar. Wer sich davon genervt fühlt, möge vom Lesen dieser Geschichte Abstand nehmen und etwas Sinnvolles tun.
Die Geschichte der ungleichen Schwestern ODER eine Gruselgeschichte
Es begab sich aber vor langer Zeit, dass ich Mary kennen lernte. Wie und warum das passierte ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht mal erzählen werde, falls es jemanden interessiert; aber das am Rand.
Es dauerte nicht allzu lange und ich war von diesem Instrument begeistert. Jung, enthusiastisch und voller Überschwang entwickelte sich in meinem vor Glück vernebeltem Hirn etwa folgender Gedanke: "Eine so gute Gitarre findest du nie wieder." Die Konsequenz aus diesem Gedanken war, dass ich anfing, Mary zu schonen, um sie möglichst keiner Gefahr auszusetzen. Was aber bei Sessions, Gigs und Proben alles an Gefahren lauerte! Die Welt schien böse und gemein. Wie sollte ich alle diese Gefahren abwehren?
Nun hat der Volksmund natürlich eine vermeintlich passende Weisheit parat: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Im Umkehrschluss darf man sich also nicht in Gefahr begeben, was aber sich aber als unmöglich erweist. Schon beim Verlassen der Wohnung, ach, beim Verlassen des eigenen Betts drohen Risiken von allen Seiten. Und wenn man konsequenterweise immer im Bett bleibt, liegt man sich wund, was auch also keine Lösung ist. Der geneigte Leser sieht bereits die dramatische Eskalation eines harmlos scheinenden Gedankens und mir dämmert, dass ich nie zum Punkt kommen werde, wenn ich in dieser Geschwindigkeit weiter erzähle. Die Zusammenfassung bis hierher also: Da ich Mary hütete wie meinen Augapfel, wollte ich Risiken vermeiden.
Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Eine Gitarre fürs Grobe, ein Arbeitspferd. Ein emotionsloses Werkzeug, dessen Verlust zu verschmerzen wäre. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer Vester. Eine Kopie einer Takamine, klein, schwarz, mit Pickup und Preamp für wenig Geld. Es wäre besser gewesen, wenn diese Gitarre gleich mehr Geld gekostet hätte, denn dann hätte ich vielleicht mal meinen Kopf bemüht und nicht gleich den Geldbeutel. Bereits nach wenigen Stunden stellte ich fest, dass die Mechaniken nicht sehr stimmstabil waren. In diesem Zusammenhang baute ich gleich noch einen neuen Sattel und eine neue Stegeinlage aus Knochen ein, polierte die Bünde und versuchte das minderwertige Holz des Griffbretts etwas glatter zu schmirgeln. Trotz aller Maßnahmen war diese Vester nicht zu retten. Null Dynamik, kein Sustain, keine Obertöne, langweilig und leblos. Zwar war der Sound des Pickups okay, aber die Gitarre selbst eben schlecht. Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit sicher behütet in ihrem Koffer ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen Gefahren ausgesetzt zu sein. Kurzum, mit dieser Vester ging es also nicht.
Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Dieses Mal eine bessere Gitarre mit einem ordentlichen Pickup. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer Washburn. Eine tolle Gitarre für wenig Geld, die ich sofort mit einem guten Pickup ausrüsten ließ. Toller Sound! Bereits nach wenigen Tagen stellte ich fest, dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde. Sie war hässlich. Sie hatte einen schmalen Hals und ein flaches Griffbrett. Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit sicher behütet in ihrem Koffer ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen Gefahren ausgesetzt zu sein. Kurzum, mit dieser Washburn ging es also auch nicht.
Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Dieses Mal eine, die Mary möglichst ähnlich sein sollte. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer anderen Lakewood, hier auch schon bekannt als Lucy. Ich war begeistert von Lucy. Sie sah blendend aus, fühlte sich vertraut an und klang großartig - das alles tut sie bis heute. Sie musste natürlich erst einmal eingespielt werden, was ich auch sofort und überall tat. Lucy erlebte also einiges. Ganz anders als Mary, die zu dieser Zeit sicher behütet in ihrem Koffer ruhte, um ? wir erinnern uns - keinen Gefahren ausgesetzt zu sein.
Eines Tages wollte ich eine Kleinigkeit aufnehmen, spielte erst etwas auf Lucy und kam dann auf den Gedanken, für die Aufnahme Mary zu nehmen. Vorsichtig nahm ich sie aus dem Koffer, stimmte sie und spielte ein paar Töne. Die lange geschonte Mary war untrainiert und hatte gegen Lucy nicht den Hauch einer Chance. Ob Dynamik oder reine Lautstärke, Obertöne oder Ausgewogenheit - Lucy konnte es besser. Der Gedanke, dass Mary die beste Gitarre aller Zeiten und unbedingt schützenwert sei, hatte sich als falsch und fataler Irrtum erwiesen. Die nächsten Tage nutzte ich immer wieder zu Vergleichstests. Jetzt hatte ich zwei Gitarren, die vom Charakter recht ähnlich klangen, eine davon aber deutlich schlechter. Diese Konstellation kam mir absolut sinnlos vor. Ich hatte ein neues Problem.
Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Eine, die gut aber auch ganz anders klang als Lucy. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer Albert & Müller. Nun war das aber nicht gerade eine billige Gitarre. Um ihren Erwerb zu finanzieren, tat ich etwas, was ich für undenkbar gehalten hatte: Ich verkaufte Mary. Bereits nach wenigen Monaten stellte ich fest, dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde. Die Albert & Müller sah gut aus, klang großartig und hatte jede Menge Charakter. Genau der war das Problem denn die Albert & Müller hatte keinen Rock´n Roll.
Die scheinbare Lösung war die, die die meisten Gitarristen für ihre Probleme finden: Ich brauchte eine neue Gitarre. Ein Arbeitspferd. Ein emotionsloses Werkzeug, dessen Verlust zu verschmerzen wäre. Quasi wie die Vester, aber richtig gut. Die Quadratur des Kreises. Im Laden meines Vertrauens fand ich auch sofort die praktische Umsetzung für den theoretischen Lösungsansatz in Form einer Taylor. Weg mit der Albert & Müller, ein Griff in den Geldbeutel. Bereits nach wenigen Monaten stellte ich fest, dass diese Gitarre mich nicht glücklich machen würde, denn dieses Instrument hatte keine Seele.
An dieser Stelle stellte auch ich endlich fest, dass hier etwas grundlegend falsch gelaufen war. Die scheinbare Lösung, eine andere Gitarre zu kaufen, würde eher ein neues Problem sein als eine wirkliche Lösung. Ich fing also an, darüber nachzudenken, was ich denn wirklich brauchen würde.
Mit Lucy hatte ich eine tolle Gitarre, allerdings sehr charakterstark und nicht ganz universell einsetzbar. Ich brauchte ein Instrument, dass möglichst noch die wenigen klanglichen Bereiche abdecken sollte, die Lucy nicht beherrschte. Da diese Gitarre gleichzeitig mein Reserveinstrument sein sollte, wäre es praktisch, wenn sie sich nicht allzu anders anfühlen würde. Ich ließ mir Zeit mit der Suche und spielte auf Lucy.
Eines Tages kam mir ein Gedanke. Hätte ich Mary behalten und wieder regelmäßig gespielt, hätte ich jetzt, was ich suchte. Entschlossen rief ich den neuen Besitzer von Mary an und bot ihm meine viel teurere Taylor zum Tausch an. Der gute Mann war verblüfft, schließlich wollte ich gar kein Geld , ich wollte einfach nur Mary wiederhaben. Nach kurzem Zögern willigte er ein - ich hätte ihm noch Geld dazu gegeben aber so weit kam es nicht - und Mary war endlich wieder bei mir. Von da an spielte ich die beiden abwechselnd und war für einige Zeit ganz zufrieden - bis mir irgendwann die Bässe fehlten. Aber die Geschichte kennt ihr ja.
Die Moral dieser Geschichte überlasse ich euch.
Gruß
Matthias
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