Re: Versuch einer Analyse
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Beitrag von wilhelm vom Dezember 15. 2003 um 04:02:39:
Als Antwort zu: Re: (Philosophie) geschrieben von martin am Dezember 14. 2003 um 10:25:41:
Hallo Martin,
ich habe in meinen Ausführungen ausschließlich eigene Gedanken wiedergegeben, andere Quellen kennzeichne ich grundsätzlich.(übrigens ist mein neues Pseudonym "wilhelm", früher verwendete ich "Karbes", habe hier aber vergessen, das Pseudonym in meiner schon älteren Abhandlung" abzuändern).
Es freut mich, und habe auch nichts dagegen, wenn Du meine Ausführungen für den Musikunterricht verwenden willst, vielleicht können dadurch auch ein Stück weit die Vorurteile gerade gerückt werden. Es ist doch leider so, daß, nicht zuletzt durch Medien verursacht, die breite Masse" Hendrix meist reduziert auf einen Rauschgift konsumierenden "Krach-", oder "Purzelbaum-Macher", "mit den Zähnen und hinterücks- Spieler und Gitarrenanzünder".
Durch solche Vorurteile, gepaart mit der Unart einiger Hinterhof-Plattenlabes, jeden noch so belanglosen musikalischen Furz, den Hendrix mal im Studio von sich gab , jeden irgendwo in der Mülltonne gefundenen Tonbandschnipsel auf Platte zu veröffentlichen, wurde und wird unzähligen Menschen der Zugang zu diesem Musik-Genie schon von vorne herein versperrt. Noch schlimmer dabei ist, daß so manche Leute, die nur besagten Schrott gehört haben (und dadurch ein weiteres Interesse gar nicht erst aufkommt) sogar noch meinen, Hendrix-Experten zu sein (im ablehnenden Sinne).
Wer Hendrix nur auf den "wilden Mann" reduziert, sollte sich mal z.B. nur folgenden Text zu Gemüte führen:
"Castles Made of Sand" Schlösser aus Sand (Luftschlösser) aus der LP (CD) "Axis Bold as Love" von 1967:
""Auf der ganzen Straße kann man ihr kreischen hören "du bist ein Schandfleck" Als sie ihm die Türe vor seinem betrunkenen Gesicht zuschlug, stand er draußen und hörte wie seine Nachbarn begannen zu klatschen und zu faseln.
Und so fielen schließlich die Schlösser aus Sand in den See
Er ruft, "oh Mädchen du mußt verrückt geworden sein, was ist mit der süßen Liebe zwischen uns geschehen?" Er lehnte sich an die Türe und begann eine Szene. Und seine Tränen fielen und entbrannten den Garten grün.
Und so fielen.....
Ein kleiner tapferer Indianerjunge spielte mit seinen Indianerfreunden Kriegsspiele im Wald noch bevor er 10 Jahre alt war und er träumte davon, daß, wenn er erwachsen wäre, er ein furchtloser indianischer Kriegshäuptling sein würde. Viel Monde vergingen und aus dem Traum wurde Ernst, bis morgen würde er sein erstes Kriegslied singen und in seiner ersten Schlacht kämpfen, aber etwas lief falsch, ein überraschender Angriff tötete ihn in dieser Nacht als er schlief.
Und so fielen....
Da war ein junges Mädchen, ihr Herz war verhärtet, weil sie ein Krüppel für ihr ganzes Leben war und keine Silbe sprechen konnte. Und sie flehte und betete um das Ende ihres Lebens und sie entschloß sich zu sterben. Und sie zog ihren Rollstuhl an den Rand des Ufers und sah lächelnd auf ihre Beine und sagte: "ihr werdet mir nicht mehr weh tun". Aber dann ließ sie ein Zeichen, das sie noch niemals sah, aufspringen und sagen: "schaut, ein goldenes Schiff mit Flügeln kreuzt meinen Weg". Und es brauchte wirklich nicht anzuhalten..., es fuhr für immer.
Und so fielen....""
Das ist melancholische Poesie, die sich gegen sonstigen weitverbreiteten textlichen "Schwachfug" deutlich abhebt. Dazu kommt die gefühlsbetonte Vortragsweise, die einzigartige unnachahmliche Spielweise und der Gesang; hier paßt einfach alles.
Und wer meint, er könne das vergleichsweise einfach gehaltene, sparsam verzerrte Gitarrenspiel bei obigem Stück locker nachspielen, sei gesagt, er kann es nicht, es fehlt immer noch das gewisse Etwas, zudem man machen kann was man will, es ist und bleibt immer was nachgespieltes, es ist nichts eigenes. Übrigens hätte er nach meinem Geschmack die in dem Titel rückwärts gespielten Parts (auf dem linken Kanal) weglassen können, daß Stück hätte an Ausdruckskraft nichts eingebüßt.
Daß Hendrix schon so früh starb, ist menschlich natürlich äußerst tragisch, aber musikalisch hätte er sich wahrscheinlich für meinen Geschmack in die falsche Richtung bewegt, er wäre für mich zumindest musikalisch uninteressanter geworden. Schon bei Electric Ladyland" war erkennbar, daß er vom Trio-Konzept zunehmend abgehen wollte. Und auf den Platten die nach seinem Tod heraus kamen (Crasch Landing" usw.), haben dann noch diverse Studiomusiker auch noch ihren Senf dazugespielt, Was für mich ein Indiz war, daß sie seine musikalische Kraft überhaupt nicht begriffen haben, die Kraft, die von nur" drei Leuten ausging. Mit für heutige Verhältnisse bescheidenster Instrumenten-/ Bühnen-Technik. Dieses Trio konnte um Welten musikalisch mehr faszinieren als so manche Groß-Kapelle mit 5 Gitarren, Bläsern, Streichern und 3 Sythesizerburgen.
Band of Gypsies" (live Silvester 69/70) dürfte nach meinem Geschmack die Vollendung seines Trio-Konzeptes sein, ein Meisterwerk und bis heute unerreicht ( Smash Hits", Axis..." Royal Albert Hall" und Isle of Wright" natürlich auch, und jazziger, auch dank Mitch Mitchel..)
Ich meine die "Ur"- LP/CD mit 6 Titeln drauf (Polydor) sie ist von der Titelauswahl in sich schlüssig. Später kam noch eine CD aus Japan mit 3 zusätzlichen aber schwächeren Titeln. Und die vor ein paar Jahren rausgekommene "ergänzende" Doppel-CD "Band of Gypsys live at the filmore east" hat auch Schwachstellen, sollte dennoch in einer Sammlung nicht fehlen . Dagegen gefällt mir "Monterey" von 67, das eigentlich am meisten hochgejubelt wurde, am wenigsten (der einzige Lichtblick ist vielleicht "like a rolling stone",). Hieran sieht man, daß Hendrix nur auf Rabatz" (Gitarre anzünden) reduziert wurde. Der Sound der Gitarre gefällt mir da überhaupt nicht, sie verzerrt zu stark, zu rau, die Gitarre "knattert" regelrecht, außerdem gibt es auf diesem Konzert wohl größere Probleme mit der Stimmung der Instrumente und dem Gesang. Das Hendrix manchmal auch wie ein Stümper spielte, bestreite sogar ich als Fan nicht, es beweist aber doch die Ehrlichkeit dieser Art von (nicht reproduzierender) Musik, es liegt in ihrer Natur, daß die momentane Stimmung sich unmittelbar im Spiel niederschlägt. Nur daß manche "Experten" in den Plattenfirmen das nicht erkennen, und mit schlechten Platten (wie gesagt, fast jeder "Pups" wurde auf Platte gepresst) potentielle neue Fans verjagen, garnicht erst zu Fans werden lassen, ist schon peinlich. Um zu den "Sahnestücken" zurückzukommen; ich gehe davon aus, daß Du die "Band of Gypsys" CD kennst, bzw. parat hast (die erste, noch von Polydor, nicht die späterere doppel- CD). Schon die ersten Töne von Machine Gun" sind eine musikalische Offenbarung, die Gitarre klingt als ob sie verzweifelt und deprimiert wäre. Das kann niemand nachspielen, selbst Hendrix konnte das nicht 100%tig reproduzieren, es spielte auch Zufall, Raumakustik usw. eine Rolle, aber was soll`s, die Töne sind nun mal so, wie sie sind, für immer auf einem Medium verewigt. Dann höre Dir beispielsweise bitte mal bei Stück 6 ("we gotta live together") die 14 Sekunden zwischen 3.55 und 4.09 min an, da wiederholt er ein kurzes Thema drei mal (als Abschluß oder Überleitung sozusagen) , aber in einer für ihn typischen absolut unnachahmlichen Weise, Hendrix zerreißt in der Wiederholung zunehmend das Thema, "zerfleddernd", "torkelnd" und "tscheppernd".
Ich habe Probleme, für das gehörte, für die Spielweise die richtigen Worte zu finden, es wird dafür auch keine "Fachbegriffe" geben. Für sich alleine gesehen braucht natürlich kein Hörer zu wissen, wie man solche musikalischen "Verzierungen" oder "Phrasierungen" im einzelnen nennt, normalerweise zerflücke" ich auch nicht Musik so, wie ich das hier tue, aber wenn man sich drüber unterhalten will, wird`s schwierig, wenn der eine wissen will, was der andere meint.
Hendrix läßt ja generell kaum einen Ton so einfach ausklingen, nein, da hängt immer noch so ein zuweilen unterschwelliges "Geplänkel" dran, als ob die Gitarre neben dem eigentlichen Ton auch noch atmen, schlucken, aufstoßen, schluchzen etc. müßte/würde.
Für mich ist seine Spielweise jedenfalls atemberaubend. Sogar (ziemlich häufige) Spielfehler stören dabei nicht, passen da regelrecht rein, werden als solche nicht vom Hörer interpretiert, denn wenn man beim Singen oder Sprechen auch schon mal stockt, sich verspricht, nach Worten sucht, oder an der falschen Stelle nach Luft schnappt, ist das ja all zu menschlich, und deshalb klingt, meine ich, seine Gitarre auch so "lebendig". Sein Spiel erinnert an des Menschen eigene Unzulänglichkeiten.
Das geht nur, wenn man sein Instrument im Schlaf beherrscht, es muß einem regelrecht angewachsen sein. Es sprengt alles dagewesene und wohl auch kommende (da möge jemand nur mal versuchen, z.B. nur oben besagtes Beispiel in Notenschrift umzusetzten, und zwar so, daß es aus den Noten wieder reproduzierbar ist, ich glaube, das wird kaum gehen). Solche Musik ist dazu geschaffen, auf Tonträgern verewigt zu werden, Noten sind da eher hinderlich, auch aus musialisch schöpferischer Sicht.
Duke Ellington soll gesagt haben. "Jazz ist die Freiheit, viele Formen zu haben"
Nach dieser Interpretation würde ich auch Hendrix eher bei den Jazzmusikern einordnen wollen (obwohl an sich Einordnungen schnurz sind), was aber von der Fachwelt kaum oder nur in Ansätzen so gesehen wird (vielleicht wollen die Jazzer gerne unter sich bleiben, da sind sie auch nicht besser als die Klassiker..) und ich erkenne in der Spielweise, der Ausdrucksform, gewisse Ähnlichkeiten zu der diverser Jazz-Saxophonisten, die auch aus ihren Instrumenten fast menschliche Töne herausholen (atmen", röcheln", schnattern", schnarren", glucksen" ....) Ich glaube sein Vater spielte früher Saxophon, vielleicht hat das abgefärbt, Hendrix wurde wohl solche Musik in die Wiege gelegt, er wuchs damit, wie auch in einem speziellen sozialen Umfeld auf. Wer dieses Glück" (auf die Musik bezogen) nicht hatte, kann noch so viel üben, es fehlt einfach das nötige Grundfundament (das entsprechende Schicksal), das nötig ist, damit sich der Blues" einstellt. Die Geschichten vom Bluesmusiker aus ärmlichen Verhältnissen" sind in den meisten fällen keine Marketing-Gags, sie sind einfach Tatsachen, die sich dann in der Musik bestätigt finden.
Ich habe alle Hochachtung vor Leuten, die Hendrix-Musik mehr oder weniger gut nachspielen können (ich habe es nach 15 jährigem Versuchen aufgegeben..), es zeugt von einer außergewöhnlich hohen Musikalität (man kann es ja nur abhören, die diversen Hendrix-Notenhefte kann man ja absolut vergessen..), aber alle bisher angekündigten Hendrix-Nachfolger" haben mich bisher jedesmal mehr oder weniger enttäuscht; nicht zuletzt deshalb, weil die alle zu "perfekt", "antiseptisch", "akademisch" spielen.
Viele selbsternannte oder hochgejubelte Hendrix "Nachfolger" meinen nämlich, sie seien es schon deshalb, weil sie möglicht viele Töne in der Sekunde "schaffen" (seelenloser Leistungs- oder Schnelligkeitswahn).
Aber gerade bei Hendrix kommt es ja garnicht so sehr auf das Schnellspielen an, sondern darauf, etwas mit dem Instrument zu "erzählen", das setzt aber voraus, daß man auch was zu erzählen hat, und das haben viele Musiker einfach nicht, was man dann auch hört, und Spieltechnik allein macht`s eben nicht. In der "Erzählung" muß sich natürlich auch der Zuhörer wiederfinden. Wenn es ein Musiker schafft, mich emotional so anzusprechen, daß ich den Eindruck gewinnen muß, daß er mit mir schicksals-" oder "seelenverwandt" ist, interessiere ich mich automatisch auch für den Menschen, der hinter der Musik steckt (sei es Bach, Debussy oder Hendrix..).
Das kann aber jeder halten wie er will, auch Martin Abend, der nicht verstehen kann, wieso es immer noch Leute interessiert, "was der Künstler damit sagen wollte".
gruß, wilhelm
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