Re: Kirche im Dorf lassen... ein anderer Vorschlag


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Beitrag von Michael vom März 06. 2003 um 14:32:48:

Als Antwort zu: Re: Kirche im Dorf lassen... ein anderer Vorschlag geschrieben von Doc am März 06. 2003 um 12:27:11:

Hallo,

Sessions sind, wie ich meine, eine ganz heikle Geschichte. So richtig gute Sachen habe ich in meiner Laufbahn allerhöchstens 3-4 Mal erlebt. Was sind die Gründe ?

1) zu grosse Unterschiede im technischen Spielvermögen: Wenn man Mühe hat, die Akkorde und ggfs. ihre Variationen unfallfrei aufs Griffbrett zu bekommen, dann ist es halt Essig mit Groove, Timing, Dynamik, etc. Die Freiheit, den anderen zuzuhören und auf sie einzugehen, habe ich nur, wenn ich mir um den rein spieltechnischen Aspekt wenig Gedanken machen muss.

2) Oft wird aus dem "Miteinander" ein Wettkampf gegeneinander gemacht (wer spielt die meisten Töne in 30 Sekunden ?), bei dem alle hart an der obersten Rand ihres Könnens auf der Kiste rumnudeln. Dieser Wettkampf wird dann zu einer ziemlich unerträglichen Geschichte, wenn die Fähigkeiten der Beteiligten zu weit auseinanderliegen.

3) Unglückliche Wahl der Songs, die gespielt werden. Die Sachen sind oft viel zu kompliziert (Dream Theatre oder so hat bei einer Session nix verloren, viel zu komplex). Aber, und das wird oft unterschätzt, einen 3-Akkordesong wirklich gut über die Rampe zu bringen, ist auch nicht ganz so ohne (siehe Punkt 1), aber doch noch eher zu stemmen, als sich mit 5/4-auf-7/8-Taktwechseln und abgefahrenen Harmonien die Kante zu geben.

4) Zu wenig "Bescheidenheit und Zurückhaltung" der Beteiligten. Ist vor allem bei Leuten festzustellen, die in ihrem "normalen" Leben wenig Spielpraxis mit anderen haben. Zwar verständlich, dass die sich auch mal "austoben" wollen, aber da werden oftmals zu wenig "rote Karten" verteilt und die sind m.E. durchaus auch mal angebracht (also doch einen Zeremonienmeister).

5) (spez. zur AS-Session. Bin aber nur einmal dabeigewesen, deshalb rein subjektive Empfindung):
Es ist was völlig anderes, einen Sessiontermin mal abends für 2-3 Stunden mit ausgewählten Leuten auszumachen, bei denen man weiss, was kommt oder sich 2 Tage irgendwo mit 25-30 Leuten zu treffen mit dem Ziel "irgendwie" was gemeinsam musikalisch auf die Beine zu stellen. Jeder hat da andere Prioritäten: einem kommt es mehr auf die Kommunikation an, der andere will spielen, der dritte sich vielleicht mal was abgucken, der vierte mal richtig den Amp aufdrehen, weil er es zu Hause nicht so darf, usw. Es fehlt mir da so ein bischen der rote Faden bei der Sache....

Lösungen ? Ich weiss nicht, ob "basisdemokratisches Musizieren - jeder ist vor der Klampfe gleich" in völlig freiem Rahmen unbedingt das Beste ist. Es gibt bei diesen Sessions sehr grosse Unterschiede sowohl in Bezug auf die musikalischen Vorlieben und dann auch in dem technischen Können, der Erfahrung der einzelnen Beteiligten. Ich könnte mir bei sowas durchaus vorstellen, dass es eine Aufteilung in Sparten gibt: Blues, Rock, Jazz, Akustisches etc. Es gibt pro Sparte einen oder zwei, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Könnens gewissermassen den Leitwolf spielen und um die herum sich die daran Interessierten finden (im Rotationsprinzip, um den 8-Gitarristen-auf-einmal-Effekt etwas abzumildern). Diese Leitwolfstellung könnte z.B. nicht nur das Recht der "roten Karte" beinhalten, sondern auch gewissermassen "pädagogische" Funktion haben: wie spiele ich bestimmte Sachen richtig, technische Details, Aspekte des Zusammenspiels (Eigendisziplinierung) etc. Im Vorfeld könnte man dann noch jeweils spartenbezogen eine Liste mit Songs und den dazugehörigen Akkorden etc. vorbereiten.

Da das Ganze ja rund 2 Tage geht, gibt es für die "wilden" Sessiongeschichten natürlich auch noch genügend Freiraum.

Aber mit etwas "autoritärer" Durchstrukturierung hätte man doch ein paar nette Nebeneffekte:
einen hohen Lerneffekt für die noch nicht ganz so guten, wahrscheinlich musikalisch etwas befriedigendere Ergebnisse etc.

Michael

PS: "Klar, 'nen Blues in irgendwas bekommt jeder hin..." So klingen die dann meistens auch: Es gibt wohl kaum einen unterschätzteren Musikstil als den Blues. Clapton sagte mal (kurz nach seinem 55. Geburtstag in einem Interview), dass er jetzt langsam anfängt zu begreifen, was Blues ist und wie man ihn spielen muss. Bei manchen geht's anscheinend schneller...




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