Re: (Image & Politics) die "Mutter" aller Antworten.


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Beitrag von groby vom Juli 29. 2001 um 17:02:55:

Als Antwort zu: Re: (Effekte) welche Effekte? geschrieben von Susanne am Juli 29. 2001 um 15:08:59:

Oh, DAS ist ein Posting auf das ich leider (oder Gottseidank) genaustens eingehen MUSS. Da gibt es einiges klarzustellen.


Das ist das albernste, was ich desbezüglich jemals gehört habe. Wenn man was finden WILL kann man überall was reininterpretieren.

Bei Rammstein muss man nicht "reininterpretieren". Rammstein sind nicht Opfer einer unfairen Hetzjagd, sondern sie sind mit ganz grossem Geschick Meister ihres eigenen Images. Sie sind nicht fehl-verstanden, sie entziehen sich nur konkreter Aussagen und ziehen aus dieser billigen Ambivalenz Profit.

Rammstein versuchen, die Deutschen aus dieser Paralyse zu reißen, zu zeigen, daß es da noch mehr gab, daß große Kunst auch während des zweiten Weltkriegs geschaffen wurde (daher die Bilder, u.a. auch von Leni Riefenstahl (oder wie hieß die?))

Ja, so hieß sie. Und es war - Achtung jetzt, ich gebe Dir hier Recht - tatsächlich grosse Kunst (der Film "Triumph des Willens"). Keine grosse Kunst und auch kein Aufrütteln der Gesellschaft ist es, diese Kunst kommentarlos zu zitieren, sich ihrer zu bedienen und sie ungefragt in den Raum zu stellen. Dazu ist die Wunde noch zu frisch und das Problem zu akut. Es DARF nicht unkommentiert in den Raum gestellt werden und es darf auch nicht zu Zwecken des Massenkonsums missbraucht werden.

Außerdem ist es eine interessante Beobachtung, dass man heraustreichen müsse, dass es grosse Kunst zu der Zeit gab. Es gab andererseits auch genügend Künstler die zu dieser Zeit in Gaskammern ermordet wurden weil ihre Kunst angeblich nicht so "gross" war.

Vor 50 Jahren haben Literaurwissenschaftler noch - meiner Ansicht nach nicht ohne Grund - diskutiert, ob es nach Ausschwitz jemals wieder deutsche Literatur geben darf.

Das ist keine Frage von veraltertem Schuldbewusstsein, sondern eine Frage dessen, was Kunst darf und soll.

Es tut mir leid wenn ich abschweife, aber leider haben wir hier ein Thema angeschnitten, dass einen grossen Zusammenhang benötigt. Du selber, Susanne, hast ihn hergestellt. Es mag sein, dass meine Gedanken hier etwas sprunghaft und nicht unbedingt für jeden nachvollziehbar sind. Dann sag mir einer Bescheid und ich ergänze gerne.


Rammstein sind seit jeher eine linke Band, die keine politischen Statements in ihrer Musik abgegeben hat (u.a. auch, weil Politik in der Musik lediglich im Punk-/ und Hardcorebereich was verloren hat).

Oho - kleinen Moment. Ob sie eine linke Band sind oder sein wollen ist komplett unerheblich wenn man betrachtet wie sie WIRKEN. Ihr Lippenbekenntnis interessiert mich nicht und hilft uns auch nicht weiter. Das Argument "Ja, die meinen dass ja gar nicht so und in echt sind die total links" ist schon sehr zerfleddert und ein Allgemeinplatz geworden.
Es lohnt sich, Rammsteintexte einmal genau zu lesen (und dazu gehört mehr als Wolfgang Kehle in G&B erkannt haben will, wenn er in Heft 6/2001 das Lied "links,zwo,drei,vier" mit geschlagener Einfachheit analysiert und als Bruch mit dem rechten Image erkannt haben möchte. Knapp daneben, Wolfgang.)

"Hier Kommt die Sonne" ist eine unglaubliche Verherrlichung von Macht und Gewaltanwendung und ich glaube nicht, dass das von mir "reininterpretiert" wurde. Ich meine nur, ich schaue etwas gerne genauer hin, wenn mir ein Text in die Hände fällt.


Ich lach' mich tot.

Das ging ja schnell. Aber lesen wir weiter....

Das "rollende 'R'" ist fester Bestandteil bestimmter Bereiche des klassischen Gesangs. Und, oh wunder, der Rammstein-Sänger HAT eine klassische Gesangsausbildung.

Was beweist das? Soll ihm das mehr Glaubwürdigkeit verleihen? Das mögen höchstens Leute behaupten, die mit ihrem Bildungsbürgertum prahlen wollen.
Nur weil es aus dem Bereich der Klassik kommt und dort eine feste Traditionsbegründung hat (Bühnenakustik, nämlich) ist es kein Argument, anhand dessen man die Band erkennen und einwandfrei interpretieren kann.

Das rollende "R" kann man sehen wie man will, aber wenn die Band es in ihren Zusammenhängen verwendet, ist es ein Zitat.
Man kann nicht behaupten, dass hätten sie nicht geahnt. Sie verwenden es bewusst und auch dass unreflektiert und kommentarlos.

Bühnenästhetik: Ich seh' da keine Zusammenhänge, die Show ist doch geil! Ist mir lieber, als wenn sich da so'ne Nase wie Oli P. hinstellt und völlig uninspiriert in's Mikrofon heult.

Ja, gut. Ist mir auch lieber. Schliesslich will ich als Zuschauer live unterhalten werden und da stimmt die Show bei Rammstein allerdings.

Zudem muss ich gerade den Gitarristen und dem Schlagzeuger eine grosses technisches Können attestieren was ihr Rhythmusgefühl und ihr Zusammenspiel betrifft. Sehr präzise.
Vielleicht sollte man Rammstein nicht verharmlosen, indem man Vergleiche zieht wie den zu Oli P. Ich will das nicht überstrapazieren, aber der homouristische vergleich verharmlost Rammstein zu reinen Unterhaltungskünstlern.


Ich bewundere aber außerdem ernsthaft, mit welchem Geschick die Jungs ihr Image beherrschen und steuern. Alleine schon das Cover von "Mutter" ist marketing- und imagetechnisch einfach genial.

Allerdings sind Videos wie "links,zwo,drei,vier" nicht nur faschistische Zitate, die man als Bluff entlarven oder als Gradwanderung bewundern kann, sondern sie sind gefährlich eindimensional und zu billig dahingestellt.



So, fertig erstmal,
groby


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