Re: (Session) Es war zu laut! - Aus welchem Grund?


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Beitrag von Friedlieb vom Mai 29. 2001 um 12:07:53:

Als Antwort zu: Re: (Session) Es war zu laut! geschrieben von Carline am Mai 29. 2001 um 08:41:27:

Hi Carline,

: Dass im Gegensatz zu Duisburg ein Raum vorhanden war, in dem man, ohne sich anschreien zu müssen, Gelegenheit hatte miteinander zu reden, war sehr schön.

Fand ich auch.

: Aber dass man ohne Gehörschutz (was Ihr mir nun wiederum zum Vorwurf machen könntet, ohne einen solchen überhaupt da aufzukreuzen) den eigentlichen Sessionraum nicht betreten konnte, solange da drin KRACH (das kann man wirklch nich anders bezeichnen) gemacht wurde, ist schlicht und ergreifend MIST!!!

Ja, das war sozusagen das andere Ende der Wippe. Ein Vorwurf an Gehörschutznichtbenutzer wäre ja wohl krank. Ich fand mich zwar wegen meines Tinnitus nahezu gezwungen, einen zu tragen, aber Ziel muß sein, daß der Besuch einer Session bequem und ohrenfreundlich auch ohne jeden Gehörschutz möglich ist.

: Und was mir auch völlig unverständlich ist (kommt mir vor wie ein Déjà-vu) wie in Duisburg, finden es hinterher wieder alle zu laut und meinen, bestimmte Regeln fürs nächste Mal festlegen zu müssen.

Ja, wohl weil wir das Problem eben nicht gelöst haben. Ich glaube ja, daß das Problem in uns selbst liegt und alle Zwangsmaßnahmen wie die Installation eines amtlichen Leiserstellers oder auch einer festen Backline letztlich ein Korsett sind, die über das eigentliche Problem drübergestülpt werden und es bändigen sollen, ohne es an der Wurzel zu packen.

Um das mal ein bißchen genauer zu beschreiben, wie ich das meine, hier mal ein paar Innenansichten von mir, die man wahrscheinlich auf viele der anderen übertragen kann.

Grundsätzlich empfindet der Gitarrist sich als zu leise. Das hat viele Gründe, einer davon kann mangelnde Übung oder ein mangelndes Ohr in Verbindung mit dem Band-Kontext sein.
In Bands mit Keyboardern kann das extrem sein (selbst erlebt); je nachdem, ob im Mix die Gitarre oder das Keyboard lauter ist, gilt die Musik als eher Keyboard-lastig oder Gitarren-orientiert (na, merkt ihr, was für eine subjektive Wortwahl ich Euch gerade untergejubelt habe?). Der Musiker an sich neigt dann gern dazu, hier als Behelfs-Arrangeur einzuschreiten und somit wird der Keyboarder versuchen, das Keyboard lauter zu bekommen, um halt Keyboard-orientierte Musik zu erzeugen, während der Gitarrist das Keyboard übertrumpfen möchte, um im Mix eher Gitarren-lastige Musik zu haben (subversiv-manipulatorische Wortwahl jetzt mal umgedreht).

Diesen Kampf zwischen Keyboard und Gitarre (damals eindrucksvoll demonstriert von Jon Lord und Richie Blackmore) kann man jetzt analog (ja, Claus!) umsetzen auf das Zusammenspiel mehrerer Gitarristen oder gar auf das Zusammenspiel eines Gitarristen mit dem Rest der Band. Wenn Friedlieb und bOOgie spielen, versucht Friedlieb, als Behelfs-Arrangeur eben im Resultat Friedlieb-orientierte Musik zu generieren, während bOOgie bestrebt ist, einen bOOgie-lastigen Mix zu bekommen.

Und wenn das jeder macht (und es macht jeder!), hat man eine Eskalation des Lärms - jeder versucht, mehr Atomraketen als der andere zu haben, und dieses "ich will ja bescheiden sein, muß aber einen winzigen Tacken lauter sein als der Rest" Wettrüsten sorgt dann halt für die Lautstärke.

Viele (mich eingeschlossen) kaschieren das durch Reserve-Möglichkeiten, man dreht den Volumenregler an der Gitarre oder am Fußbrett was zurück oder so, um bei Bedarf ein paar Kohlen nachlegen zu können. Dieser Bedarf entsteht natürlich bereits im Laufe des Rhytmusspiels, und spätestens beim Solo hat man dann alle Reserven aufgebraucht und "muß" zum Master-Volume greifen, was allein schon deshalb unangenehm ist, weil Matthias ein fotografisches Gedächtnis für Master-Volume-Positionen hat.

Das wird dann beim Solo-Spiel noch potenziert, man muß ja ein "kleines bißchen" lauter sein als der Rest, ist ja klar. Der Gitarrist an sich hat zu diesem Zweck umfangreiche Mechanismen vorgesehen, Booster-Pedale, Kombischalterchen, spezielle Programm-Optionen, Wah-Wahs, Verzerrer etc. Eine Fülle von Möglichkeiten, die kein noch so guter Denoise-Beauftragter im Griff haben kann.
Und einige (um jetzt mal bei aller Freundschaft zwei Leute namentlich zu nenen, nur als Beispiel: Guido und Lothy) (na gut, bOOgie auch noch) (och, ehrlich gesagt, die Namen stehen eigentlich stellvertretend für fast alle, mich eingeschlossen) haben dann sehr spezielle Vorstellungen von dem oben angesprochenen "kleinen bißchen" Volume-Boost: Sie meinen, daß eine solierende Gitarre den dreifachen Pegel über dem Rest des musikalischen Geschehens haben muß, um gehört zu werden. Dadurch eskaliert das Ganze dann weiter, denn der Rest des musikalischen Geschehens versucht natürlich, das alte Kräfteverhältnis wieder herzustellen usw.

Die Jazzer kriegen das ja künstlich dadurch in den Griff, daß jeder in jedem Stück ein Solo hat. Akustik-Sessions sind auch so eine mehr oder weniger künstliche (aber nichtsdestotrotz schöne) Problembehebungsmaßnahme.

Das waren jetzt alles Verhaltensweisen, die ich von mir selbst kenne. Erzählt mir nicht, daß es Euch 'innendrin' groß anders geht. Dabei halte ich mich selbst eigentlich für einen der eher Gemäßigten. Wobei, das tun bestimmt alle. Es halten sich ja auch über 80% der Autofahrer für überdurchschnittlich gute Autofahrer. :-)

: Mir fällt da nur ein (vielleicht bin ich mit der Haltung "muttergeschädigt") wenn einfach alle Mitspielenden, denen es zu laut ist, ihr Instrument abstellen und den Raum verlassen - und zwar während des Spielens - ohne Frust und in aller Gelassenheit

Und da kommt die zweite Seite des Problems - irgendwie macht es dann ja doch auch noch Spaß... Aber Du hast recht. Ich nehm mir das auf jeden Fall mal vor fürs nächste Mal.

: Schade! Aber ansonsten .... WUT!

Ich finde es gut, daß Du die jetzt ein bißchen rausgelassen hast, denn wir sollten an diesen Problemen unbedingt was ändern, bevor sie zu mehr als einem Wermuthstropfen werden und uns wohl auf Dauer die Sessions kaputt machen. In dem Moment, wo solche berechtigten Reaktionen wie die von Dir kommen, hört für mich der Spaß auf (hat für mich persönlich eigentlich schon beim Manifestieren des Tinnitus aufgehört) - wir sollten das Problem also wirklich so radikal beheben, daß es nicht beim nächsten Mal wieder passiert und der Katzenjammer (oder Kater? sind wir lautstärkesüchtig und die Session ist ein Rausch?) hinterher um so größer ist.

Und das fängt imho in den Köpfen der Leute an. Da hat halt eine gitarristentypische Fehlprogrammierung stattgefunden, die einen glauben macht, man müßte um soundsoviel lauter sein als der Rest, um sich wohlfühlen zu können. Und das müssen wir knacken.

Keep rockin'
Friedlieb


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