Re: (Gitarre) Bunt Ding will Weile haben


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Beitrag von Jonas vom Oktober 06. 2021 um 18:49:46:

Als Antwort zu: Re: (Gitarre) Bunt Ding will Weile haben geschrieben von Michl am Oktober 06. 2021 um 15:04:57:

Hallo Michl,

Resteverwertung von Baustoffen finde ich toll! Das kenne ich von historischen Baustoffen, und da geht ja finanziell auch einiges, so dass sich das auch lohnt. 60er/70er Jahre Mahagonitreppen, ich glaube, das ist noch zu weit ab vom Trend :-)

Und da ist teilweise auch Honduras Mahagoni dabei. Will gar nicht wissen, was u.a. die Militär-Junta in Argentinien damals an Holz aus dem Regenwald geschlagen hat, um mit dem Verkaufserlös Waffen zu kaufen. Muss viel gewesen sein, denn anscheinend war ja Mahagoni, Meranti und Co. eine zeitlang so billig, dass fast alle Neubauten damit ausgestattet wurden. Inkl. Türen, Türrahmen und Fensterrahmen. Die hat man ja vorher noch aus dem billigsten Rotz gebaut, Limba, oder wie der Gibson-Afficionado so gerne sagt: Korina :-)

Eine Stradivari hatte ich noch nie in der Hand, nein, dass ist ja auch nicht mein Fachbereich und auch nicht so ganz mein Interesse. Vor 2 Jahren war ich in der Real Armeria und habe mir ausführlich das Hauptwerk der Helmschmieds dort angesehen (was ich ja nur empfehlen kann, wenn man auf unfassbare Formgebungen in Metall steht). Dann hatte ich noch Zeit und habe mir den Rest des Palastes angesehen, da war dann auch ein Ensemble Instrumente von Stradivari dabei, an die man auch nahe rangehen konnte. Also, an die Glaskästen.

Hier ist der Wikipedia Artikel dazu:

https://en.wikipedia.org/wiki/Stradivarius_Palatinos

Es war interessant, wie sehr die Farben noch erhalten waren, wenngleich ich nicht weiß, wann und wie oft die restauriert wurden (und ob die Halswinkel auch mal modernisiert wurden). Ansonsten wie so oft bei so alten Meisterwerken bin ich immer überrascht, wie "hemdsärmelig" - naja, das ist ein großes Wort für eine Stradivari...- die Details ausgeführt sind teilweise. Aber klar, damals hatte man nicht die Unmengen an Werkzeugen in den Genauigkeiten zur Verfügung und v.a. nicht klein und motorgetrieben, da hat man alles von Hand machen müssen. Und ewig Zeit hat man ja auch nicht, es musste sich ja auch damals schon rechnen. Und dennoch haben diese Gegenstände trotzdem, oder vielleicht sogar deswegen einfach eine Anziehung, die einem CNC gefertigten Boutique Instrument der Neuzeit abgeht. Das ist zwar perfekt in den Details, aber auch anemisch und hart fürs Auge, das ist bei den imperfekten alten Teilen wesentlich organischer vom Eindruck.

Das gilt ja lustigerweise analog auch für Vintage Gitarren der 50er und 60er Jahre. Eine D'Angelico sieht schon in manchen Bereichen recht krude gebaut aus und auch eine Burst hat oft die Inlays schief drin, oder die Mechaniken z.B. . Aber ich glaube, dass das eben Teil des Charmes ist und ich würde mir wünschen, dass der Perfektionsfetischismus, der heutzutage bei neuen Gitarren vorherrscht sich auch vor diesem Hintergrund auf ein reelles Maß zurückentwickeln würde. Wenn ich mir teilweise Reviews durchlese und dann von "Mängeln" lese wie feine Kratzer in einer Hochglanzoberfläche, oder nicht 10000% sauber gefeilte Bundenden (da meine ich nicht die Abteilung Natodraht), dann weiß ich manchmal nicht, ob Leute überhaupt wissen, was da an Arbeit hintersteckt und Zeit. Und dass handgebaute Gitarren immer noch unfassbar billig sind und sogar in den letzten Jahren immer billiger geworden sind angesichts der Qualität (die ja offensichtlich eingefordert wird und im Internet bei "Mängeln" gerne breitgetreten wird), dass hat sich zu meinem Erstaunen noch immer nicht ganz herumgesprochen.

Da hatte ich ja durchaus mal die kurz aufflammende Idee, dass man vorschlagen könnte eine Gitarre zu dem Stundenlohn zu bauen, die der Auftraggeber selber in seinem Job verdient. Aber da ging der linke Gaul halt irgendwie mit mir durch :-)

Alles Gute!

Jonas




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