Re: (Sonstiges) Wes Montgomery - eine der besten Jazz-Scheiben für nen 5er


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Beitrag von Kurt vom Juni 16. 2008 um 18:31:14:

Als Antwort zu: Re: (Sonstiges) Wes Montgomery - eine der besten Jazz-Scheiben für nen 5er geschrieben von The stooge am Juni 11. 2008 um 17:52:59:

Hi Mathias,

,aber Joe Pass und Montgomery tust Du Unrecht, die beiden sind am wenigste die kopflastigen Skalengniedler, bei denen im Kopf immer die Rechenmaschine mitläuft. Montgomery ist sogar bei 'ernsthaften' Jazzfans verpönt, weil er 'Unterhaltungsmusik' gespielt hat.

Von Joe Pass gibt es Lehrbücher, die sind nicht unbedingt skalenlastig aber sie enthalten viele Licks und Lines, die sehr auf die Begleitharmonien bezogen sind. Bei Wikipedia wird das "chordal Improvisation" genannt. Ich weiß nicht mit Sicherheit, ob Joe Pass das bewußt so gemacht hat oder einfach nach Gehör gespielt und die Lines aufgeschrieben hat, aber da er nun mal so ein Lehrbuch geschrieben hat, dann tippe ich drauf, daß er durchaus ein Befürworter des akademischen Ansatzes (zumindest zum Erlernen) war.

"Jazzfans", die Wes Montgomery verpönen, rechne ich der Jazzpolizei zu: das sind die humorlosen Besserwisser, die jeden falschen Ton und jedes Outside-Sole mit Nasenrümpfen degoutieren, mit Brille, Rollkragenpullover und altmodischem Tweed-Jackett in den Clubs hocken und nach gestrengen akademischen Maßstäben zuhören. Igitt. Außerdem rauchen sie Pfeife. Nochmal Igitt.

Richtige Jazzfans wissen um den Wert und die Pionierleistung von Wes (Wes selber war sich dessen nicht bewußt, glaube ich). Die Plattenempfehlung zum Start dieses Threads bezog sich auf seine ganz frühe Schaffensphase - wenn nicht seine erste richtige LP überhaupt - in der er seine Alben bei/für Riverside Records einspielte. Die "Unterhaltungsmusik", die du erwähnst, kam erst einige Jahre später. Weitere Scheiben aus dieser frühen Phase sind z.B. "So much guitar" und, noch mehr zu empfehlen, "Full House".
Wes hatte ungefähr ein Dutzend Kinder, für die er sich alle als Ernährer verantworlich fühlte, deshalb hat er auch gearbeitet wie ein Besessener - bis er schließlich an einem Herzinfarkt viel zu früh starb - und ist von Riverside zu besser bezahlenden Labels gewechselt und mußte(?) dort eben kommerzielles Zeug spielen, weswegen einige heute die Nase über ihn rümpfen. Aber auch in diesen Fahrstuhljazz-Nummern finden sich Perlen, z.B. "Road Song", der auch Einzug ins Real Book fand.

Als echter Jazzfan weiß ich Wes sehr zu schätzen. Ich verbitte mir, mich zur Jazzpolizei zuzurechnen, denn:
- Ich trage keine schwarz umrandete Brille
- ich trage keine Tweed-Sakkos
- ich trage Rollkragenpullis nur bei Halsweh
(Beweisfoto: hier im AS-Who-is-Who)
- ich rauche keine Pfeife (und sonst auch nix)
- ich trinke mehr als zwei Bier
- ich habe Humor
- akademischer Jazz törnt mich ab
- ich liebe Jazz, der mit Eiern gespielt wird. Wenn keine Energie zwischen den Musikern rüberkommt, is das nix.

Mein Credo: "Jazz is, what you DON'T play" (Miles hat das glaube ich gesagt). Das heißt, es ist sch..egal ob Pentatonik oder mixolytisch oder oilisch. Wenn du mit deinem Solo eine Geschichte zu erzählen hast, dann ist es interessant zuzuhören. Sonst nicht. Alles andere ist unwichtig.

Obiges Credo gilt übrigens universell für alle Musiker. Bei Metallern und Philharmonikern z.B. muß man nur die Betonung ein wenig verschieben: "Jazz is, what YOU don't play" :-))


Groovigen Grooß
Kurt



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