Re: (Abmahnwahn) mp3 Links abgemahnt


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Beitrag von Friedlieb vom Juli 02. 2006 um 14:03:27:

Als Antwort zu: (Abmahnwahn) mp3 Links abgemahnt geschrieben von bO²gie am Juni 22. 2006 um 12:45:49:

Hi Sven,
hi *,

erstmal danke für den Hinweis. Es ist wichtig, zumindest einen groben Überblick über das die Online-Communities betreffende Abmahn(un)wesen zu haben.

Ich bin Deinem Link gefolgt, und den dortigen Links bin ich ebenfalls gefolgt, etc., und habe so mehrere Stunden damit verbracht, mir das Umfeld anzusehen. Seitdem gehen mir zu dem Thema ein paar Gedanken im Kopf rum, die ich jetzt endlich mal versuchen will, durch die Tastatur zu drücken.

An den Stammtischen von Klein-Bloggersdorf wird eine Menge Unsinn erzählt. Es sind aber auch Perlen der Weisheit darunter. Bei dieser Feststellung lege ich natürlich meinen ganz persönlichen Maßstab an, der keinerlei Anspruch erhebt außer dem, daß er eine subjektive Meinung darstellt. Wo ich weiter unten Aussagen zu rechtlichen Dingen wage, da tue ich das als interessierter Laie, und lade alle auf einer höheren Erkenntnisstufe Stehenden herzlich zu Korrekturen ein.


MP3 ist böse

Dateien mit der Endung mp3 gibt es erst seit gerade mal 11 Jahren. Technisch gesehen ist an MP3 vor allem interessant, daß Audiodaten auf nur 10% der Bruttodatenmenge eingedampft werden, ohne daß die Qualität des Klangs sehr leiden würde (daß es Leute gibt, die am Geräusch des wachsenden Grases die Sorte unterscheiden können, lassen wir mal außen vor, zumal eine solche Fähigkeit in aller Regel einem seriösen Blindtest nicht standhält).
Daß zeitnah zur Entwicklung von MP3 auch die technischen Möglichkeiten fürs Volk entstanden, selber digitale Kopien von optischen Datenträgern anzufertigen, hat den Trend zur digitalen kopierten Musik natürlich beschleunigt.

Aber MP3 ist zuallererst eine Technologie. Daß vielfach (insbesondere aus dem Dunstkreis der Rechteverwerter) die Gleichsetzung von MP3 mit illegalem Tun betrieben wird, ist politisch zwar nachvollziehbar, geht aber an der Wahrheit weit vorbei. Ein Werkzeug ist ein Werkzeug, neutral. Ein Stein kann benutzt werden, um Korn zu Mehl zu mahlen, oder um seinem Nachbarn den Schädel einzuschlagen. Der Stein ist aber erst einmal nur ein Stein. Für die Neutronenbombe fällt mir jetzt gerade kein passendes wohltätiges Beispiel ein, aber ihr habt mich verstanden: es kommt bei Technologie, bei Werkzeugen darauf an, was man damit macht.
Man kann Predigten in MP3 verpacken und zum freien Download anbieten, oder den sprichwörtlichen Shakira-Hit.

Vor dem Hintergrund der illegalen Verwendung geraten die nutzbringenden, legalen Möglichkeiten von MP3 gern aus dem Blickfeld. Die MP3s mit den Aussenjams sind GEMA-frei und werden "Public Domain" angeboten. Und es gibt eine wachsende Szene, die hochinteressante Musik kostenlos anbietet, ohne die Rechte von Verwertungsgesellschaften zu verletzen.

Das sollten wir bitte nicht vergessen.


Freedom for Links

Da war im Mai 1998 dieses Urteil des Landgerichts Hamburg mit dem Aktenzeichen 312 O 85/98. Es wird zwar millionenfach in Disclaimern herangezogen, wurde aber nie rechtskräftig (die Parteien haben sich außergerichtlich geeinigt). Wer mehr Details will, möge den Aufsatz von Daniel Rehbein lesen.

Und dann gibt es noch ein drei Jahre altes Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit von Deep Links. Dieses ist rechtskräftig und bringt wirklich eine gewisse Freiheit beim Verlinken.

Irgendwie denken aber jetzt viele, daß man überall hin verlinken darf, solange man sich nur ausreichend davon distanziert.
Dem ist aber nicht so.

Man muß sehr wohl den Charakter des verlinkten Objekts unterscheiden.

Ist das Linkziel legal, so darf ich dorthin verlinken, wie tief auch immer. Wenn es eine "tiefe, lange" URL gibt, die auf einen Artikel des Handelsblatts verweist, und mit Hilfe dieser URL der Artikel ohne die umgebende Werbung angezeigt wird, die ein Besucher sonst sehen würde, dann ist das laut BGH legal. Der Anbieter soll sich halt was einfallen lassen, um seine Werbung dennoch anzuzeigen.

Unter Wettbewerbern kann es problematisch sein, fremden Inhalt in eigenen Frames einzubetten, so daß der Eindruck entsteht, es handle sich um eigene Inhalte. Darum geht es mir aber jetzt nicht - ich rede nur vom Verlinken.

Ist das Linkziel illegal, so erbt der Link im Zweifelsfall diese Eigenschaft. Beispiel: jemand klaut ein Bild und stellt es irgendwo ins Netz. Wenn jemand dann das Bild in einem Forumsbeitrag hier darstellt, wird es im Kontext der Aussensaiter sichtbar, und es ist dabei letztlich unerheblich, ob es bei uns gespeichert ist oder woanders.

Bei MP3s ist es ähnlich: ein Link auf ein raubkopiertes MP3-File ermöglicht den Download. Der Verlinker wird zum "Mitstörer", weil er zum Rechtsbruch beiträgt. Die auf den Straßen von Klein-Bloggersdorf häufig zu hörende Aussage "er hat doch nur verlinkt, und selbst keine Files gehostet" klingt zwar nett, ist aber inhaltlich falsch, da ohne Belang. Entscheidend ist in diesem Fall die Frage, ob der illegale Inhalt über einen Link erreicht werden kann.

Genaugenommen ist es sogar noch schlimmer: jemand kann auf seinem Webserver Tausende illegaler Files lagern, ohne jemals dafür belangt zu werden - wenn es nämlich keinen Link dorthin gibt, sind die Files nicht erreichbar. Die illegale Nutzung der Files wird durch den Link überhaupt erst möglich.


Geistiger Diebstahl

Warum aber geht vielen Menschen das Kopieren und Verlinken raubkopierter Musik so leicht von der Hand? Das würde mich mal ernsthaft interessieren - wieso gilt der Diebstahl geistigen Eigentums vielfach als Kavaliersdelikt? Das hört ja bei MP3s nicht auf. Mit Software ist es ähnlich.

Liegt es an der fehlenden "Dinglichkeit" geistigen Eigentums, daß jemand Software im Wert von 1000 Euro bedenkenlos raubkopiert, seine Brötchen aber jedesmal brav bezahlt? Nur weil man MP3s nicht "anfassen" kann?
Hat Nietzsche Recht, wenn er sagt "Tugend ist Mangel an Gelegenheit"? Weil man beim Klauen von Brötchen sehr sehr viel leichter erwischt werden kann als beim Anlegen einer "Sicherheitskopie" der neuesten Office Suite?
Ist es, weil der Bäcker ja auch irgendwie leben muß und Bill Gates eh schon der reichste Mensch der Welt ist? Und was ist mit den vielen kleinen Softwarehäusern, die deutlich weniger Umsatz machen als so manche Großbäckerei? Was ist mit all den Bands jenseits der Shakira-Liga? Das sind doch Menschen wie Du und ich, und warum betrügt man die einfach so um die Früchte ihrer Arbeit?

Jeder, der das hier liest, möge mir den Gefallen tun, jetzt mal eine Minute über seine persönliche Einstellung zu diesen Fragen nachzudenken.

Eine Minute, bitte.
...
Bei mir läuft solang Elvis Costello.

Gibt es vielleicht da auch eine Mentalität, daß bestimmte Dinge nichts kosten sollen? Warum liest man (auch hier) so oft Fragen nach einer Software, die irgendwas können soll, aber nichts kosten darf? Warum wollen die Leute etwas nutzen - also einen Nutzen davon haben - ohne aber bezahlen zu wollen?

Nicht falsch verstehen: ich kenne gerade was Software betrifft beide Seiten der Theke. Ich habe meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben und Verkaufen von Software bestritten und tue es jetzt auch noch zum Teil. Ich setze auch gern OpenSource-Software ein, für die ich keine Lizenzkosten bezahlen muß. Ich habe auch schon OpenSource-Software geschrieben und so einen Beitrag geleistet. Trotzdem ist mir natürlich kostenlose Software lieber, ist doch klar.
Was ich aber komisch finde, ist diese Totalverweigerung: entweder es muß freie Software sein, und wenns die nicht gibt, dann eben eine raubkopierte Version einer Bezahlsoftware. Legal Kaufen kommt für einige Leute überhaupt nicht in Frage, und das finde ich seltsam. Denn für Hardware, für PCs, Webcams und CD-Brenner ist Geld da...

Wieder zurück zu MP3. Ich will auch hier nicht mißverstanden werden: ich bin leidenschaftlicher Nutzer von MP3. Seit ich meinen alten Cassettenrecorder im Auto durch einen Player ersetzt habe, der auch MP3-CDs abspielen kann, erst recht. Im Auto liegen ein paar selbstgebrannte CDs, die jeweils 10 "normale" CDs enthalten. Originale hab ich nicht im Auto. Die stehen schön im Plattenregal. Das Selbstbrennen von MP3-CDs ist ja eine völlig legale Privatkopie. Und daß man sich unter Freunden gelegentlich irgendwelche MP3s zumailt, ist imho auch okay - früher hat man sich Cassetten zugeschickt. :-)

Ich prangere nur die "Kostenlos"-Mentalität an.

Und jeder, der massenhaft MP3s zum illegalen Download bereitstellt, oder durch Verlinken zur Verbreitung beiträgt, sollte sich darüber klar werden, daß dies eben nicht in Ordnung ist und heutzutage eben auch problematisch werden kann.


Die Musikindustrie

Ja, die macht ganz viel falsch. Sag ich mal so als einer, der keine Ahnung davon hat. Ein paar Fehler hat sie ja schon erkannt. Meine Buchempfehlung dazu ist "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie" von Tim Renner, der als ehemaliger Chef von Universal Deutschland das Thema wirklich von innen kennt.

Daß die GEMA dringend reformbedürftig ist, ist vermutlich auch keine Einzelmeinung.

Da sind in den nächsten Jahren sehr interessante Umbrüche zu erwarten - wir sind ja eigentlich schon mittendrin -, und ich habe manchmal den Eindruck, daß das Agieren einiger Rechteverwerter was Abmahnungen etc. betrifft ein bißchen was von den blindwütigen Aktionen eines schwer angeschossenen Raubtiers hat.

Mehr will ich dazu jetzt gar nicht schreiben, das können sicher andere besser.

Uff, in Rage geschrieben. Aber es ist glaub ich rübergekommen, was mir am Herzen lag. Sonst eben nachfragen. Oder so.


Keep rockin'
Friedlieb


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