Re: (Philosophie) musikalische LeichenfleddereiBeitrag von Harvey vom September 23. 2000 um 10:23:35: Als Antwort zu: Re: (Philosophie) musikalische Leichenfledderei geschrieben von The stooge am September 22. 2000 um 21:39:10: Du sprichst mir aus der Seele, danke daß Du das ansprichst - und Pat Metheny auch. Es geht ja nicht nur darum, daß er sich in dem Artikel subjektiv "auskotzt" oder arrogante Kollegenkritik betreibt, wie hier gepostet wurde, mitnichten, das sind nur Formalia, inhaltlich geht es um ein viel weitreichenderes Problem. Kotzen tut man ja meist (von Bulimie abgesehen,), wenn man etwas Unverdauliches loswerden will, körperlich wie seelisch bezogen. Es geht aber nicht darum, sich darüber zu amüsieren, wie jemand seine Aggressionen als Kolegenschelte loswird, ihm geht es ja um etwas viel Wesentlicheres. Die Auslassungen über Kenny G.´s mangelnde Fähigkeiten als Jazzmusiker kann man teilen oder nicht, die mögen aus der Sicht eines Hi-Class-Jazzers gerechtfertigt sein, für mich wäre das allein kein Argument, einen Musiker zu beurteilen. Er regt sich in der Hauptsache darüber auf, daß solche kranken Gestalten wie Kenny G,. Natalie Cole oder Larry Coryell sich darüber profilieren wollen, daß sie das künstlerische Erbe eines Verstorbenen mißbrauchen, indem sie Aufnahmen von "Duetten mit einer Leiche" herausbringen, die zu Lebzeiten des Künstlers u.U. nie zustande gekommen wären, wenn dieser noch die Möglichkeit gehabt hätte, selbst zu entscheiden, ob er dies will oder nicht. Und die Nachlaßverwalter lassen so etwas offensichtlich auch zu, um Geld zu verdienen, offenbar ohne jede Sensibilität und Achtung vor dem Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen. Bekannt wurde damit wohl als erste Natalie Cole, die per Trickmontage ein Video herstellen ließ, in dem sie als erwachsene Frau mit ihrem verstorbenen Vater ein Liebesduett singt - das gab ihrer Karriere offenbar einen ungeheuren Popularitätsschub. Der Frau bescheinige ich ein inzestuöses, ungelöstes Verhältnis zu ihrem Vater, das sie als öffentliche Neurose publik macht, und alle, die das nicht durchschauen oder das selbe Problem in sich tragen, klatschen dazu und sind gerührt. Jungen wie Mädchen kommen im Alter zwischen 4 und 7 Jahren in ihre Ödipale Phase (in der freudschen Nomenklatur, kann man aber benennen wie man will, es geht nur um das Prinzipo des Vorgangs), wo der gegengeschlechtliche Elternteil als erstes "Liebesobjekt" wahrgenommen wird, d.h. die Mädels schwärmen ihren Vater an, die Jungen ihre Mutter, hormonell begleitet von den entsprechenden im weitesten Sinne erotischen und prä-sexuellen (nicht genitalen, sonst wird es zum Inzest) Gefühlen. Das ist normal und völlig natürlich. Und da ist bei Miß Cole offenbar etwas schiefgegangen, da ist sie steckengeblieben - als ewige Prinzessin, die den Platz der Königin einnehmen wollte, wird sie dann jeden Mann mit ihrem Vater vergleichen und entsprechend abwehren, weil sie ja unbewußt-verflochten mit Papi verheiratet ist. Und es ist nicht nur das Vaterproblem, was in dem Video zum Ausdruck kommt, sie wird auch nicht mit dem Problem des Sterbens fertig, sie ist nicht mit ihrer eigenen Vergänglichkeit ausgesöhnt, sie akzeptiert das Sterben nicht und muß daher sich von fremdem Leben ernähren (ist heute weit verbreitet, aber zivilisatorisch gut verdeckt). Wenn Kenny G. Duette mit Louis Armstrong herausbringt, ist dies vor allem das Problem, daß hier ein eher Unschöpferischer den Schöpferischen ungefragt benutzt, um sich selbst dabei in seiner Armseligkeit und Identitätslosigkeit zu profilieren. Das ist etwas völlig anderes, als wenn man zu Hause zur CD jammt - das ist in der Tat nicht nur musikalische Grabplünderung, sondern eine zutiefst menschliche Leichenfledderei. Man muß ungeheur empfindungslos sei, um so etwas tun zu können, und man muß es sogar sein, sonst könnte man die persönlichen Grenzen eines anderen Menschen nicht in dem Maße verletzen und von ihm leben. Es sind immer die Unschöpferischen und Unfähigen, die Identitätslosen, die nicht aus sich selbst leben wollen, ihre eigenen persönlichen Fähigkeiten nicht entwickeln, ihre Grenzen nicht annehmen wollen - ihnen fehlt mit der Grenze das Maß, also werden sie maß-los, in jedem Sinne an-maßend und übertreten die Grenzen anderer, d.h. sie ernähren sich von fremden Leben, fremder Identität, fühlen sioch sogar wie selbstverständlich dazu berechtigt - Vampirismus ist das. Möglich wird dies erst seit der Entwicklung der Reproduktionstechniken. Ein Tier hat keine Sprache, zumindest keine so differenzierte wie der Mensch, ist damit der jeweiligen Gegenwart seines Erlebens ausgeliefert. Der Mensch kann sich über sein mentales Bewußtsein aus der Gegenwartsverfangenheit lösen - also über Vergangenheit und Zukunft nach- bzw. vor-denken, sich etwas vor-stellen, projizieren. Über die Sprache bringe ich diese inneren Bilder nach außen, d.h. ich kann etwas Nicht-Gegenwärtiges im Sprechen wieder in die Gegenwart holen. Vor Erfindung der Schrift war nun das Erleben der Sprache immer an Ort unmd Zeit gebunden - man mußte zum leibhaftig Sprechenden gehen, um ihn zu hören, z.B. zum Märchenerzähler, daher die mündliche Tradierungen. Durch die Schrift wird das Wort nun von Ort und Zeit unabhängiger - ich kann etwas lesen, wann und wo ich will, unabhängig davon, wann es zuerst gedacht wurde. Vor zwei Jahrhunderten war das Musikhören immer ein einmaliges, an Ort und Zeit gebundenes Erlebnis, an den lebenden Spieler gebunden - die flüchtigste aller Kunstformen, die am wenigsten Realität erfordert - eine Melodie erklingt und ist bereits vergangen ... Durch die Ton-"Konserven" wird dieses Erlebnis reproduzierbar. Gleiches gilt für Bilder, stehende oder bewegte - man hat sie nicht nur als inneres Bild in der Erinnerung, sie existieren als physisches Abbild, reale Entsprechung einer nicht-realen Wirklichkeit. Diese Mechanismen erlauben es dann mittlerweile, optische und akustische "Gebilde" zu erschaffen, über die sich die Begrenztheiten von Raum und Zeit überwinden lassen - scheinbar. Das ist dann eine ungeheure Spielwiese für die, die ihre eigene Sterblichkeit nicht annehmen wollen, und darum geht es letztendlich. Das mag noch vergleichsweise lustig aussehen, wenn Otto Waalkes in alten Edgar-Wallace-Filmen "mitspielt", als sei er dabeigewesen - mich schaudert eher bei dem Anblick (ich hätte aber keine Angst, Totenwache bei einem tatsächlich Verstorbenen zu halten). In der Pop-Musik gab es übrigens schon früher versuche, das Vermächthis Verstorbener für die eigene Miesigkeit zu mißbrauchen - da gab es dubiose Hendrix-Aufnahmen, wo zu den Soli eine neue Begleitung eingespielt wurde, die real so nie stattgefunden hat. Dr. Frankenstein läßt grüßen. Und über die verbreiteten Sampler-Orgien brauchen wir nicht reden oder gerade doch - ich kriege auch schnell das Kotzen, wenn ich Bachs Air auf der G-Seite in einer Rap-Fassung höre, lediglich unterbrochen von irgend einem Analphabeten-Gestammel.
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