Etymologisches zu Pop und Rock und ein bißchen Nostalgie ...


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Beitrag von Harvey vom September 19. 2000 um 14:23:48:

Als Antwort zu: Re: Trauert mit mir um ... geschrieben von Rainer am September 19. 2000 um 13:05:11:

Was Pop, was Rock ist - alles Definitionssache.

"Pop" kommt von populär, das wiederum von populus (also dem Volk - lat.) - demnach ist populäre Musik solche, die mehr oder weniger den Beifall des Volkes findet, allgemein verbreitet und beliebt ist, also im eigentlichen Sinne volkstümlich (In Deutschland bildet Volksmusik wiederum ein Teil der populären Musik). Pop ist aber dann nicht auf irgendeine Stilrichtung begrenzt, also eher eine quantitative als qualitative Bezeichnung.

Rocking and Rolling dagegen (Schaukeln und Rollen) hat ja im Englischen eine ganz deutliche sexuelle Assoziation, in den Fifties war das ja auch eine obszöne Musik (siehe Elvis the Pelvis´ - kreisende Hüfte). Wie kann man den Bürger mehr reizen als durch das Zurschaustellen seiner Verdrängungen.

Und in den End-Sechzigern entstand daraus eben die Rock-Musik - laut, hart, wild, subversiv, obszön, experimentell - dafür gab es auch keine Lehrbücher, Jam-Tracks, Volkshochschulkurse und all das, noch keine verzeichneten Landkarten ohne weiße Flecken. Es gab zunächst mal bei vielen nur den ungeheuren Drang, sich auszudrücken, was loszuwerden, und dafür nach Formen zu suchen bzw. solche zu ent-wickeln, die noch nicht existierten.

Und wie es ja meist so ist - zuerst kommt etwas Neues in die Welt, noch unstrukturiert, wild und frei, dann etabliert es sich, es entstehen feste Strukturen, was vorher noch im Fluß war, wird statisch und verwaltbar, es wird kopiert und reproduziert. Rock wurde auch zum Pop, verlor damit das Anarchistische, wurde eher konzertant.

In den End-Sechzigern bis in die Mitte der Siebziger gab es ja entsprechend auch kein Lehrmaterial, um etwa "Rockgitarrist" zu werden (abgesehen von den Grifftabellen von Franz Harz, oder wie der hieß ...), das ging alles nur autodidaktisch, durch Hören, Nachahmen, Weiterentwickeln, Experimentieren. Da gab´s auch noch richtige "Geheimnisse" (als ich 1977 Alan Holdsworth mit Soft Machine hörte, da hatte ich keinen blassen Schimmer, wie der das machte.. unglaublich).

Heute dagegen findest Du im Prinzip Noten zu allen Gitarrengöttern, in denen aber auch jedes Saitenquietschen aus einer Live-CD ausnotiert ist, sei es noch so zufällig - so, als sei überhaupt schon alles gesagt, als ginge es nur noch darum, Vorhandenes originell anzuordnen und zu kombinieren. Das heißt, die Formen liegen schon bereit, und wer sich ausdrücken will, tut das, indem er sich dieser vorhandenen Ausdrucksmittel bedient - im Anfang war das genau umgekehrt, zuerst kam das Leben, dann die Form.

Was ich mit dem "Sterben des Rock" meinte, ist nur, daß damals dieser aggressive, anarchistische Impuls langsam verschwand, parallel auch einige Utopien einer anderen, "besseren" Welt. Daß es danach auch immer mal wieder wilde, unangepaßte Gestalten gab, ist schon klar.

Der Rock ist auch nicht wirklich tot - er ist wie bei jeder Welle nur mal oben und dann wieder in der Versenkung.





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