Sorry, Matthias!


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Beitrag von Clem vom September 08. 2000 um 23:33:16:

Als Antwort zu: (Meinung) Wie mir Slash den Jazz beibrachte (nicht nur für Jazzer) geschrieben von Matthias am September 08. 2000 um 13:10:11:

Aber ich muss Dir vorhalten, dass Du Dich vorhandener Cliches bedienst und sie leider untermauerst.

Tut mir leid, wenn das jetzt haerter klingt, als es eigentlich gemeint ist. Aber Du kannst nicht alle Jazzer ueber einen Kamm schaeren, was ich Dir auch nicht zutrauen wuerde - aber ich finde so kommt das rueber.

Ich finde - um mein Contra zu verstaerken - dass man auch niemanden belaecheln kann, nur weil er in Skalen denkt oder so.

Eine Skala hat ja ein gewisses Timbre. Quasi eine Farbe. Uebertragen auf die Kunst, kann ich nun die Farbe neben vielen anderen Farben gleichwertig einsetzen, sie mischen und zur Gestaltung fotografisch detailgetreuer Darstellungen verwenden - oder ich nehme den verdammten Eimer mit der blauen Farbe, kippe ihn an die Wand und nenne das Bild aus Provokation Gruen!

Ich muss gestehen, dass mir ein Bild, dass einfach nur blau ist, gefallen wuerde. Natuerlich ist der Aufwand nicht mit dem eines komplexeren Gemaeldes vergleichbar. Auch inhaltlich sieht's da eher mager aus. Aber mir gefaellt's!

Wenn nun also jemand eine Skala "abdrueckt", dann schmiert er quasi in das entstehende Gemaelde aus Musik, irgendwohin einen Klacks blau oder rot oder auch einen Mix daraus. Er faerbt das Bild.

Wichtig dabei ist aber, dass er das Bild in "seinem" Sinne faerbt. Klingt es gut - ist es geil - und ich will nichts weiter darueber wissen - noch nicht einmal, ob er ueberhaupt jemals soviel Talent besessen hat, das "Haus vom Nikolaus" zu zeichnen.

Ich will damit sagen - ich kann, will und darf IMHO niemandem vorschreiben, aus welchen Motiven heraus er Musik macht und wie er sie zu machen hat.

Es gibt nicht den einen Weg - viele fuehren nach Rom. (Und richtig interessant wird's eigentlich erst, wenn man ganz woanders hin will!)

Das Interessante an den meisten Jazzern, die ich kenne, ist, dass sie das komplexe Zeug, dass sie spielen, tatsaechlich leben. Fuehlen. Meinetwegen auch singen koennen.

Natuerlich stimme ich Dir zu, dass es grossartig ist, "wie Slash" vorher zu wissen, was man spielt - aber ist das nicht selbstverstaendlich?!

Sperren sie mich nicht in die Klappse, wenn ich beim Busfahrer drei mal Pommes rot weiss bestelle und beim wiederholten Nachfragen seinerseits, mit "Die naechste Tagesschau sehen sie um 20 Uhr 15" kontere?!

Licks also, die ich ohne Wissen um ihre Wirkung einsaetze, sind ein Lottospiel mit schlechten Gewinn-Chancen. Dennoch muss ich sie gebrauchen, um mich zu entwickeln.

Am Ende ist einfach nur wichtig, dass ich um die Wirkung meiner Zuege weiss (das merk ich immer beim Schach ... ich bin da echt schlecht ... und spiel meistens drauf los. Nach ca. 10 Zuegen bin ich meistens matt!).

Ob die Zuege nun aber Melodien, Rhythmen, Skalen oder sogar eher noch eine Kombination aus ihnen sind, liegt doch in der Hand des Erfinders.

Gruesse, Clem

PS.: Ich versteh Dich und habe das auch alles selbst durchgemacht. Mit einem meiner Lehrer, einem noch relativ jungen Saxofonisten, war ich mal im Quasimodo - einem Jazz-Club in Berlin.

Dort fand eine Session statt. Ich mockierte mich ueber den "skalen-fietschelnden" Gitarristen auf der Buehne und meinte, dass der IMHO keinen Ton habe und mir sowieso Leute besser gefielen, die mit wenigen Toenen mehr ausdrueckten.

Da meinte der Saxer, dass er das voll und ganz nachvollziehen koenne, was der (uebrigens sehr junge) Gitarrero auf der Buehne abzog und, dass dieser zwar vielleicht nicht wisse, dass er gerade eine Major-7 spiele, dass er aber wisse, dass er diesen Ton (der gerade erklang) genau an dieser Stelle spielen wollte, weil er passte.

Witzigerweise habe ich es ueberprueft und es war tatsaechlich die Major-7 des erklingenden Akkordes. Auf einmal war mir auch egal, ob der Typ da Noten lesen konnte, was er vielleicht von BB King hielt und welch mathematischen Formeln da wohl im Kopfe meines Lehrers abzulaufen vermochten.

Ich begann einfach zuzuhoeren - auch wenn das, was ich da hoerte nicht meinen Geschmack traf - und musste zugeben, dass ich das nicht haette fabrizieren koennen und das mein musikalisches Universum gerade wieder um ein paar Milchstrassen bereichert worden war.




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