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...ist viel zu lesen, lohnt aber

WER WEINT KRIEGT SEIN GELD ZURÜCK (20.09.2004)

NRZ Sa. 18.09.04

In Gedenken an Günni "Container" Semmler!
von Stefan Stoppok

"Ich möcht´ ein Container sein,
von Rhein und Ruhr und ist der
Container voll so werd´ ich
rattendoll, jawoll"

Wer diesen Vers nicht wenigstens 100 mal gehört hat, ist entweder kein Essener oder gehört nicht zu den professionellen Kneipengängern oder, und das ist die schlimmste Variante, hat als Essener Kneipengänger immer die falschen Kneipen gewählt. Denn die Kneipen, in denen die letzten 30 Jahre das Nachtleben pulsierte, wurden seit genau so langer Zeit von Günni und seinem Container Song heimgesucht. Man kann sagen, ein echter Kneipenhit. Im Gegensatz zu den Hits aus der Konserve, die man irgendwann mal leid wird, wurde dieser Hit von Günni jeden Abend neu interpretiert, bzw. neu erfunden. Er war quasi der letzte Essener Bänkelsänger oder auch das erste Essener Lokalradio. Aktuelle Tagesthemen wurden direkt am Abend in Verse gekleidet und unters Volk gebracht, wobei der Bezug zum Radio gar nicht so schlecht ist, weil in beiden Fällen die Zuhörerschaft ab einem gewissen Punkt unter Konzentrationsschwäche litt/leidet, im Fall Günni Semmler auf Grund der späten Stunde und des Alkoholpegels, im Falle des Radios auf Grund der musikalischen Standardberieselung. ....da schließt sich der eckige Kreis! Sounddesign, Kneipendesign, Gesinnungsdesign, das war definitiv nicht Günni´s Welt.
Ein Eigenbrödler, aber kein Einsiedler. Er suchte den Kontakt, und auch wenn er meist nicht wie ein Sozialarbeiter auftrat, hatte er durchaus eine soziale Ader. So widersprüchlich wie fast alles in Günni´s 73 jährigen Leben. Die eine Seite, für mich die rührigste, wo er z.B. jahrelang einen Kumpel mit Wohnsitz Hauptbahnhof Südausgang bei sich auf seiner 70 cm Matratze in seinem 15 qm Appartement schlafen ließ, die andere Seite, die finanzielle Versorgung der örtlichen Spielautomatenaufsteller, denen er nach getaner Arbeit seine ganze Kohle in den Rachen bzw. Automaten schmiss.

"Wo früher eine Zeche stand, steh´n heute Automaten, aber wer keine Kohle hat der kann auch nicht am Automaten. Aber ab und zu gewinn´ ich auch rein, aber meist gewinnt der Automat, is klar..." (aus dem Lied "Der Zechenschlager" von Günni´s CD "Wer weint kriegt sein Geld zurück")

Mich faszinierte in erster Linie die ganz eigene Erfolgsdefinition von Günni, nämlich: Wer nach 15 Jahren Platte machen wieder ein eigenes Dach über dem Kopf hat, ist definitiv ein Star! Yeah! Wer es dann noch schafft, seine kreative künstlerische Seite in Form von Musik und Malerei auszuleben und unter die Leute zu bringen, ist definitiv ein Superstar! Das war Günni!
Wie jeder weiß, können Superstars auch super nerven, was Günni je nach Gemütszustand auch ordentlich tat, was aber in seinem Fall trotzdem unterhaltsamer war als die Zeitungsberichte über Michael Jackson, weil: Günni war nicht abstrakt, nicht virtuell, Günni war unter uns!
Es war immer amüsant mit anzusehen, wenn er zu später Stunde irgendwelche Leute zusülzte, die nicht in der Lage waren, auf soviel direktes Leben zu reagieren und die ziemlich hilflos versuchten, eine gute Figur dabei zu machen.

Ein Heiermann für den Maikäfer! Das war Günni´s Eingewöhnungsphase nach der Obdachlosigkeit, wenn man sich versucht darein zu denken, sehr verständlich. Der Maikäfer war, wenn Günni sich auf den Boden legte, die Füße nach oben, und dabei den Containersong spielte. Oft ging sogar dieses "sich zum Affen machen" noch 1:0 für Günni aus und stellte die Leute bloß, die Ihre angebliche Überlegenheit ausspielten.
Nach den ersten Auftritten vor tausenden von Menschen, auf den großen Bühnen des Ruhrgebiets, gehörte auch das der Vergangenheit an. Günni genoss seinen späten Ruhm. Er kokettierte mit seinem Asistyle. "Mädchen, bleib so wie ich bin" war einer seiner vielen bewussten und unbewussten Verdreher. Mein liebster: in einem Fernsehinterview sagte er auf die Frage nach seinen Kneipenkonzerten: "Dafür braucht man schon `ne Menge Fingerfitzengespül".

Mit knapp 60 Jahren saß Günni das erste Mal im Flugzeug, wir hatten ihn nach Berlin ins Studio eingeladen. Als wir Ihn abholten, kam er uns fein angezogen mit Zylinder, original Samsonite Aktenkoffer, natürlich vom Sperrmüll, und einer Zeitung unter dem Arm, die er sich extra vorher gekauft hatte, entgegen. Auf 10 Meter Entfernung begrüßte er uns lautstark mit den Worten: "Ich Idiot, hätte ich gewusst, dass es im Flieger die Zeitungen umsonst gibt, hätte ich mir die Mark sparen können".
So verdutzte Stewardessen habe ich seit dem nicht mehr gesehen. (Heute wäre er verwirrt, das man nun doch seine Zeitung selber mitbringen muss.)

" Ob reich ob arm, ob Silber oder Gold, meine Herren macht doch wat Ihr wollt.
Dat ganze Leben is beschissen rein, wie´ne Hühnerleiter.
Ma bisse unten ma bisse oben. Ma bisse auf´m Pferd, bisse Reiter.
Der eine hat den Beutel, der Andere hat dat Geld. So sieht et aus in unsre Welt."
(aus dem Lied "Arm und Reich")

Seine Jahre auf der Straße und die Einsicht über das Unvermögen, seine private familiäre Situation in den Griff zu kriegen, hatten ihn körperlich ziemlich gezeichnet. Zum Glück war er sozial eingebunden und hatte viele Leute um sich rum, die sich immer wieder um in kümmerten. Trotzdem ging es ihm am Ende wie vielen alten Menschen, es wäre kein Weg mehr an einer Heimeinweisung vorbei gegangen. Entgegen seiner ersten Einwilligung weigerte er sich dann doch mit dem Kommentar: "Ich geh` nur mit den Füssen zuerst aus meiner Wohnung." Sein letzter Erfolg!
Damit lag der Eigenbrödler ganz im Trend seiner Altersklasse. Auch wenn es vielleicht nicht hier hingehört, aber es ist doch sehr befremdend, dass unser Sozialsystem es nicht wirklich schafft, alten Leuten, sofern sie nicht Geld wie Heu haben, einen würdigen Lebensabend zu bescheren.

Mit Günni Semmler hat Essen eines seiner letzten Originale verloren. Einen Vermittler zwischen neuer und alter Welt, der es jahrelang geschafft hat, immer wieder die Kneipenberieselung zu unterbrechen und für echte Stimmung zu sorgen und somit vielen Menschen die Besonderheit der Spezies "Essener" bewusst gemacht hat.

"Wir lassen den Dom in Essen, wat soll er auch in Köln am Rhinn
dat Ding´ is´ so schwer wegzutragen, da hab´ ich mir lieber gedacht
bau dir selber an ´ne Sternbrauerei ein´ hin.
Wir lassen den Dom in Essen, wat soll er auch anderswo.
Ob Kölschbier, Altbier, Düsseldorf am Rhein, unser Bier schmeckt auch
und schöne Mädchen zum knutschen gibt´s auch hier rein."

Ein Benefizkonzert in der Ampütte um Geld für die Beerdigung zu sammeln ist am Montag 20.9. um 20.00 Uhr.
Die Beerdigung ist am Dienstag 21.9. um 13.oo Uhr auf dem Parkfriedhof in Essen.

Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

:
: In Gedenken an Günni "Container" Semmler!


Moin,

ja, wie in der WAZ zu lesen war, ist es ja wenigstens gelungen, dem Günni eine "Armenbestattung" zu ersparen.

So wird's vielleicht auch manch anderem mal ergehen, der irgendwann mal "ausstieg", um einen neuen Weg zu finden.
"Der Weg ist das Ziel!" - Doch der Weg führt selten zurück.
Nicht weil man es nicht selbst wollte, sondern weil die Gesellschaft es nicht toleriert, wenn man einmal den "tugendhaften" Pfad verlassen hat!
Du kannst vorher noch so "honorig" gewesen sein ...
... Du kannst Dich abstrampeln, wie Du willst!

Schön, wenn es ein paar Freunde gibt, die sich erinnern.

Gast W.







Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

erinnet mich an die Geschichte von Blaze Foley in Austin. Auch jemand, der hauptsächlich obdachlos war, sich sogar für seine Gigs eine Gitarre leihen musste und genauso streitbar wie grossherzig gewesen sein muss. Einige haben Songs über ihn geschrieben wie Lucinda Williams (Drunken Angel) oder Townes van Zandt (Blaze's Blues), Merle Haggard hat sogar einen Song von ihm gecovert (If I only could fly), leider zu spät.

Pat MacDonald, der ja auch auf ulfTone ist, hat mir viel über ihn erzählt, Blaze hat wohl auch oft bei ihm gepennt. Es gibt eine CD von ihm, "Live at the Austin Outhouse", die jedem, der Townes mag, Tränen in die Augen treiben wird (mir z.B.) Falze Foley wurde bei einem überfall auf einen seiner älteren Freunde erschossen. Er hatte versucht, ihm zu helfen, als irgendein Arsch im seinen Sozialhilfe-Scheck klauen wollte.

MAddin

Ach ja, Hallo Gast. Wäre nett, wenn Du sagst, wer Du bist und Dich vorstellst. Wie Du vielleicht gemerkt hat, ist das ein ziemlich persönliches Forum und ich finde es nicht, einfach anonym reinzuschneiden und wieder zu verschwinden.

Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

:
: Ach ja, Hallo Gast. Wäre nett, wenn Du sagst, wer Du bist und Dich vorstellst. Wie Du vielleicht gemerkt hat, ist das ein ziemlich persönliches Forum und ich finde es nicht, einfach anonym reinzuschneiden und wieder zu verschwinden.


hallö martin,

der ist nicht wrklich anonym. das ist w. aus h.h wie hattbergen.
das mit "drunken angel" ist mir neu. obwohl lucinda zu meinen lieblingsmusikanten gehört.
hab ich schon erzählt, dass ich mit nick lowe am tresen stand, bier trank und es nicht mekte? (alaso, dass er es war)
yep. was gibts neues auf ulftone?
pat mcdonald find ich auch ganz gut, vor allem seit er erzählte, dass stromgitarren nur mit entsprechendem verzerrer rock´n´rollig klingen. akustikgitarren indes schon im ansatz r´n´r haben.

et gast, ich ruf dich mal die tage an. oder du mich, wennze dich traus.

groetjes

andreas



Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

Ich kannte ihn zwar nicht, aber da mir diese Geschichte
irgendwie vertraut vorkommt ... ich hoffe, ihr feiert
ihn und gedenkt seiner, wie es ihm gebührt!

Kennt einer der Berliner Aussis John Love Noa alias
Manfred Brück vielleicht? Er war eine Zeit, vor ca. 18
Jahren im Rhein-Sieg-Kreis, lebte auch mehr schlecht
als recht, veröffentlichte Bücher, organisierte Konzerte
und verschwand dann wieder, angeblich nach Berlin ...

LG
Doc


Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

Hallo Doc,

nee, sagt mir nix. Bin im Rhein-Sieg-Kreis aufgewachsen (Niederkassel, oder kurz: verficktes Dreckskaff), einer dieses Namens ist mir allerdings weder da noch hier begegnet (was natürlich nix heisst). Aber das Ash Ra Temple da her kommen, wäre mir ebenfalls neu. Hört sich aber sehr interessant an.

Andreas, die Geschichte über Lucinda und den Song hat sie mal in einem Interview erzählt. Nick Lowe würde ich auch nicht an einem Tresen erkennen. Immerhin war er mal der Schwiegersohn von Johnny Cash... ;)

Maddin

Re: Benefizkonzertbericht (war: ...ist viel zu lesen)

Danke Andreas.

Ich war gestern abend auf diesem Benefiz-Konzert und kann, da der Kater jetzt langsam zum Kätzchen wird, noch ein wenig berichten.
Die vom Sozialamt vorgesehene anonyme Bestattung bleibt Günni erspart. Die "Trinker der Stadt" wie Sänger Hubert Dingenskirchen das Publikum im der gerammelt vollen Ampütte gestern rauh, aber nah an der Wahrheit begrüßte, haben durch Eintrittsgelder und Spenden über 4.500 Euronen für eine Grabstätte und einen Stein zusammen bekommen.

Neben Herrn Dingenskirchen, der u.a. eine gelungene Version von "Hurt" in der Cash Version darbrachte, gab Der Vorstand Kneipenmusik und Fussballfankurven-nahe Gesänge zum Besten. So wurde aus Guantanamera "Quanten im Meer" und selbst ein Schürzenjäger-Titel wurde in "Gelsenkirchen-Buer" umgetextet. Klar, das noch einige Kommentare zu diesem merkwürdigen blauweißen Fußballverein in Essens Nachbarstadt folgten.

Dann kam Stoppok und spielte seine "ollen Kamellen" wie er selbst sagte: "Dumpfbacke", ein absolut zielgruppenkompatibles "Zwischen Twen Tours und Seniorenpass" "Gerd und Willi" undsoweiter, bis ihm die A-Saite riss und er mit fünf Saiten und "Kühlschrank" seinen Auftritt beendete.

Dann kam ein ordentliches Jazz Trio (Sax,dr,b), danach "Knocking On Heavens Door" und um Mitternacht war das Konzert vorbei. Es soll dann noch im Bannof Süd weitergefeiert worden sein, das hab ich mir erspart.

Es war schön zu sehen, wie viele Menschen Günni, der wirklich auch eine echte Nervensäge sein konnte, bewegt hat. Er hat kein leichtes Leben gehabt; der gestrige Abend allerdings hätte ihm sicher gut gefallen.

Tschüsskes Günni,

sacht Juergen

Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

Moin Maddin -

: erinnet mich an die Geschichte von Blaze Foley in Austin. Auch jemand, der hauptsächlich obdachlos war, sich sogar für seine Gigs eine Gitarre leihen musste und genauso streitbar wie grossherzig gewesen sein muss....

großartige Momente muß er auch ohne Gitarre gehabt haben. Auf Townes Van Zandt Website gibt es ein wunderschönes Video von TVZ und Blaze Foley zu sehen. Bei mir hat's Gänsehaut pur ausgelöst. Hier klicken und dann das Video zu "Snowing on Raton" anschauen/hören.

slide on ...
bO²gie

Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

Hier ist was über Manfred Brück:
http://www.agitation-free.de/musiciansd.html

Als einziger Kommentar steht das hier auf der website:

"Kam 1967 nach Berlin. Gab eine Gastrolle bei uns und bei Ash Ra Tempel. Rezitierte Texte und tanzte meist nackt und mit bemaltem Penis auf der Bühne und im Publikum. "

Ich weiss ja nicht...

MAddin


Re: ...ist viel zu lesen, lohnt aber

: Hier ist was über Manfred Brück:
: http://www.agitation-free.de/musiciansd.html
:
: Als einziger Kommentar steht das hier auf der website:
:
: "Kam 1967 nach Berlin. Gab eine Gastrolle bei uns und bei Ash Ra Tempel. Rezitierte Texte und tanzte meist nackt und mit bemaltem Penis auf der Bühne und im Publikum. "
:
: Ich weiss ja nicht...
:
: MAddin

... jaja, bei einer Veranstaltung hat er nackt einen
"schönen Huber" gemauert und ist nackt und bemalt
durch das Bürgerhaus Troisdorf getanzt ... so war er halt.

Den Beitrag kannte ich bereits, aber irgendwie ist
er in Berlin das letzte mal gesehen worden. Es hätte aber
ja sein können ... ich habe seine Lebensgefährtin
im web auftun können und habe einfach mal geschrieben.

Niederkassel ist wirklich schrecklich!!!