Guten Abend, Denis,
: mir geht es hin und wieder ganz aehnlich.
: hast du denn bereits einen weg fuer dich gefunden?
Nein, habe ich nicht. Wir haben auf der Session wirklich lange darüber geredet, auch dann noch mal in kleineren Runden.Alles sehr vielschichtige und intensive Gespräche: Session halt.
Bei mir kommen möglicherweise verschiedene Sachen zusammen:
- Zum einen eine gewisse Altersproblematik. (Dieses Problem dürftest du zumindest nicht haben.) Es ist - zumindest für mich - leichter gewesen, ein zwanzig- bis 25-jähriger Gitarrist auf der Bühne zu sein, als ein doppelt so alter. Das hat wahrscheinlich was mit (vermuteten) Rollen zu tun, oder mit Zuschreibungen, und das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass ich mir wieder eine wilde Flitzegitarre kaufen möchte. Die persönliche Wildheit nimmt halt mit der Zeit etwas ab - da werden mir die meisten zustimmen. Und für mich war "Wildheit" schon mal eine wichtige (gitarristische und musikalische) Kategorie. Was kommt stattdessen?
- Es gehen einem mit der Zeit auch die (glaubwürdigen) Posen aus, zumindest mir geht das so. Es fällt mir, verkürzt ausgedrückt, heute schwerer, breitbeinig herumzustehen (und entsprechend Gain im Sound zu haben) als früher. Ich finde auch wenig Gitarristen, die ab einem gewissen Alter noch eine überzeugende Attitüde auf der Bühne haben. Stattdessen gibt es viele, die sich liften lassen und Bräungscreme drauftun, um sich wenigstens ein bisschen von dieser Attitüde herüberzuretten. - Und auch ohne Lifting: Ich persönlich sehe lieber den jungen Prince als den alten, lieber den jungen Jeff Beck als den alten, und das gilt für die allermeisten. Nur bei Zappa ist's andersrum, und da liegt das große Geheimnis, hinter das man mal kommen müsste. Vielleicht suche ich gerade danach, wer weiß...
- Es gibt aber auch musikalische Veränderungen: Ich mache heute komischerweise mehr Musik als jemals, aber es ist alles auch ein bisschen ernster geworden. Das ist einerseits schön, denn unterm Strich ist es wahrscheinlich irgendwie auch besser, man könnte aber auch sagen: verkniffener. Und verkniffen auf der Bühne geht ganz schlecht. (Verkniffen im Studio geht hingegen wiederum ganz gut.) Der Anspruch ist irgendwie deutlicher geworden, ich leide mehr unter den Dingen, die nicht so gut klappen, und ich kann mich an den Dingen, die gut klappen, weniger begeistern, sondern neige eher dazu, sie als eine Art von "mission complied" anzusehen. (Ich gebe aber gerne zu, dass meine Herangehensweise auch früher schon etwas kompliziert war - vielleicht verkläre ich auch nur die Vergangenheit.) Dieser Punkt ist also wahrscheinlich gar nicht so wichtig.
Am Ende weiß ich es auch noch nicht so recht, worum es da genau geht. Ich mache gerne und viel Musik, alles ist prima, nur vor den Bühnen gibt es so eine Hürde, die gab es früher nicht. Da fühle ich mich echt so deplaziert wie der Typ in dem verlinkten Video. Und was es früher überhaupt nicht gab, ist dass dann auch das Spielen auf fast Null kommt: Ich spreche da nicht von irgendwelchen komplizierten Licks, sondern es geht plötzlich nicht mal mehr ein A-Dur-Akkord, und das ist dann schon etwas heftig, oder? Führt dann eben auch dazu, dass ich auf Bühnensituationen keine große Lust mehr habe, und das obwohl ich mein ganzes Leben hindurch eigentlich eher ein Performer-Typ war. (In meinem Beruf muss ich auch performen, und das mache ich nach wie vor gerne. Rätselhaft.)
Meine derzeitige These ist, dass es tatsächlich um Rollen, Rollenzuschreibungen und Rollenvermutungen geht. Der Typ in dem Video kann gut in seiner Rolle als Politiker, wenn er einen Anzug anhalt und alle darauf hören, was er sagt. Packst du ihn in ein anderes Surrounding, weiß er plötzlich nicht mehr, wie er sich verhalten soll. Und bei mir sieht es im Augenblick so aus, als sei die Bühne dieses "andere Surrounding".
Viele Grüße,
M. (J.)