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(Meinung) Wie mir Slash den Jazz beibrachte (nicht nur für Jazzer)

Hallo! Wie mir Slash den Jazz beibrachte

Meine erste Begegnung mit G+R (ich habe keine Ahnung, wie man das richtig schreibt) ist mir nur noch in vager Erinnerung. Ich weiß nur noch, dass ich mich fragte, warum so viele Leute sich für diese Band begeistern konnten. Mir gefiel das wenig, besonders Herr Rose machte (und macht) mir G+R schwer erträglich. Deutlich besser gefiel mir ein Teil eines Interviews mit Slash. Der gute Mann erzählte zwar eine Menge dummes Zeug, wirklich beeindruckend fand ich allerdings die von ihm beschriebene Art des Solierens. Slash behauptete nämlich, schon vor dem Spielen einer Note zu wissen, quasi zu hören, wie dieser Ton klingt. So sei es ihm möglich, das zu spielen, was er hören wolle.

Ob der prominente Kollege das wirklich praktiziert, sei dahingestellt. Das Schöne an diesem Rezept ist die Abwesenheit von Begriffen wie Modes, Skalen, Intervallen, Licks, Läufen etc. Hören, spielen, fertig. Den Gedanken spinnen wir gleich weiter, erst mal ein Exkurs in Sachen Jazz.

Jazz wird meiner Ansicht nach nicht sehr eingängig vermittelt. Immer gibt es das volle Programm mit exotischen, fingerbrechenden Akkorden und Skalen, die man hier bedenkenlos, woanders aber gar nicht einsetzen kann. Spaß scheint verboten zu sein, die Musik scheint sehr wissenschaftlich produziert zu werden. Diese Form des Musizierens liegt mir wenig, ganz einfach, weil ich zu faul bin, mir alle möglichen Modes, Skalen etc. (siehe Auflistung oben) zu erarbeiten. Will nicht arbeiten, will spielen!

Nehmen wir statt dessen mal das Rezept von Slash zur Hand, werfen eine CD mit Jazzstandards ein, greifen zum Instrument und improvisieren, wie Slash es geraten hat. Keine Licks, keine Skalen, pure Melodien bitte! Und am besten eine Ballade nehmen, schließlich müssen wir ja erst hören, was wir spielen und das geht noch nicht so schnell. Vielleicht kommt aber einfach kein Jazz raus. Vielleicht klingt es auch einfach nur doof, langweilig und einfallslos. Ein Schritt zurück, Instrument in die Ecke, Solo SINGEN – wer nicht singen kann, singt eben "im Kopf", Ihr wißt, was ich meine. Denn merke: Was ich nicht singen kann, kann ich nicht SPIELEN. Das gilt auch für die wissenschaftlich gebildeten Skalen-Roboter. Die bringen zwar die Noten aufs Griffbrett, SPIELEN aber nicht. Ein Instrument ist ein Werkzeug. Musik entsteht im Kopf, vom mir aus auch im vielzitierten Bauch oder noch eine Etage tiefer. Aber ausschließlich auf dem Instrument entsteht keine Musik. Provokativ umformuliert: Wer Skalen nudelt, ohne vorher zu wissen, wie es klingt, macht Geräusche und Töne, aber keine Musik.

Wenn die Musik in meinem Kopf doof, langweilig und einfallslos ist, muß ich an meiner Musik im Kopf arbeiten. Keine Skalen lernen, um erst zu hören, was die Finger spielen. An der Musik im Kopf kann ich überall arbeiten, wo ich mich nicht konzentrieren muß, z.B. im Stau, beim Einkaufen, beim Joggen etc.

Vielleicht sollten wir wieder mehr Musik aus dem Kopf oder dem Bauch machen und weniger aus den Fingern. Vielleicht spielen wir dann ja mal wieder aufregende Soli.

knock on wood

Matthias



Noch mal was ...

Es besteht vielleicht die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn man sagt: keine Skalen nudeln, aus dem Bauch spielen. Um das zu tun, ist die Voraussetzung, dass eben die Fähigkeit besteht, die Finger sozusagen der inneren Stimme folgen zu lassen.

Aber wie kommt man dahin? Ich halte Skalenübungen für einen Weg dahin (nicht für das Ziel), wenn ich solche Übungen mache und dabei hinhöre, mir ein Gefühl dafür aneigne, wo liegt welche Note und wie ist der Intervall-Zusammenhang. Dazu muss unser Hirn aber in der Lage sein, ein Intervall in eine Griffbrettbewegung umzusetzen, so wie man auch zu Anfang beim Autofahren hochkonzentriert sein muss, und erst später 'automatisch' fährt. Und da können Skalenübungen schon einen praktikablen Idionten-Hügel bilden, wenn es eben nicht nur um das mechanische Abspulen geht, sondern um einen Teil des Gehörtrainigs.


Re: (Meinung) Wie mir Slash den Jazz beibrachte (nicht nur für Jazzer)

Hi Matthias!

: Jazz wird meiner Ansicht nach nicht sehr eingängig vermittelt.

Genau das ist das Problem. "Branchenüblich" ist es eher, Zusammenhänge die gar nicht so kompliziert sind zu "kodieren" anstatt die Dinge so einfach darzustellen wie sie sind. Daß man 30 Skalen können muß um zu Jazzen, halte auch ich für Humbug, aber es wird von vielen "Jazzern" so dargestellt. Im Gegenteil, die Zeit die man da reinsteckt, sollte man eher ins "Hören" investieren. Wenn die Musik in einem drin ist, dann kann man auch nach Gehör spielen. Wenn man 30 Skalen kann, dann kann man das noch nicht notwendigerweise.

Ich glaube nicht, daß Miles Davis oder John Coltrane so viel über Skalen wußten. Sie erzeugten Klänge, die sie "im Ohr" hatten und ob sie jetzt "alteriert" oder "phrygisch" spielen, war ihnen dabei piepegal.

Wenn man zusätzlich zum Hören sich noch etwas mit Theorie beschäftigt kann das Helfen (um vielleicht etwas schneller zu hören), aber das Hören ist eindeutig wichtiger.

Genauso wie man einen Liebesbrief schreiben kann, ohne Germanistik studiert zu haben, kann man Jazz spielen ohne eine Theorieprüfung abgelegt zu haben


Spaß scheint verboten zu sein,

Schau Dir mal eine Video von Dizzy Gillespie an.


die Musik scheint sehr wissenschaftlich produziert zu werden.

Das ist der Eindruck, der von den Freaks so erweckt wird - es gibt sehr viele Gegenbeipiele.

: Vielleicht sollten wir wieder mehr Musik aus dem Kopf oder dem Bauch machen und weniger aus den Fingern. Vielleicht spielen wir dann ja mal wieder aufregende Soli.

Das ist es - deshalb hör ich z.B. lieber Carlos Sanatana als John Petrucci (sorry Ben ;-)


Gruß
Bernd


Re: (Meinung) Wie mir Slash den Jazz beibrachte (nicht nur für Jazzer)

Hallo Matthias

Du nimmst einen geplanten Beitrag von mir vorweg!!! :-)

Nein, was Du schreibst ist absolut richtig und deckt sich mit meinen Erfahrungen, die ich in den letzten paar Wochen gemacht habe. Der harte Kern meiner Bigband organisierte jeweils donnerstags eine Jazz-Session, da während der Semesterferien im Sommer offiziell nichts läuft. Meistens ging das so ab, jemand hatte ein Realbook dabei, wir schlugen eine Seite auf, kopierten das Zeug für alle und begannen einfach mal zu spielen - ohne vorherige Analyse und Absprache. Erst Thema, dann musste jeder mal einen Durchgang lang ins kalte Wasser springen.

Für mich war das anfangs ziemlich ungewohnt, weil das ein Ansatz ist, welchen ich noch nie praktiziert hatte. Gut, ich spielte eigentlich nie Jazz, aber bei dem Rockzeug das wir immer hatten waren Skalen und alles immer festgelegt, man kannte seine Patterns. Und plötzlich kann ich mich nicht mehr an meine Fingersätze klammern, sondern muss meine Ohren einschalten und danach spielen.

Mein Problem ist meistens, ich habe den Ton tatsächlich im Kopf, den ich spielen möchte, aber ich finde das Ding auf der Gitarre nicht und lande beispielsweise genau einen Halbton daneben. Das ist wohl genau das, was man nicht lernt, wenn man jahrelang Skalen übt: Tatsächlich das zu spielen was man im Kopf hat. Das mag hinhauen, wenn man Zeug spielt, was nie moduliert, aber sobald ein paar Wechsel drin sind hat man mit den Skalen einfach keine Chance mehr.

> Vielleicht sollten wir wieder mehr Musik aus dem Kopf oder dem Bauch machen und weniger aus den Fingern. Vielleicht spielen wir dann ja mal wieder aufregende Soli.

Das unterschreib ich blind!

Silvio

Schönes Thema !

Technik vs. oder con Gefühl. Das Problem oder Nicht-Problem, exakt das zu spielen, was ich innerlich höre oder fühle, habe ich in der Regel nur bei improvisierten Soli, wo also nichts reproduziert wird (mehr oder minder perfekt), sondern sozusagen völlig neu "erschaffen".

Der "organische" Weg beim Spielen ist für mich der von innen nach außen, d.h. ich höre oder spüre innerlich etwas, was die Finger dann umsetzen (sollten). Im Moment des Spielens bin ich dann "zufrieden", wenn das in einem völlig intuitiven Fluß geschieht, daß also "innen " und "außen" identisch sind - ich spiele dann exakt das, was ich in dem Moment spielen will. Das spielt sich natürlich in Sekundenbruchteilen ab, keine Chance zum Nachdenken, sonst ist der Fluß weg - dazu gehört dann aber schon auch eine Menge an mechanischem Automatismus, d.h. die Finger müssen "ohne mich im Oberbewußtsein" schon selbst wissen, wohin sie sich plazieren müssen, sozusagen aus ihrem eigenen Bewußtsein heraus, d.h. man muß viel geübt oder gespielt haben, damit das ohne Verzögerung und Verfälschung abläuft. Je komplizierter die harmonischen Verbindungen und je höher das Tempo, desto größer die Arbeit ... (aus mir wird in diesem Leben kein Jazzer mehr).

Umgekehrt geht´s aber auch, sozusagen von außen nach innen - d.h. die Finger bewegen sich, und dabei "fühle" ich mich in das ein, was die Hände vielleicht anfangs noch ohne direkte Verbindung zum "Innen" abspulen - gängige Patterns, Skalen etc. Das kann klappen oder auch nicht, es kann also ein relativ gefühlloser, mechanischer, sozusagen autonomer "Leerlauf" sein, oder es kann sich eine Art innerer Beteiligung dabei "aufbauen" - analog zum ersten Beispiel müßte ich sagen: "Ich will bzw. mag das, was ich gerade spiele (bzw. was meine Hände da veranstalten)".

Der Witz ist, daß anderen Leuten u.U. gefällt, was ich spiele, während ich mich selbst beim Spielen gar nicht so toll finde (jaja, umgekehrt geht natürlich auch, ihr Lästermäuler, haha!): Ich war nicht zufrieden, weil ich nicht das gespielt hatte, was ich in dem Moment wollte, sondern was die Finger zuließen oder unperfekt umgesetzt hatten - aber den Zuhörern fehlt eben diese innere Diskrepanz zwischen "Anspruch" bzw. innerem Ohr und Verwirklichung, weil sie ja nur die tatsächlich gespielten Töne hören, nicht das, was ich genialerweise von mir hätte hören lassen können oder wollen.

Das ging mir auch oft mit Studio-Aufnahmen so - ich höre meine Gespiele und bin alles andere als begeistert, weil ich es nicht so hingekriegt hatte, wie ich wollte - und dann lasse ich es so, wie es ist, gewöhne mich daran und finde es dann sogar gut ... sehr seltsam, eigentlich fast so, als ob jemand anders da gespielt hätte (bin nicht schizo !).

Bei Aufnahmen, wo es um Gitarrensoli geht, lege ich auch oft die Gitarre erst mal weg und summe innerlich bzw. "lasse summen" - ich bin ein schauderhafter Sänger, aber die Melodien kommen dann ganz automatisch, organisch, natürlich, dann geht es nur noch darum, diese "Gesangsqualität" mit der Gitarre hinzukriegen. Das klappt gut mit sehr "melodiösen", nicht zu schnellen Soli - ich würde allerdings nicht so weit gehen zu sagen, daß man nur spielen im eigentlichen Sinn nur kann oder sollte, was man auch singen kann - die Gitarre läßt ja dermaßen viele Sounds bzw. Geräusche zu, die man stimmlich kaum imitieren kann bzw. die sich zum Singen überhaupt nicht eignen würden.

Zu der Bemerkung Carlos Santana vs. Petrucci: Das Problem scheint irgendwie uralt zu sein - es gab schon immer Gitarristen (bei den Rockern jedenfalls), die primär "mit Gefühl" und dabei nicht unbedingt technisch brillant spielen (jedenfalls wenn man technisch mit ultraschnell verwechselt) und technische Virtuosen, die eher "kalt" klingen. Ich kann mich noch an Platten mit Carlos im Duett mit John McLaughlin erinnern, wo ich immer froh war, wenn ich nach dem "Skalengenudel" des letzteren wieder eine Melodie hörte ... Wobei man jetzt wieder endlos reden könnte über verschiedene Arten von Gefühl und Emotion - d.h. was für den einen "gefühlvoll" ist, klingt für den nächsten schon unerträglich "schmalzig" usw. usw. - dem einen oder anderen Musiker jetzt eine emotionale Qualität in seinem Spiel zu- oder abzusprechen, ist ja immer ein völlig subjektives Urteil.

Zum Glück gibt es ja auch welche, wo beides zusammenkommt, jedenfalls IMHO.


Sorry, Matthias!

Aber ich muss Dir vorhalten, dass Du Dich vorhandener Cliches bedienst und sie leider untermauerst.

Tut mir leid, wenn das jetzt haerter klingt, als es eigentlich gemeint ist. Aber Du kannst nicht alle Jazzer ueber einen Kamm schaeren, was ich Dir auch nicht zutrauen wuerde - aber ich finde so kommt das rueber.

Ich finde - um mein Contra zu verstaerken - dass man auch niemanden belaecheln kann, nur weil er in Skalen denkt oder so.

Eine Skala hat ja ein gewisses Timbre. Quasi eine Farbe. Uebertragen auf die Kunst, kann ich nun die Farbe neben vielen anderen Farben gleichwertig einsetzen, sie mischen und zur Gestaltung fotografisch detailgetreuer Darstellungen verwenden - oder ich nehme den verdammten Eimer mit der blauen Farbe, kippe ihn an die Wand und nenne das Bild aus Provokation Gruen!

Ich muss gestehen, dass mir ein Bild, dass einfach nur blau ist, gefallen wuerde. Natuerlich ist der Aufwand nicht mit dem eines komplexeren Gemaeldes vergleichbar. Auch inhaltlich sieht's da eher mager aus. Aber mir gefaellt's!

Wenn nun also jemand eine Skala "abdrueckt", dann schmiert er quasi in das entstehende Gemaelde aus Musik, irgendwohin einen Klacks blau oder rot oder auch einen Mix daraus. Er faerbt das Bild.

Wichtig dabei ist aber, dass er das Bild in "seinem" Sinne faerbt. Klingt es gut - ist es geil - und ich will nichts weiter darueber wissen - noch nicht einmal, ob er ueberhaupt jemals soviel Talent besessen hat, das "Haus vom Nikolaus" zu zeichnen.

Ich will damit sagen - ich kann, will und darf IMHO niemandem vorschreiben, aus welchen Motiven heraus er Musik macht und wie er sie zu machen hat.

Es gibt nicht den einen Weg - viele fuehren nach Rom. (Und richtig interessant wird's eigentlich erst, wenn man ganz woanders hin will!)

Das Interessante an den meisten Jazzern, die ich kenne, ist, dass sie das komplexe Zeug, dass sie spielen, tatsaechlich leben. Fuehlen. Meinetwegen auch singen koennen.

Natuerlich stimme ich Dir zu, dass es grossartig ist, "wie Slash" vorher zu wissen, was man spielt - aber ist das nicht selbstverstaendlich?!

Sperren sie mich nicht in die Klappse, wenn ich beim Busfahrer drei mal Pommes rot weiss bestelle und beim wiederholten Nachfragen seinerseits, mit "Die naechste Tagesschau sehen sie um 20 Uhr 15" kontere?!

Licks also, die ich ohne Wissen um ihre Wirkung einsaetze, sind ein Lottospiel mit schlechten Gewinn-Chancen. Dennoch muss ich sie gebrauchen, um mich zu entwickeln.

Am Ende ist einfach nur wichtig, dass ich um die Wirkung meiner Zuege weiss (das merk ich immer beim Schach ... ich bin da echt schlecht ... und spiel meistens drauf los. Nach ca. 10 Zuegen bin ich meistens matt!).

Ob die Zuege nun aber Melodien, Rhythmen, Skalen oder sogar eher noch eine Kombination aus ihnen sind, liegt doch in der Hand des Erfinders.

Gruesse, Clem

PS.: Ich versteh Dich und habe das auch alles selbst durchgemacht. Mit einem meiner Lehrer, einem noch relativ jungen Saxofonisten, war ich mal im Quasimodo - einem Jazz-Club in Berlin.

Dort fand eine Session statt. Ich mockierte mich ueber den "skalen-fietschelnden" Gitarristen auf der Buehne und meinte, dass der IMHO keinen Ton habe und mir sowieso Leute besser gefielen, die mit wenigen Toenen mehr ausdrueckten.

Da meinte der Saxer, dass er das voll und ganz nachvollziehen koenne, was der (uebrigens sehr junge) Gitarrero auf der Buehne abzog und, dass dieser zwar vielleicht nicht wisse, dass er gerade eine Major-7 spiele, dass er aber wisse, dass er diesen Ton (der gerade erklang) genau an dieser Stelle spielen wollte, weil er passte.

Witzigerweise habe ich es ueberprueft und es war tatsaechlich die Major-7 des erklingenden Akkordes. Auf einmal war mir auch egal, ob der Typ da Noten lesen konnte, was er vielleicht von BB King hielt und welch mathematischen Formeln da wohl im Kopfe meines Lehrers abzulaufen vermochten.

Ich begann einfach zuzuhoeren - auch wenn das, was ich da hoerte nicht meinen Geschmack traf - und musste zugeben, dass ich das nicht haette fabrizieren koennen und das mein musikalisches Universum gerade wieder um ein paar Milchstrassen bereichert worden war.


Re: Sorry, Matthias!

Hallo Clem & alle anderen

Ich glaube, was Matthias sagen wollte ist, dass die Materie "Jazz" dem interessierten Laien wie z. B. ich einer bin vielfach als absolut theoretisch fundiertes Kunstgebilde vermittelt wird und dass man ohne das ganze Theoriezeugs keine Chance hat. Ich will mal zur Illustration meinen konkreten Fall schildern:
Früher war Jazz für mich so etwas wie schräge Töne über schräge Akkorde, ziemlich langweilig. Irgendwann kamen mir dann mal Miles Davis' "Kind Of Blue" und so ne "Wes Montgomery Plays The Blues"-Compilation in die Hände und plötzlich begann sich bei mir was zu regen - ich entdeckte in dieser Musik Dinge, die ich vorher nie gehört hatte. Sie begann mir immer mehr zu gefallen.
Da ich ja nicht nur Musikkonsument, sondern ebenfalls "Hersteller" bin, beschränkte sich dieses Interesse nicht nur auf CD's, sondern ich wollte das Zeug auch auf meiner Gitarre ein bisschen draufhaben.

Was macht also der interessierte Laie? Er kauft sich mal ein Buch. Bei mir war es mal "Haunschild's Harmonielehre I&II" und son "Jazz Guitar" Buch, dessen Name mir leider entfallen ist. Und da sass ich nun, mit seitenweise Theorie über II-V-I und Zwischendominanten, über Turnarounds und Alterierten Skalen. Klar hatte es da auch ein paar Jam-Tracks dazu, doch so sehr ich mich abmühte, auf den angegebenen Skalen, die zu allem Überfluss noch alle 2 Takte wechselten, ein paar Melodien zu kreieren, ich scheiterte.
Von diesen Mühen stand jedoch in keinem Buch was geschrieben, vielmehr wurden da ein paar Sololinien durchanalysiert und jeder Ton auf seine Funktion im Akkord im allgemeinen und im Stück insbesondere angesprochen - als lese man die technische Spezifikation eines Pentium-Prozessors!

Natürlich habe ich mich auch weiter umgeschaut, nach Literatur, welche dem eigentlichen Spielen gewidmet ist - für Gitarre nichts zu haben. In den Wintersemesterferien habe ich (vielleicht habe ich es hier mal erzählt) ein bisschen begonnen, Trompete zu spielen (habe es wieder aufgegeben), nur soviel: Ich hatte ein Buch, für absolute Anfänger, mit ein paar mittelschweren Jazz-Standards-Melodielinien. Dazu gab es auch immer wieder Anregungen zu Improvisation, aber nichts von all der Theorie, durch die ich mich mal zu kämfen versucht hatte. Nein, es gab einfach ein paar Töne als Anregung und den Tip, mal frisch von der Leber weg zu spielen - und zwar über Progressions, bei denen ich mit meinem Wissen nicht sagen könnte, wo denn genau welche Tonart ist und was das ganze im harmonischen Kontext bedeutet. Jedenfalls funktionierte das prächtig. Doch so ein Buch, speziell für Gitarre, fand ich nirgends, obwohl es wohl das 50fache an Anfängerliteratur für Gitarre als für Trompete gibt.

Deshalb wohl auch das in der Gitarrenszene herrschende Vorurteil, dass Jazzer einfach blutleere Theoretiker sind - stimmt natürlich überhaupt nicht, aber diese Gedanken kommen, wenn man sich mit einem Ansatz abmüht, welcher eher mit Quantenphysik als mit Musik in Verbindung zu bringen ist.

Clem, Du vergleichst in deinem Beitrag Musik mit Kunst - ich will sie hier mit Sprache vergleichen. Da meine Hochschule eine gesamtschweizerische ist, bin ich durch mein Studium und insbesondere durch unsere Bigband, wo wir Deutschschweizer (vor allem im Pub nachher :-) eine Minderheit darstellen, in ein vielsprachigeres Umfeld gekommen als in der Schule. Ein guter Freund von mir ist aus dem Welschland und da er erst seit einem Jahr in Zürich studiert, spricht er naturgemäss mit un peu d'accent. Da er sich ziemlich Mühe gibt, sein Deutsch zu perfektionieren werde ich immer wieder mit Fragen über deutsche Grammatik konfrontiert, welche ich nur mit Mühe mit meinem Schulwissen beantworten kann - geschweige denn Fragen über Grammatikregeln im Schweizerdeutschen, wovon es erstens keine niedergeschriebenen gibt und die hier halt auch keinen interessieren, da sowas nicht als Prüfungsfach in der Schule gelernt wird ;-) Aber für ihn sind sie essentiell, denn er kann sich nicht einfach auf irgendein einprogrammiertes Sprachgefühl verlassen, sondern braucht solche Regeln, um eine gewisse Logik zu schaffen, auf deren Basis er nach und nach ein Sprachgefühl aufbauen kann.

Und das trifft imho genau den Punkt. Die ganze Jazztheorie verhält sich zur Musik wie die Grammatikregeln zur Sprache: Sie ist ein Versuch, in dieser komplexen Materie, welche eigentlich fürs Gefühl bestimmt ist, eine gewisse Logik zu schaffen, wobei sie im Detail naturgemäss zum Scheitern verurteilt ist, da sich das Gefühl nicht an eine Theorie hält. Aber es ist der einzige rationale Ansatz, wenn auch ein sehr grober.
Solche Theorien können einem den Einstieg in eine Materie erleichtern, aber so wie jeder mir zustimmen wird, dass 10 Wochen USA fürs Englisch besser sind als das Durchwälzen eines Grammatikbuches, so glaube ich folgern zu können, dass auch im Jazz in erster Linie das Gefühl trainiert werden soll und dass die ganze Theorie in dosiertem Mass den Lernprozess vereinfachen, das Gefühl aber keineswegs ersetzen kann. Und wenn in einem Jazzbuch im ersten Kapitel vermittelt wird, welche Skalen optionsweise zweifünfeins passen, dann geht das eindeutig in die falsche Richtung.

So, und jetzt habe ich wieder mal ausgiebig meine Tipptechnik verbessert und kann beruhigt schlafen :-)

Silvio

Macht doch nichts Clem!

Hi Clem und alle anderen!

Schon beim Schreiben habe ich gehofft, dass ich nicht wieder Dinge verbreite, die eh jeder blind unterschreibt sondern sich eine Diskussion entwickelt. Schön!

: Ich finde - um mein Contra zu verstaerken - dass man auch niemanden belaecheln kann, nur weil er in Skalen denkt oder so.

Ich belächele keinen Skalenspieler. Im Gegenteil beeindruckt es mich, wenn sich jemand diese technischen Fertigkeiten draufschafft. Mir geht es lediglich darum, die Skalen nicht nur mit den Fingern zu spielen, sondern zu sie bewußt einzusetzen.

: Eine Skala hat ja ein gewisses Timbre. Quasi eine Farbe.

Exakt. Und wenn ich jetzt Blau einsetzen möchte, ist das ja absolut okay. Nur wenn ich irgendeinen Eimer nehme, der jetzt gemäß Farbskala "dran" ist, wirds merkwürdig.

: Wenn nun also jemand eine Skala "abdrueckt", dann schmiert er quasi in das entstehende Gemaelde aus Musik, irgendwohin einen Klacks blau oder rot oder auch einen Mix daraus. Er faerbt das Bild.

: Wichtig dabei ist aber, dass er das Bild in "seinem" Sinne faerbt.

EBEN! Darüber sind wir uns ja einig. Unser Maler sollte einfach vorher eine Ahnung haben, wie es aussehen wird. Hallo? Genau davon rede ich ja.

: Licks also, die ich ohne Wissen um ihre Wirkung einsaetze, sind ein Lottospiel mit schlechten Gewinn-Chancen. Dennoch muss ich sie gebrauchen, um mich zu entwickeln.

Hmmm, hier sind wir nicht ganz einer Ansicht. Mit Licks und Skalen zu experimentieren und zu üben ist sicherlich nicht falsch. Aber "gebrauchen" bitte erst, wenn ich sie auch verstanden habe. Anders gesagt, gehört Lottospiel nicht auf eine Bühne oder eine CD.

Das Thema ist wirklich komplex...

Matthias

Re: Sorry, Matthias!

: Solche Theorien können einem den Einstieg in eine Materie erleichtern, aber so wie jeder mir zustimmen wird, dass 10 Wochen USA fürs Englisch besser sind als das Durchwälzen eines Grammatikbuches, so glaube ich folgern zu können, dass auch im Jazz in erster Linie das Gefühl trainiert werden soll und dass die ganze Theorie in dosiertem Mass den Lernprozess vereinfachen, das Gefühl aber keineswegs ersetzen kann.

Das würde ich auch unterschreiben. Aber Matthias ging ja nicht vom Jazz aus, sondern von Stilen, die eben nicht Jazz sind.

Ich hatte vor einigen Wochen, wenn nicht Monaten, wieder für mich einen Punkt erreicht, wo ich das berühmte Gefühl hatte, mal wieder nicht weiterzukommen. Konsequenterweise kaufte ich mir ein neues Instrument, daraus entstand mein G.A.S.-Ansatz. Und daraus wiederum entstand die Erkenntnis, das das nix hilft. Mein nächster Gedanke war dann, wieder auf zwei Instrumente (1 x fretted + 1 x fretless) zurückzugehen und mir einen Teacher zu suchen, weil ich feststellte, dass die bisherigen Ansätze nicht reichten. Mir war allerdings klar, dass der nächste Teacher ein Jazzer wäre, doch da kamen Zweifel auf, ob diese Investition lohnend wäre, und ob ich das nicht selbst schaffen könnte.

So kam es, dass ich mich in der letzten Zeit mit Skalen beschäftigt habe, und ich bin für die nächsten Monate wieder ausreichend beschäftigt. Das heisst aber doch nicht, dass man sich mit Skalen beschäftigt und dann zwangsläufig im Jazz endet! Gerade der ProgRock und auch Sparten wie Gabriel, KC und Sting sind voll mit Stücken, die ihre Hooks aus den abstrusesten Leitern ziehen.

Die Reduktion auf den Jazz verstehe ich in der Diskussion nicht, und auch nicht den Glauben, man müsste da irgendetwas auswendig lernen oder Wälzer der Theorie verarbeiten. Es geht am Ende doch lediglich um eine Erweiterung des spielerischen Spektrums und der Hörgewohnheiten. Als Beispiel: der erste Teil von EL&P's Tarkus ist doch kein Zufall, sondern ein Riff über eine nicht-Brot-Und-Butter-Leiter. Und wie kommt man auf so etwas? Indem man das einfach in seinem Ohr hat, aber dazu muss man es erst einmal gehört haben. Oder noch besser: indem man es mal selbst gespielt hat.