Re: (Meinung) eine schwierige Diskussion


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Beitrag von Silvio vom Mai 27. 2000 um 15:16:04:

Als Antwort zu: (Meinung) eine schwierige Diskussion geschrieben von Matthias am Mai 27. 2000 um 12:59:18:

Hallo Aussensaiter

Ich habe mir auch schon oft Gedanken gemacht über dieses Dilemma...soll man Produkte aus Ländern, die regelmässig aufs massivste die Menschenrechte verletzen, überhaupt kaufen? Deshalb hier meine persönliche Ansicht, warum man kein schlechtes Gewissen haben muss.

Boykotte treffen im allgemeinen - siehe Beispiele Irak und Kuba - nie die politisch Verantwortlichen. Im Gegenteil, mit einer nationalistischen Politik können sie ihre ganze Verantwortung, die sie selbst nicht wahrnehmen, aufs "imperialistische Ausland" abschieben. Gegendarstellungen bleiben aus, da sich Medienzensur in einem isolierten Land leider sehr einfach verwirklichen lässt. Dissidenten und Opposition fühlen sich vom Westen alleingelassen und verlieren durch Repression immer mehr Einfluss. Ausserdem hat es glaube ich noch nie geklappt, von aussen durch Boykotte eine Regierung zu stürzen und eine Demokratie zu etalieren, ohne das Land vollständig zu erobern und alles dem Erdboden gleichzumachen (z.B. Deutschland 1945).
Demokratischer Umschwung kam bei den meisten heutigen Demokratien aus dem Bürgertum (z.B. Ostblock 1990) und nicht von aussen.

Andererseits ist es natürlich so, dass Handelsbeziehungen einer Diktatur den Rücken stärken. Sie gilt - wie die chinesische - mehr oder weniger als etabliert, da sie von allen westlichen Grossmächten anerkannt ist. Dies ist natürlich absolut keine erfreuliche Tatsache, doch ich denke, langfristig kann eine Diktatur ein Land, das sich immer mehr öffnet, nicht mehr kontrollieren, und zwar aus folgendem Grund:

Nicht nur die Regierung profitiert von Einbindung in die Weltwirtschaft, sondern meiner Meinung nach in weit grösserem Masse das Volk. Ich denke, die wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie sind eine starke Wirtschaft, gute Schulbildung der Bevölkerung und ein hoher Lebensstandard.

Man kann Demokratie nicht in einem Bauernstaat verwirklichen, wo 90% der Bevölkerung nicht lesen können und in Armut leben, das demokratische System braucht eine kritische Bürgerschicht, die sich ihrer politischen Verantwortung bewusst ist.

Natürlich hören die Menschenrechtsverletzungen nicht von einem auf den anderen Tag auf, sondern sie werden weiter praktiziert - das gehört zu einer Diktatur. Aber durch internationale Einbindung und Austausch wird langsam aber stetig ein Nährboden für die Demokratie geschaffen. Und man darf nicht vergessen, in China leben 1.2 Milliarden Menschen, und obwohl in China die pulsierenden Millionenstädte mit McDonalds und Co. aus dem Boden schiessen - das ist erst ein Bruchteil der Bevölkerung, den man zu einer Bürgerschicht zählen könnte.
Aber dessen Anteil wird zwangsläufig wachsen, durch intensiven Handel und wirtschaftlichen Aufbau.
Und diese sind in China – obwohl schon seit Jahren praktiziert – immer noch im Anfangsstadium. Aber durch eine Einbindung in die WTO und damit eine Öffnung des chinesischen Binnenmarktes wird ein Prozess in Gang gesetzt, der nur sehr schwierig umkehrbar wäre.
Es ist klar, dass die Arbeitsplätze, die heute in China geschaffen werden, grösstenteils Fliessbandarbeit und strenge Arbeitsbedingungen beinhalten (z.B. Gitarren in Massen bauen). Doch auch diese “schlechten” Arbeitsplätze werden für chinesische Verhältnisse gut bezahlt, und dieses Geld geht an die Bevölkerung.
Denn auch unsere westliche Industrie hat ein Interesse an der Erhöhung des Lebensstandards in China – wer wird denn einst 1.2 Milliarden gut gefüllten Portemonnaies Autos, Telefone, Computer, CD’s und diverse andere Luxusgüter für gutes Geld verkaufen?

Die chinesische KP sitzt heute schon auf einem Pulverfass – und dass sie das selber weiss, zeigen ihre ungestümen Reaktionen auf in einem westlichen Land völlig harmlose Kleindemonstrationen von Studenten, Arbeitern und der Falun-Gong-Sekte.
Denn das Beispiel Sowietunion/Osteuropa hat gezeigt, dass kleinste Konzessionen an Meinungs- und Redefreiheit ein System in ein paar Wochen umdrehen können und dass aus einem brennenden Streichholz im Nu ein Steppenbrand entstehen kann. Doch es hat auch gezeigt, dass sich der Zeitpunkt eines solchen Wechsels nicht voraussagen lässt.

So, dieser Beitrag wurde länger als ich geplant hatte, aber ich habe hier einfach mal das hingeschrieben, was ich mir schon länger mal zu dem Thema überlegt habe. Es ist natürlich auch nur eine persönliche Meinung, und ich habe weder Geschichte, Volkwirtschaft oder Politologie studiert noch war ich je in China, aber mir leuchten die Zusammenhänge ein, so wie ich sie dargestellt habe.

Gruäss

Silvio



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