Was einem so passiert....
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Beitrag von Michael vom Juli 20. 2002 um 23:01:15:
Liebe Gemeinde,
ich muss euch doch mal von einem etwas verrückten Projekt berichten, dass wir gerade laufen haben. Zunächst mal die Entstehungsgeschichte: irgendwann Mitte letzten Jahres kam ein Freund von uns (klassisch ausgebildeter Bariton, spezialisiert auf Lieder der Romantik - Schumann, Schubert, Wolf etc.) auf uns zu (wir, das bin ich akustischen Gitarre und mein Spielkamerad Andreas an der E-Gitarre und den Stimmbändern) und meinte: lasst uns zusammenschmeissen, ein Programm erarbeiten, in dem beides, also Romantik und Blues/Jazz gemeinsam in einem Programm dem werten Publikum vorgetragen wird. Erste Reaktionen (war eine Art pawlowscher Reflex): auauauauau...., hmmmmm....,ich weiss nicht *kopfschüttel*.... Gut, er liess nicht locker und wir trafen uns: er, seine Pianistin und wir. Mittlerweise waren wir aber von seinem Optimimus (Jungs, das wird schon schiefgehen...) auch angesteckt, probierten etwas rum und siehe da: die ersten Ansätze für ein Programm waren vorhanden. Das grösste Problem, nämlich die Übergänge zwischen den einzelnen Blocks/Liedern zu gestalten (soll man, und wenn ja, was labern ?) lösten wir durch die grandiose Idee, einen anderen Freund von uns zu überreden, die Überleitungen auf dem Sax (und zwar solo) zu spielen (er hatte anfangs übrigens die gleichen pawlowschen Reflexe). Nun gut: das Ding gedieh munter vor sich hin. Richard (der mit dem Sax) hatte brillante Ideen für die Übergänge. Versucht mal bitte einen musikalisch logischen Überleitung von Ray Carles' "Hard Times" (D-Dur) nach Schumanns "Aus den hebräischen Gesängen" (Dis-moll) hinzubringen: er hat's (und auch noch andere) geschafft. Je länger wir an dem Ding arbeiteten desto sicherer waren wir, dass es auch vor Publikum hinhauen könnte. Thema war übrigens auch schnell gefunden: "Blues und andere Gefühle...". Aber ich sag' Euch, so ein Muffensausen hatte ich schon sehr lange nicht mehr vor einem Gig, wie vor unserem ersten. Das Ding konnte natürlich auch so was von in die Hose gehen.... Was soll ich sagen, es war der Hammer. Das erste Mal hatten wir eher die Klassikfraktion im Publikum, beim zweiten Mal eher die Blues/Jazzfraktion, beim dritten Mal alles zusammen und gestern mit 170 Leuten eine richtig volle Hütte (in kleinerer, zum Konzertsaal umgebauten Barockkirche - hätte nie gedacht, dass ich mal in so einem Ding spielen würde -, auch wieder alles gemischt. Obwohl wir den Leuten da einiges zumuten: auf der einen Seite Schuberts "Doppelgänger", Wolfs "Verborgenheit", Iberts "Chanson de la mort" etc., auf der anderen Seite von Robert Johnson, Big Bill Broonzy, Hoagy Carmichael und anderen bis John Hiatt eine gepflegte Auswahl einiger kleiner Pretiosen des anderen Genres (aber - fast - keine altbekannten Gassenhauer !!). Und immer sind Leute dabei, die von der jeweils anderen Musik noch nie so richtig was gehört haben.. Und natürlich Konzertatmossphäre mit Bestuhlung (keine besoffen gröhlenden Thekenabhänger im Hintergrund !!!), tolle Akustik in dem Saal, super Sound, bei "my funny valentine" (auch so eines meiner absoluten Lieblingsdinger, und eine unserer allerliebsten Zugaben) kein Muckser aus dem Publikum, gebanntes Lauschen allenthalben, jedes Saitenberühren meiner Picks war zu hören...., Richard haucht das Sax...., Chet Baker (nee, nach kurzem Seitenblick merkte ich dann doch, dass es Andreas war) singt..., Thomas zaubert mit der Bühnenbeleuchtung...., verstohlen aus dem Augenwinkel gewischte Tränchen...
TRAUMHAFTE BEDINGUNGEN !!!!!!
Es war da auf einmal was da, was ungeheuer selten passiert. "It plays" hat das Mclaughlin mal genannt: Du spielst und du weisst, es kann überhaupt nichts schiefgehen, egal was du jetzt machst.
Ich musste das jetzt einfach loswerden....
Michael
PS(1): An solchen Abenden könnte sogar ich alter Atheist eine religiöse Ader an mir entdecken und dieser "höheren Macht", die uns die Musik geschenkt hat, lobpreisen und ein Hosianna singen (oder wie das auch immer heisst:-)).
PS(2): Komisch, normalerweise bin ich eigentlich ganz normal.....
Immer noch den Heimatplaneten suchend
Michael
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