Re: (Meinung) Tips für Akustik-Duo? achtung langer text
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Beitrag von falke vom Juni 28. 2002 um 11:31:24:
Als Antwort zu: Re: (Meinung) Tips für Akustik-Duo? @tom2 lies mal geschrieben von Der Felix am Juni 28. 2002 um 09:06:47:
Moin Felix,
Hast Recht, aber mit dem richtig Kohle verdienen; da sollte man sich was anderes überlegen. Ich wollte auch mal dringend Popstar werden - und hatte meine Probleme mit dem Publikum. Mal lesen?
Als ich so knapp 10 Jahre alt war, hab ich mir aus Pappe eine amtliche Strat ausgesägt, mit dem FaberCastell Rechenschieber und Filzstiften die PickUps und Saiten draufgeschraubt, ein Gurt war wegen des geringen Gewichts nicht nötig. Dann hab ich mich vor den Ausklappspiegel der in Eiche gehaltenen Frisierkommode des elterlichen Schlafzimmers gestellt und konnte mich so von beiden Seiten und frontal sehr gut beobachten. Bei geschickter Stellung der Spiegel konnte ich mich sogar von links und rechts gleichzeitig sehen! Meine Telefunken Mister Hit Plattenspieler mit Lautsprecher im Deckel erlaubte mir, auch in besagtem Elternschlafzimmer mobiles Trainieren des Bühnen-Posings. Auf dem Mister Hit eierten die Byrds, die Stones, die Beatles, Mr. Dylan und auch Leute wie Donovan und, wie heißt noch mal die amerikanische Protestsong-Queen? Das Publikum war ich in Personalunion mit dem Popstar. Ich fand, ich sah gut aus, hatte eine ordentliche Präsentation mit meiner Gitarre und das Publikum goutierte das in jeder Situation. Die Auswahl der Stücke, mit denen ich in schöner Regelmäßigkeit mein Publikum im Frisierkommoden-Konzertsaal beglückte wurde ausschließlich von mir ausgesucht. Es war mir egal, ob immer wieder Rufe nach Lola oder Lets spent the nite together kamen. Ich spielte House of the Rising Sun und Where have all the Flowers gone und, hey, ich spielte gut. Irgendwann wurde aus der Pappgitarre eine echte Klira-Wandergitarre. Der Traum von einer echten Strat blieb ein Traum. Der Klira hab ich dann mit Sprühlack aus Vatters Keller ein gar nicht schlechtes Tobacco Sunburst verpasst. Jetzt gings wieder. Das war meine Reminiszenz ans Publikum: man sah es nicht gern, wenn RocknRoll auf Wandergitarren angeboten wurde. Trotzdem behielt ich mein Programm und das Publikum im Auge. Egal was wir (Mister Hit und ich) spielten, dem Publikum gefiel es. Bis auf die Situationen, in denen ich bei einer meiner gelegentlichen Sessions mit Keith und Co. von meiner Mutter überrascht wurde. Ihr gefiel das nicht so hauptsächlich der Lautstärke wegen und, weil es ihrer Meinung nach unerträglich albern war und ob ich denn meine Hausaufgaben schon fertig hätte.? Ich verabschiedete mich dann mit einem kurzen Augenzwinkern vom Publikum, fuhr die PA auf Null, beendete das Konzert mit roten Ohren, klopfendem Herzen und stahl mich an meiner Mutter vorbei.
Heute, knapp dreißig Jahre später, gibts die Frisierkommode nicht mehr, die Musik kommt nicht mehr aus dem Mister Hit, die Klira, die im übrigen einem unglaublichem Wutanfall meines Vaters ihr Ende am Kamin in Form von übersichtlichen Holzspänen fand, wurde durch richtige Gitarren ersetzt, die Auswahl der Stücke, die ich spielen wollte, änderte sich. Maß aller Dinge war und ist aber immer noch mein persönlicher Spaß an der Musik und am Musikmachen. Ich freue mich, wenn es dem Publikum gefällt, ich freue mich, wenn ich (wir) beim Publikum etwas bewegen, ich freue mich, wenn das Publikum bereit ist, für unseren Vortrag zu bezahlen. Ich bin aber nicht böse, wenn das Publikum durch Abwesenheit glänzt, wenn es mit unserer/meiner Musik nix anfangen kann. Ich werde nichts dran ändern. Ich weiß, dass auch Kollegen wie Stoppok, Stones und Steamhammer das nicht tun würden. Das Publikum ist immer noch das aus dem Spiegel der Frisierkommode. Es ist wichtig, aber keineswegs der zentrale Punkt der Musik. Beide Faktoren, Publikum und Musiker, stimmen, wenn die Musik aus einem authentischem Impuls gewachsen ist, wenn Ehrlichkeit, Professionalität und auch Charme die Ingredienzien des Ganzen sind. Dann gibt es das Publikum, das man verdient.
Neulich sind wir gefragt worden, ob wir bei einer Kawasaki-Cruiser-Party spielen wollen. Ist bestimmt ein gutes Publikum aber unsere Musik hat da nix zu suchen. Da gibts passenderes. Die Cruiser sind in unserem Frisierkommodenspiegel irgendwie nicht zu sehen. So ist das. Ich werde jetzt mal nach ebay surfen und kucken, ob ich nicht irgendwo son Schlafzimmerteil ersteigern kann.
Aus purer Sentimentalität. Und ein großes Stück Pappkarton hab ich bestimmt noch im Keller.
Madetjoot.
falke
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