Re: (Philosophie) Wir wollen ...... - Einsprüche: The return of the Referat!


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Beitrag von groby vom November 19. 2001 um 12:36:59:

Als Antwort zu: Re: (Philosophie) Wir wollen nur Deine Seele - Einsprüche! geschrieben von Silvio am November 19. 2001 um 00:14:22:

Hi, Silvio

Ich habe lange überlegt, ob ich antworten soll. Das tue ich aber weil mich solche Themen brennend interessieren und nicht um als der Große Zampano aufzutreten. Es tut mir leid, wenn mir das Leute als Arroganz auslegen wenn man mal etwas differenzierter an solche Themen herantritt, gerade wenn sie erst (Philosophie) heissen aber letztendlich dann "ver-Grünen".

Wer jetzt schon die Schnauze voll hat von meinem Gelaber: Dann findet mich doof und lest halt was anderes! Für alle wenigen Anderen schreib' ich dieses.
Ich werde mich auch nicht für den vielen Text entschuldigen, denn es steht jeden frei, ihn nicht lesen zu wollen und wegzuklicken.


Silvio:
Im Grossen und Ganzen absolut einverstanden, aber wo würdest Du die Grenze zwischen Entertainment und Musik beziehungsweise Kunst und Konsumgut ziehen?

Ja, schwierige Frage. Kunst ist immer auch ein Konsumgut, allerdings besitzt es gewissen Sonderstatus (beispielsweise ist das Buch rechtlich als Kulturmedium anerkannt und daher durch Mechanismen wie die Buchpreisbindung eben nicht anderen Marktgütern gleichggestellt. Absicht dabei ist unter anderem um die Vielfalt und Meinungspluralität auf dem Markt "Kultur" zu gewährleisten. Bei Musik gibt es diesen Sonderstatus ja nicht. Da gibt es keinen Schutz für das was nicht Mehrheitskompatibel ist).

Musik funktioniert nicht, ohne dass sie jemanden unterhält, und Kunst, die nicht konsumiert wird kann man im Schrank verstauen...

Ja, eben. Es nützt nichts wenn es tolle Kunst gibt, die aber dann keiner hört. Wir leben in Verhältnissen in denen der Zugang zu den großen Öffentlichkeitsplattformen beschränkt ist. Will heissen: Nicht jeder Künstler hat die Möglichkeit im Leitmedium Fernsehen das Publikum zu finden das er zum Überleben braucht und dass seine Kunst zum Wirken überhaupt erst benötigt.
Allerdings gibt es Änderungen was gesellschaftliche Leitmedien betrifft. Das bringt mich zu Deinem nächsten Punkt....

Man kann hoffen, die Medien machens einer Mehrheit des Publikums recht, was genau deren Absicht ist, und die anderen kommen halt anderswie zu ihrem Glück. Niemand zwingt einen glücklicherweise, die Boulevardpresse zu lesen und RTL2 zu schauen.

Genau.
1.) Es gibt zur Zeit einen durchschnittlichen Trend zur Regionalisierung und Lokalisierung bei Zeitungen und Radiostationen. Oder auch im Fernsehen wenn man an neugegründete Regionalsender wie TV NRW bedenkt. Dies gibt zumindest die MÖGLICHKEIT, den grossen Kulturmonopolisten Paroli zu bieten. Ob das auch erfolgt ist ein weiteres Blatt aber die Chance besteht, dass sich regionale Radiosender wieder verstärkt für regionale Bands einsetzen anstatt ausschliesslich Media Control zu huldigen.

2.) Es war z.B. durch neue Leitmedien wie das Internet noch nie so einfach, als unbekannter Künstler potentiell einer großen Öffentlichkeit zugängig zu sein. Dass früher als besser war, ist ja sowieso eine Lüge aber das jetzt alles schlechter ist und man kaum noch gute Musik (beispielsweise) findet, ist ebenso billig gemeckert. Es war noch nie so einfach, sich über unbekannte Künstler zu informieren. Man muß eben nur etwas selber auf die Suche gehen und diese Künstler auch unterstützen. Wer raubkopiert leistet einen Beitrag zu dem gleichen Verfall den er begklagt. Und wer darauf wartet, dass er vom Fernsehen Qualität bekommt, macht es sich zu einfach. Das Fernsehen ist ein Medium dessen natürliches Talent die Unterhaltung ist und das weder zur Information noch zur Kunst taugt (Fußnote*).
In diesem Sinne kann nur jeder selbst versuchen, Kunst für sich zu definieren und zu entdecken.

Außerdem BRAUCHT eine Gesellschaft Unterhaltung. Ich auch. Ich hasse seichten Pop und bin absoluter Blues-und Jazz-fan, aber über eine lustige kleine Melodie im Radio freue ich mich trotzdem. Unterhaltung ist kein dekadentes Nebenprodukt für umnebelte Zombies, sondern ein elementares Bedürfnis. Von daher ist es doch auch positiv, dass es Musik gibt, die wirklich nur Unterhaltung ist und nichts anderes sein will. Diese Musik übernimmt eine wichtige Funktion. Außerdem sorgt es dafür, dass es kleine Gemeinschaften echter Musikinteressierter überhaupt geben kann (zum Beispiel dieses Forum wird durch eine gemeinsame Liebe zur Gitarre und zur Musik zusammengehalten und in Ehren verteidigt gegen Eindringlinge die "wir" als falsch, unehrlich und oberflächlich entlarven).
Wären wir ein Modern-Talking-Forum wären wir schon längst an unserer eigenen Oberflächlichkeit erstickt oder hätten uns mangels WIRKLICHEN Interesses aufgelöst.



So. Fertig.
Sonst noch was? Nein, ich glaube nicht.
Auch hier wieder die Frage: Mensch, groby, hattest Du nichts besseres zu tun?
Doch, aber das hier hat mir mehr Spass gemacht.

Guten Abend.
groby


*Ich kann mich gerade noch bremsen, hier weiter zu abzuschweifen, obwohl ich selber das Thema unglaublich spannend finde. Stattdessen empfehle ich das Buch "Amusing Ourselves To Death" von Neil Postman. Das ist nicht ganz off-Topic, denn es wurde bereits von Volker Kramarz schlecht zitiert in Gitarre & Bass 11/01 (Seite 156).


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