Konzertreview: Henrik Freischlader Band im Jazzclub Minden


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Beitrag von ferdi vom Oktober 05. 2008 um 14:19:17:

Aloha.

Ich tippe einfach mal so drauf los...

Vor dem JazzClub stand ein weißer Bulli mit dem Wuppertaler Kennzeichen W-HO ... obwohl Henrik kein Pete Townsend-Nacheiferer ist, wusste ich: das musste die Tourkutsche sein... und richtig: keine Roadies. Ich wünsche den dreien, dass sie möglichst bald ihr Zeug nicht mehr selber schleppen und aufbauen müssen. Verdient hätten sie's. Doch der Reihe nach:


Henrik ist bei der Moderation überraschend schüchtern :-) Kein Aufkacker! Ein richtig sympathischer Typ, der, sobald der Drummer eingezählt hat, den Testosteronpegel unüberhörbar verdoppelt. Was Henrik an der Gitarre kann, lässt sich bei entsprechendem Talent durch tägliches Üben durchaus erreichen, sage ich mal. Wir sind hier in einem Gitarristen-Forum und nicht wenige von uns sind recht gut. Henrik spielt überwiegend die Königin aller Skalen, wie so oft hier und da mit Dur, Moll oder Gewalt erweitert, aaaber er singt auch noch flüssig und gut dazu (=doppelt, wenn nicht 3x so schwer wie nur spielen) und hat durch die Gnade Gottes einen Kehlkopf, der ihm eine astreine Stimme beschert. Da kommt so unterm Strich dann kein lebender Deutscher hin, sage ich mal. Zumal der Sound auch noch 100%ig stimmt: Equipmentmäßig gab es eine Strat (=erste Wahl), eine LesPaul (ich meine mit Peter Green-Mod, klang bei eingen Nummern echt gut) und eine Epiphone - äh - Riviera? ES mit Riesenkopfplatte und Mini-Humbuckern. Alle Klampfen mit Kabel ins Board, wo sich ein Fulltone DejaVibe, ein Boss-Delay, ein rotes Fulldrive2, eine TAD RangeKing, ein Clyde Wah, ein SupaTrem und das unverzichtbare Boss TU2 befanden, das ganze nebst einem Switcher, mit dem er - soweit ich das sehen konnte - die beiden identischen Kanäle seines Realtone Freischlader Signature-Tops befeuerte, der eine etwas lauter als der andere. Auf dem Top befand sich noich ein EH HolyGrail-Hall. Das Top ackert mit zwei EL34 im ClassA-Modus (beste Wahl) und gibt die Kraft an eine hinten offene Vox-Box mit einem BlueBulldog und einem G12H ab. Alles in allem also Steinzeittechnik - klang dafür aber :-)

Drummer Dirk Sengotta ist bestimmt einer der besten 3 deutschen Drummer überhaupt - ein TIER, der, wenn er mal von der Kette gelassen wird, Dennis Chambers-mäßig abgeht. Natürlich gab es das berühmt-berüchtigte Klobürsten-Solo, im Gespräch nach dem Gig verriet er mir, dass er die immer frisch besorgt - eine vom Herren- und eine vom Damenklo :-) Netter Typ, und klar der gesprächigste von allen. Drumset habe ich vergessen, er spielt aber nur ein und dafür kleineres Tom, eine überraschend tiefe Snare + eine zweite, flachere, knackigere.

Bassist Oliver Schmellemkamp blieb mir den ganzen Gig über hinter einem Sichthindernis verborgen. Nach dem Gig konnte ich nur ein flüchtigen Blick auf die Anlage (EBS-Turm) und ein paar Pedale werfen (Boss EQ usw) und feststellen, dass er zwischen den Pickups seines JazzBass eine ca. 3mm Holzplatte geklemmt hat - wohl, damit die Saiten beim Slappen draufknallen??? Oder um eine Schandtat mit dem Stechbeitel zu verschleiern? Eine missglückte P-Pickup-Fräsung womöglich? Oliver, klär uns auf. Zu Beginn des Gigs war der Tiefbassbereich über die PA DEUTLICH zu sehr aufgeblasen, das wurde erst gegen Ende des ersten Sets besser. Oliver ist ebenfalls ein Tier. Meine Begeisterung erfährt hier allein deshalb nicht solchen Ausdruck, weil ich ihn nicht sehen konnte - den ganzen Gig über nicht. Scheiß-Pfeiler. Und gut, Bluesrock ist nicht DIE Spielwiese für Basser.

Die HFB macht authentischen, zeitgemäßen Power-Blues, mit Texten, deren Geschichten glaubwürdig sind (kein Mülltonnen-Geschiebe in Chicago zB), mit interessanten Ausbrüchen im Arrangement, tollen Breaks und stimmigem Sound. Sollte man unbedingt hingehen. An Verbeugungen gab es "I loved another woman" von Fleetwood Mac (na ratet mal mit welcher Gitarre), scheißenochmalwelchenummerwardasdochgleich von Albert King, "The sky is crying" von SRV an der Epi und einige Hendrix-Nummern, so ein "Foxey Lady"-basiertes längeres Medley und "Fire".

Witzig war wie immer im JazzClub Minden, dass sich die bartzupfenden "richtigen Jazzfans" an die Tische direkt vor der Bühne setzten, wo sie sich dann - jedenfalls bei allen Konzerten, die ICH mir dort angucke - wegen des gesunden Schallpegels vollkommen deplatziert fühlten. Keine Möglichkeit für kritische Gespräche in moderater Lautstärke. Henrik hatte sogar extra eine Plexiglasscheibe vor der Box. Wir - unser Trüppchen vor dem Mixer - waren uns alle einig, dass es ruhig gefühlte 20% hätte lauter sein können, vom Tiefbass-Bereich mal abgesehen. Den Schuh muss sich der Mischer anziehen, das muss man schneller merken und sofort reagieren. Der Tiefbass kam aus der PA. Wobei ich mir die Bemerkung nicht verkneifen kann, dass es vollkommen ausreichend und m.E. besser gewesen wäre, nur Gesang und Schlagzeug abzunehmen und zu verstärken - ein 33W Röhrentop an zwei hinten offenen 12ern und ein 1x15+4x10 Basstrum sind weiß Gott in der Lage, einen Club wie diesen ausreichend zu beschallen, und - ich hoffe da stehe ich nicht mal wieder alleine mit da - es klingt einfach BESSER, wenn er Sound von da kommt, wo man ihn "passieren sieht".

Hey, und die Bedienung verdient aus verschiedenen Gründen eine wohlwollende Erwähnung. Bin selten derart kooperativ und sympathisch bedient worden :-)



Ich grüße euch.

ferdi



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