Re: Wissen was man spielt?


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Beitrag von Kurt vom Februar 08. 2007 um 12:52:20:

Als Antwort zu: Re: Wissen was man spielt? geschrieben von groby am Februar 08. 2007 um 10:39:07:

Hi Robert,

: Und die Besten schaffen das nicht über den Umweg des dauernden Nachdenkens "online". Sie schaffen es weil ihr Wissen um das Instrument und um harmonische Möglichkeiten derart in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie in kompletter Intuition jeden Gedanken umsetzen können. Und erst wenn die Intuition da ist (durch genügendes Harmonie-Lehre-Pauken oder durch instinkt-schärfende Spielpraxis ist für mich völlig egal), dann ist es möglich, loszulassen und "direkt" zu spielen.
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: Und wenn die Leute dann behaupten "I always play from the heart" oder so'n Kappes, dann finde ich das oft auch ein wenig lächerlich. Nur "from the heart" oder anderen Körperteilen spielen zu können, muss man sich erst leisten können. Egal wie man das schafft. Wichtig ist auf'm Platz.
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: Also das angefragte Motto "Wissen was man spielt" würde ich ersetzen durch "irgendwie Ahnung haben, was alles geht".
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: Ich fühle mich auch gerade an diesen alten Posting-Batzen erinnert. (Oh, Gott, das ist vier Jahre her.)


Fühlte mich auch sofort daran erinnert, danke, daß Du die Arbeit des Nachschlagens übernommen hast.

Und heute wie damals stimme ich Dir voll zu. Die besten (zeitgenössischen) Gitarristen/Musiker denken beim spielen nicht an die Skala, die sie gerade benutzen. Aber nicht, weils sie es nicht wissen, sondern weil sie nicht mehr dran denken müssen. Sie könnten aber die Skala bzw. Skalen - meistens läßt sich ein Lick oder eine Phrase ja mehreren Skalen zuordnen - sofort benennen.

Freaks, bei denen ich meine Hand dafür ins Feuer lege, daß sie alle Skalen in allen Tonarten in jeder Lage auf dem Griffbrett im Schlaf abdrücken können gibt es viele, wirklich viele - und nur der allerkleinste Teil davon sind Berühmtheiten wie der genannte John McLaughlin. Weitere Beispiele von Bekanntheiten sind John Scofield, Pat Metheny, Peter O'Mara (er hat's mir in mehreren Workshops eindrucksvoll demonstriert) oder der deutsche Skalenkönig Michael Sagmeister. Aber auch jeder Absolvent einer Musikhochschule oder eines Konservatoriums etc. hat das drauf (oder sollte es zumindest).

Wenn aber diese Freaks mal ein geiles Solo, also "mit Eiern" spielen und mit Musik was wirklich Wertvolles ausdrücken wollen, dann müssen sie genauso das Skalendenken unterlassen. Und das gelingt nicht allen, auch manchen Berühmtheiten nicht (immer) so richtig (außerdem reicht das Nicht-mehr-in-Skalen-denken allein ja auch noch nicht für ein geiles Solo).

Es ist nicht nur das WISSEN (Bewußtsein) um Instrument und Skalen, das ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist, sondern das bewußte HÖREN (mit gleichzeitigem Wissen um die Skala), das jahrelang geübt werden muß. Spiel einem Musiker, der das geübt hat, einen Akkord und einen Skala oder einen Lick vor: er wird dir problemlos sagen können, welche Skala das ist, weil er den Sound, die Farbe dieser Skala vom vielen Hören und Spielen kennt.

Musik ist eine Sprache. Harmonielehre ist (ein Teil der) Grammatik. Als Kleinkind lernst du die Muttersprache nur per Gehör und beherrscht trotzdem die Grammatik irgendwann perfekt. Aber Musik ist für alle (außer vielleicht die Mozarts) eine Fremdsprache. Also mußt du Grammatik pauken, Wörter, Redewendungen, Sprachbausteine, d.h. harmonische Verbindungen, Kadenzen, Licks, Akkorde, rhytmische Patterns, pauken, pauken, pauken. Irgendwann kannst du die Fremdsprache fließend sprechen, ohne über die Grammatik noch nachdenken zu müssen. Die Grammatikregeln hast du aber noch irgendwo im Hinterkopf und kannst sie ausgraben und erklären.

Dann ist es auch möglich, über kompliziertere Changes wie "The Girl from Ipanema" (wurde von einem Vorredner genannt) allein per Gehör zu improvisieren, weil du a) die üblichen harmonischen Verbindungen in Gehör und Fingern hast, b) die harmonische Struktur genau dieses Stückes im Kopf hast, wenn du die Changes einige wenige Chorusse gehört hast (das kann ein Freak auch bei einem für ihn neuen Stück, nicht nur bei einem Gassenhauer wie diesem Beispiel).

Man kann "mit Eiern" auch ohne Skalen-Vorwissen spielen. Das geht bis zu einem gewissen Bereich, aber wenn die Changes komplizierter werden, kommt man an seine Grenzen. Dann hilft nur die Theorie und das Üben mit theoretischem Background weiter. Und das ist dann Knochenarbeit, bis die Eier mit dieser Skalenbeherrschung sozusagen in Assembler programmiert sind.

Ich selber habs nicht drauf, sonst würde ich wahrscheinlich nicht soviel drüber schreiben. Meine Eier sind nicht in Assembler programmiert sondern allenfalls in Commodore-VC64-Basic: GOSUB (F#, äolisch, 2 Takte).

Groovigen Grooß
Kurt



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