Noch besteht Hoffnung ...
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Beitrag von Harvey vom November 23. 2000 um 14:52:50:
Als Antwort zu: (Naturkunde) Der Bassist, seltene Gattung geschrieben von Tom(2) am November 23. 2000 um 10:36:35:
Tja, dieses possierlichen kleinen Gesellen sind in der Tat immer seltener in freier Wildbahn anzutreffen - und wer einen hat, gibt ihn so schnell nicht wieder her, aber es besteht Hoffnung, es gibt noch fortpflanzungsfähige Exemplare..
Anfangs gab es die ja überhaupt gar nicht - die ersten elektrischen Bassisten waren das Produkt eines unerbittlichen natürlichen Ausleseprozesses, oder einer Mutation, bzw. man mußte sie regelrecht züchten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Anno ´69 bzw. überhaupt in dieser Zeit die erste Probe nach einer verbalen Bandgründung aussah - da standen sich in irgendeinem feuchten Keller meist zwischen vier und sechs Gestalten gegenüber:
1. Ein Keyboarder (hießen auch Tastenmann, selten anzutreffen. Keyboards waren entweder teuer und leicht, sahen auf ihren dünnen Beinchen lächerlich aus und klangen etwa so wie das Modell "EKO Tiger", gut zu hören auf psychedelisch angehauchten Punkhits wie "Beatnik Fly" von Johnny & the Hurricanes - oder sie waren noch viel teurer und schwerer und im Grunde völlig untransportierbar).
2. Ein Sänger. Sänger hatten es offenbar meist im Kreuz, schafften sich deshalb maximal ein Mikrophon an und kamen beim Auftritt immer erst, wenn alles aufgebaut war. Hinterher hatten sie dann meist Public-Relations-Pflichten zu erfüllen und kamen, wenn alle Instrumente von den übrigen Bandmitgliedern wieder verstaut waren, dann noch mit einigen Mädels im Arm in der Pizzeria vorbei, um noch ein wenig für Stimmung bei den Kollegen zu sorgen.
3. Ein Schlagzeuger. Der fehlte eigentlich nie, hatte jahrelang auf Persil-Eimer und Zeitungsstapel eingedroschen und war im Grunde nur daran interessiert, sein vierzigminütiges Schlagzeugsolo im Programm unterzubringen, am besten mehrmals.. Schlagzeuger galten im übrigen als "bekloppt" - wohl eine nicht ganz unberechtigte Einschätzung, die sich auch immer wieder bewahrheiten sollte. Ein Rolle mag dabei spielen, jahrelang diesem bestialisch lauten Trommelfeuer an explosionsartigen Geräuschen in Schädelnähe ausgesetzt zu sein (manchmal gingen ja auch Schläge daneben, das gehört aber eher in den Bereich der Urologie), was schon im Laufe der Zeit Wirkung gezeitigt haben dürfte. Im übrigen scheinen in evolutionärer Hinsicht ja beim Schlagzeuger die Instinkte des Reptilienhirnbereichs im wahrsten Sinne des Wortes durchzuschlagen, des stammesgeschichtlich ältesten, von wo Basisinstinkte wie Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, Konkurrenzverhalten u.ä. gesteuert werden. Ich meine, machen wir uns nichts vor: Schlagzeuger sind Menschen, die zwei Knüppel in der Hand halten und damit auf Felle (!) einschlagen bzw. auch noch mit den Füßen wild um sich treten. Bei den ersten Trommeln überhaupt in grauer Vorzeit handelte es sich ja aller Wahrscheinlichkeit um Schädelknochen mit abgelöster Decke, über die der gegerbte Skalp eines erschlagenen Nachbarn gespannt wurde, die ersten Sticks bildeten wohl die Schienbeinknochen des Opfers. Wenn jemand also eine ausgeprägte Neigung zu solch einer Art Instrumentarium pflegt, sagt das schon einiges aus, wenngleich heutzutage diese Zusammenhänge zivilisatorisch verdeckt scheinen.
4. kein Bassist, dafür
5. drei Gitarristen. Unter diesen wurde zunächst das Alpha-Männchen bestimmt. Es zeichnete sich durch das lauteste Radio (oder überhaupt den Besitz eines Verstärkers) aus und die Fähigkeit, ein sogenanntes Solo nachspielen zu können, egal welches. Solche Alpha-Männchen hießen dann Solo-Gitarrist und waren ab sofort von allen lästigen Routinearbeiten wie "Akkorde spielen" befreit und konnten sich stattdessen vom ersten bis zum letzten Takt dem Solospiel widmen, nur ab und zu lästigerweise übertönt bzw. unterbrochen vom Gesang.
Der Beta-Gitarrist wurde ab sofort zum "Rhythmus spielen" abkommandiert, was er dann auch meist mit schmollender Unterlippe jahraus-jahrein tat. Höhepunkte jedes Auftrittes waren immer die Stellen, wo der Rhythmusgitarrist dann auch mal ein Solo spielen durfte - da er dies nicht gewohnt war und es daher immer etwas ... sagen wir mal unbeholfen klang, amüsierte sich das Publikum dabei immer ganz köstlich, der hinter ihm stehende, breit in Richtung Zuschauer grinsende, seine Hand hinter dessen Haupt in Form eines V-Zeichens erhebende Sologitarrist übrigens offenbar auch. Dauerte solch ein Solo gar zu lang, erhob sich allerdings dann doch mitunter ein großes Murren im Volke.
Tja, und der dritte Gitarrist im Bunde hatte dann nur die Wahl, entweder einen Bass zu kaufen oder sich zu trollen. Im Grunde genommen entsprach dieses doch eher einfacher strukturierte Instrument auch mehr seinem nicht so durchsetzungsfähigen Naturell, dem es offenbar an Imponiergabe und den entsprechenden Mechanismen, Konkurrenten wegzubeißen, mangelte. Seinem meist schlichten Gemüt kamen auch meist die reduzierte Anzahl der Saiten (immerhin nur noch vier statt sechs) und die auch der Größe und Dicke derselben viel leichter zu treffenden Töne doch sehr entgegen.
Einen Vertreter der letzteren Sorte nenne ich übrigens seit diesen frühen Zeiten mein eigen und greife immer wieder gern auf ihn zurück. Obwohl blond und mittlerweile doch fortgeschrittenen Alters, gibt er keinerlei Anlaß zur Klage: Äußerlich tadellos, glänzendes Fell, strahlendes Gebiß, singt wie Sting und spielt wie er selbst, putzt und pflegt sich wie eh und je, krümelt nicht, erscheint pünktlich und frohgelaunt zu Proben, baut sich selbst auf und ab, schmeißt auf Bühnen keine Bierbecher um und verdeckt nicht die Sicht auf den Gitarristen. Was ist da immer für eine Freude, wenn wir uns sehen und er schon weitem mit seinen beiden Basskoffern in der Hand mit wedelnd-ausgebreiteten Armen auf mich zugerannt kommt und mich freundlich begrüßt!
Und er hat im Laufe der Zeit durchaus dazugelernt und tut es noch. Ich erinnere mich noch gut an das Glänzen in seinen Augen, als ich die Anforderungen nach ein paar Jahren etwas steigerte und ihm zusätzlich zur E-Saite seine erste A-Saite kaufte - oder an jenen magischen Augenblick, wo wir Anno ´79 im Studio Dierks standen - es war wieder so ein Tag, an dem es aber auch so rein gar nicht fetzen wollte - und der Studiomann aus dem Aufnahmeraum zu ihm meinte: "Spiel die Figur doch mal eine Faust höher!". Da taten sich Welten auf, wie der drollige kleine Kerl so plötzlich entdeckte, daß es noch sooo viele Töne weiter oben am Hals zu entdecken gab, jenseits des fünften Bundes!
Später kaufte ich ihm hin und wieder auch eins der großen bunten Bassisten-Magazine, die im vierfach großen Format mit den Riesenbuchstaben und den vielen Bildern, da hat er oft Stunden mit verbracht.
Mittlerweile hat er übrigens ein Weibchen gefunden, ein Nest gebaut und doch tatsächlich einen kleinen Nachkommen in die Welt gesetzt, der schon in seinen jungen Jahren mit Vorliebe nutellafingerbewehrt an Papas 6000,-DM-Bass rupft und zerrt - insofern wird die Art so schnell nicht aussterben.
Cheers, Harvey
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