(Gitarre) neulich im Studio
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Beitrag von erniecaster vom Dezember 31. 2005 um 16:18:27:
Liebe Gemeinde!
Jetzt ist schon der 31.12. und ich habe Friedlieb im Sommer versprochen, noch meinen Erfahrungsbericht zu posten. Jetzt aber los.
Eine befreundete Sängerin und ich wurden von zwei Studentinnen der Ton- und Bildtechnik in das Studio der Robert Schumann-Musikhochschule eingeladen. Eine Art "Fingerübung". Die beiden Studentinnen sollten praktische Erfahrungen sammeln. Der Plan war, dass wir zwei Songs mit akustischer Gitarre und Gesang aufnehmen und mischen wollten. Ein Wochenende im Studio, umgeben von drei sehr angenehmen und auch noch hübschen jungen Mädels, laue Maiabende - ein guter Plan! Leider gab es bei der Umsetzung ein größeres Problem.
Schon bei der Anfahrt schniefte und hustete die Sängerin vor sich hin. Wir machten von jedem Song eine ganz simpel mikrofonierte Aufnahme und spätestens da war uns allen klar, dass unser Plan nicht durchführbar sein würde, denn an tauglichen Gesang war nicht zu denken. Also steckten wir erstmal die Sängerin zum Auskurieren ins Bett und die beiden Studentinnen kümmerten sich nur noch um meine Gitarre und mich.
Wir haben drei Tage mit unterschiedlichsten Mikros, unterschiedlicher Ausrichtung der Mikros und Kompressoren rumgespielt. Als Gitarren benutzte ich meine Lakewood M-32 (Mary), meine Lakewood M-14 (Lucy) und meine kleine Framus Archtop. Die Ergebnisse waren verblüffend.
Das Procedere muss man sich so vorstellen. Ich sitze da und spiele Gitarre. Ein Mädel sitzt am Mischpult, das andere platziert abwechselnd mehrere Mikrofone an verschiedenen Stellen. Alle drei Akteure bekommen das Signal direkt auf den Kopfhörer und hören so die Unterschiede bei der Ausrichtung quasi "live". Als Notiz sagt mal hin und wieder wer was wie "Neumann, ausgerichtet auf den Hals, zwölfter Bund, Abstand zehn Zentimeter, geil". Alles wird aufgenommen, EQ unangetastet, keine Effekte. Daran spielen wir nachher rum.
Als erstes war die Lakewood M-32 dran. Eine sehr ausgeglichene Gitarre, sehr transparentes Klangbild, vielleicht in den Bässen nicht so ganz stark. Je nach verwendetem Mikro und der Ausrichtung des Mikros klang sie mal genau so, wie ich sie als Spieler akustisch kannte und mal völlig anders. Mit den Mikrospielereien ließ sich JEDER Sound von bolleriger Jumbo bis zur schlanken Parlorgitarre basteln - noch ganz ohne EQ. Wir waren absolut in der Lage, quasi jeden amtlichen Sound zu basteln, den man von Aufnahmen kennt und das alles aus einer Gitarre. Es ist durch unterschiedliche Mikrofonierung durchaus möglich, den Klangcharakter der verwendeten Gitarre total zu ändern. Vom Killer-Sound Marke "Bigger than life" bis zur total unscheinbaren Schrumm-Gitarre war alles drin.
Die Lakewood M-14 ist eine auch sehr ausgeglichene Gitarre, hat aber einen deutlich anderen Charakter. Wir probierten höchstens zehn Minuten und stellten fest, dass wir die Unterschiede zwischen M-32 und M-14 problemlos mit den Mikros "wegbügeln" konnten. Kurz gesagt: Wenn die Gitarre einigermaßen ausgeglichen ist, kommt es gar nicht mehr so darauf an und mehr als eine ausgeglichen klingende Westerngitarre braucht im Studio kein Mensch.
Dann war die Framus an der Reihe. Diese Gitarre klingt hart, mittig und nahezu topfig. Also eher ein One-Trick-Pony. Gleiches Spiel und ein ähnliches Ergebnis. Die Einflüsse der Mikros waren deutlich drastischer als der Eigensound der Gitarre. Weil das Ursprungssignal aber doch sehr prägnant war, war es ein ziemlicher Akt, den Klangcharakter total umzubiegen. Eine weiche, warm singende Gitarre bekamen wir nicht ganz überzeugend hin, trotz EQ und Effekten - der nicht ganz optimale Sound ließ sich allerdings im Mix mit zwei weiteren Gitarren hervorragend verwenden.
Mal von den Mikros weg, haben wir auch das Tonabnehmer-Signal aufgenommen. Der B-Band-Sound war bei Picking-Sachen absolut brauchbar. Bei Strumming von Akkorden klang das nicht überzeugend.
Soviel erstmal zum Sound.
Dann war Doppeln von Gitarrenspuren angesagt. Das ist überhaupt kein Problem: Man spielt die erste Spur amtlich auf den Klick und dann die zweite auch amtlich auf den Klick und dann sind die halt zusammen. Ganz einfach. Wenn man auf den Klick spielen kann. Das habe ich offen gestanden nie geübt - mittlerweile benutze ich mein Metronom häufiger - und das ist wirklich eine Übungssache. Jedenfalls habe ich ganz schön vor mich hingestümpert, bis ich den Trick raus hatte, den ich jetzt einfach so rausposaune: Das ist eine Einstellungsfrage. Nachdem ich ein paar Mal mein Timing richtig verkackt hatte, war ich ziemlich wütend auf mich und den verdammten Klick. Eine Entspannungspause später sagte ich mir "Der Klick ist mein Freund" und legte mich richtig auf den Klick und genoss es, dass ich mich auf sein perfektes Timing verlassen konnte - so als ob er ein Schlagzeuger wäre, mit dem man gern zusammen spielt. Dann hat es auch mit dem Klick und mir geklappt und Doppeln ging. Hat dann sogar Spaß gemacht.
Dritte und letzte Erkenntnis. Man ist unendlich allein unter den doofen Kopfhörern und fühlt sich sehr ausgezogen. Die Kommunikation über das Talkback-Mikro des Mischpults ist ganz wichtig. Stellt euch das mal so vor: Ich spiele im Aufnahmeraum ein. Die Mädels im Abhörraum sprechen miteinander, ich kann aber nicht hören, was. War das jetzt okay? Überlegen die beiden, einen anderen Gitarristen her zu telefonieren? Besprechen sie, wo wir gleich essen gehen? Technisch alles gut gegangen? Endlich nimmt eine mit mir Kontakt auf und sagt was wie "in der Mitte warst du sehr raus aus dem Timing". Nach ein paar erfolglosen Versuchen meuterte ich und verlangte, mal ein bißchen mehr motiviert zu werden und dann ging auch alles deutlich besser. Es ist ein Riesenunterschied, ob das Feedback aus dem Abhörraum positiv formuliert wird, humorvoll, sachlich, genervt oder gar zynisch. Eine angenehme Arbeitsathmosphäre verbessert den Gitarrensound deutlich.
Wie gesagt, nahmen wir Tonnen von Gitarrenspuren auf. Musikalisch alles mehr oder weniger belanglos und zum Musikhören gänzlich ungeeignet und absolut nicht zu Ende bearbeitet daher gibts auch für euch nichts zu hören. Dennoch hatten wir durchaus amtlich klingende Ergebnisse - es gab Momente wo ich nur noch sagte: "die Gitarre würde ich sofort kaufen, das klingt ja derartig geil". Andere Ergebnisse waren aber trotz bestem Equipment unter aller Kanone.
Das sind meine Eindrücke von diesem Wochenende. Ein Fazit möchte ich nicht ziehen, genausowenig würde ich jetzt behaupten ich hätte "Studio-Erfahrung". Und wenn mir jemand sagt, dass er ganz andere Erfahrungen hat, glaube ich das auch. Spannend war es, das Wochenende hat viel Spaß gemacht, war intensiv und sehr anstrengend. Nächstes Jahr wollen wir das mit dem Aufnehmen der beiden Songs vielleicht nochmal probieren. Mal sehn.
rockenrohl
erniecaster
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