(Philosophie) Üben


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Beitrag von Woody vom Oktober 21. 2005 um 11:27:19:

Hallo zusammen,

zum Sessionworkshop habe ich zu diesem Thema ja schon ein bißchen vor mich hingebrabbelt, jetzt will ich meine Gedanken noch mal in eine geordnete Form bringen, auch, weil ich festgestellt habe, daß ein gewisses Interesse an dem Thema besteht.
Wie Friedlieb es schön formulierte, mit dem ihm eigenen Sinn für Understatement:
"Wenn ich ein richtig guter Gitarrist werden wollte, müsste ich einfach üben."

Zunächst einmal hat jeder die Erfahrung gemacht, üben ist langweilig, macht keinen Spaß, ist langweilig, frustrierend und bringt überhaupt nichts.
wenn das stimmt, dann macht man es falsch.
Gitarrespielen sollte Spaß machen, Lustvoll sein.

In letzter Zeit habe ich meine Übegewohnheiten hinterfragt, habe viel Zeug gelesen (Ich bin Großartig, ich bin ein Meister, ich ruhe in mir und lasse die großen Kräfte des Universums durch meine leere Hülse Manifest werden...), aber neben Esoterik und Frühnachmittagsfernsehdokusoapküchenwaldwiesenpsychologie habe ich doch gute Anregungen und erkenntnisse gefunden.

1. Ich muß wissen, warum ich übe.
das klingt erstmal banal.
Klar übe ich um besser zu werden.
Jeder muß doch besser werden.
Oder?
Wenn ich damit rundum zufrieden bin, Abends mit meiner Gitarre auf dem Sofa zu sitzen und dem restlichen Mobiliar den allabendlichen Blues in A und meine zwei Lieblingslicks vorzuspielen, warum soll ich dann Zeit mit üben vergeuden?
Schach ist auch ein schönes Spiel. Oder ich könnte lesen.

Wenn mir das aber nicht reicht, dann muß ich überlegen, wo ich hin will.
Will ich Jimi Hendrix spielen können?
Will ich Spedmetal-Leadgitarrist werden?
Will ich nicht doch lieber Bass spielen?
Hierbei ist jedoch Vorsicht angebracht!
Ziele wie "Ich will bis morgen der beste Gitarrist von Welt werden!" sind als Motivation nicht realistisch.
Ziele, wie in einer Band spielen Rhythmusgitarre spielen können zu wollen, oder Blues spielen zu können schon.
Hier braucht es Augenmaß und keine konkreten Zeitvorgaben (bis gestern das Solo von Child In Time spielen zu können), es geht hier mehr um ein Leitbild.

2. Ich muß wissen, was ich übe.
Klar. Gitarre.
Oder?
Was brauche ich, um mich meinen Zielen realistisch anzunähern?
Will ich Blues spielen können?
Dann sollte ich ein paar nach Baumwolle klingende Akkorde kenne und Pentatoniken. Ich sollte auch Blues hören und mir exemplarisch Soli draufschaffen. Ich brauche einen Wortschatz an authentischen Licks und Riffs.
Das muss ich also üben.
Aber üben ist doch soo doof und langweilig!
Dann muß ich halt Dinge üben, die mir Spaß machen.
Ich fabnge an, ein Stück zu spielen, und wenn ich merke, Scheiße, den Akkordwechsel krieg ich nicht hin, dann wird er halt poliert, bis er läuft. Das macht schon mehr Spaß.

3. Ich muss wissen, wieviel ich übe.
Klar, soviel wie möglich.
Oder?
Wenn ich mich auf wenige Dinge beschränke, werde ich sie, wenn ich sie dafür gründlich geübt habe, am Ende besser beherrschen.
Sich zu große Brocken vorzunehmen, kann nur zur Frustration führen.
Ich werde nicht in einer Woche den Hummelflug im Originaltempo spielen können. Vielleicht aber die ersten zwei Takte im halben Tempo, dafür dann aber auch rückwärts und im Schlaf und wenn der drummer mir aus Jux wieder einen 5/4-Takt drunterlegt und mir der Sänger sein Bier in den Nacken kippt.
Ich muss mich mit einer kleinen Menge Stoff so lange beschäftigen, bis ich sie im Schlaf beherrsche.
Nur das, was ich so geübt habe, habe ich im Zweifelsfalle wirklich abrufbar.

4. Ich muss wissen, wie lange ich übe.
Klar. So lange wie möglich.
Hmm?
Auch hier ist es nur frustrierend, sich zu viel vorzunehmen.
Wenn ich denke, prima, heute hab ich den ganzen Tag frei, üb ich doch mal eben acht Stunden, das bringst dann voll.
Es ist absehbar, daß ich spätestens nach einer Stunde sehnsüchtig zur Uhr schiele und wenn ich wirklich eine harte Sau bin aber nach vier Stunden spätestens enttäuscht abbreche.
Ich persönlich nehme mir,wenn ich mich zum Üben hinsetze, vor, fünf Minuten zu üben. Fünf Minuten halte ich durch,es werden erfahrungsgemäß mehr, und dann habe ich ein gutes Gefühl, mehr geschafft zu haben, als ich mir vorgenommen habe.
Und in Fünf Minuten kann man auch einen fiesen Akkordwechsel glatt bekommen, oder ein Arpeggio gründlich wiederholen.
Und fünf Minuten kann man auch eher mal einschieben, als eine Stunde.
Die Ausrede "lohnt sich doch gar nicht anzufangen" fällt also weg.
Wenn man aufbruchbereit im Flur steht, die Liebste unter den Weibern aber sich "noch eben ein bißchen schön machen" will, hat man schon wieder ein Voicing mehr in den Fingern.

ich muss wissen, wie ich übe.
Ja, das ist schwer.
welche Methode funktioniert, das muss jeder für sich selber finden.
eine Vorstellung, die mir jedoch hilft, ist die von einem großen Gleichseitigen Dreieck an dessen Ecken steht:
1. Schnell spielen
2. sauber spielen
3. das ganze Stück spielen.

Man kann das Dreieck so drehen, daß man immer zwei Ecken gleichzeitig anpacken kann, aber nie alle drei gleichzeitig.
Wii lci schnell spielen üben und alles, dann muß ich in Kauf nehmen unsauber zu spielen. Das ist OK.
Ich sollte nur darauf achten, daß ich alle drei Ecken gleichmäßig beharke.


Wenn ich dann regelmäßig übe, und feststelle, ich mache kleine, aber meßbare Fortschritte, und wenn ich mir gönne, viel Zeit zu haben, um mich meinem Leitbild anzunähern,
dann macht es auch wieder mehr Spaß, zu Hause die Gitarre zu nehmem, und ihr zu sagen, so, üben jetzt.

Ich hoffe, der ein oder andere hat bis hierher durchgehalten,
viele Grüße,
Woody



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